Andreas Franz: Eisige Nähe

Mafiöse Strukturen

Hans Schmidt, seit 25 Jahren der „Mann für Notfälle“, tritt genauso unauffällig auf, wie sein Name es suggeriert. Er bewegt sich sicher in den besseren Kreisen, führt ein finanziell gesichertes Dasein in Lissabon und Kiel, begeht regelmäßig Auftragsmorde und ist einer der gesuchtesten, da effektivsten und geheimnisvollsten Mörder. Nun plant er seinen finalen Auftritt in Kiel, doch anders als bisher ist er dieses Mal persönlich involviert. Der Kampf gegen Frauen- und Kinderhandel ist sein eigenes Anliegen und das seiner ersten Auftraggeberin, mit der er seit seinem ersten Mord nicht nur geschäftlich verbunden ist.

Sören Henning und Lisa Santos, privat wie dienstlich ein perfekt eingespieltes Paar, ermitteln in Kiel im Fall eines ermordeten Musikproduzenten und seiner jugendlichen Geliebten, die in grotesk inszenierter Pose aufgefunden wurden, am Tatort die ominöse DNA einer unbekannten Frau, die seit Jahren immer wieder nachgewiesen wird. Da der Fall ein großes Medienecho auslöst, wird eine Soko mit 30 Beamten zusammengestellt und vom Oberstaatswalt eine Frist von sieben Tagen für die Aufklärung gesetzt. Als die Tat dann vermeintlich ganz schnell geklärt werden kann und der angebliche Mörder tot ist, werden alle weiteren Nachforschungen untersagt. Doch Sören Henning und Lisa Santos ermitteln mit Duldung ihres Chefs heimlich weiter und stoßen auf mafiöse Strukturen und einen Sumpf aus Korruption…

Andreas Franz (1954 – 2011) wurde vor allem durch seine Krimis populär: mit den Reihen um Hauptkommissarin Julia Durant aus Frankfurt, um Hauptkommissar Peter Brandt aus Offenbach und um das Duo Henning/Santos aus Kiel. Eisige Nähe ist der dritte Band der Kiel-Reihe und zugleich eines seiner letzten Bücher. Originell ist der Kurzauftritt der Frankfurter Ermittlerin Julia Durant. Ansonsten war mir der Krimi, der erste aus seiner Feder für mich, zu sehr von Verschwörungstheorien durchzogen und relativ früh habe ich geahnt, wer an der Spitze der Organisation stehen muss. Auch war der Epilog zu melodramatisch und die Dialoge hätten gerne etwas weniger banal sein dürften.

Trotzdem hat mich das Hörbuch, auf sechs CDs in 418 Minuten zurückhaltend und mit angenehmer Stimme gelesen von Stephan Benson, gut unterhalten. Die ermittelnden Kommissare aus Kiel sind sympathisch und beeindrucken durch ihre Hartnäckigkeit und ihren Instinkt, ohne deshalb unglaubhaft zu wirken. Der psychologisch interessanteste Aspekt des Buches war jedoch das Verschwimmen der Grenzen zwischen Gut und Böse beim Serienmörder Hans Schmidt, bei dem ich mich einer gewissen Sympathie nicht erwehren konnte.

Andreas Franz: Eisige Nähe. lübbe audio 2010
www.luebbe.de

Paul Maar: Das Sams und die Wunsch-Würstchen

Erstlesespaß mit dem Sams

Büchersterne heißt die Erstlesereihe des Oetinger Verlags, die es in drei Lesestufen gibt: für die 1. Klasse, 1./2. Klasse und 2./3. Klasse. Die Besonderheit dieser Reihe ist die Vielzahl an sehr bekannten Autoren, wie beispielsweise Astrid Lindgren, Paul Maar, Kirsten Boie und Erhard Dietl.

Das Sams ist einfach immer spitze, ob als Vorlese- oder Erstlesebuch, als Hör-CD oder sogar als Film. Für die Büchersterne-Ausgabe Das Sams und die Wunsch-Würstchen wurde ein Kapitel aus dem Buch Am Samstag kam das Sams zurück für Leseanfänger der 1./2. Klasse sprachlich bearbeitet, in großer Schrift und im Flattersatz gesetzt, vom Autor neu illustriert und mit vielen Leserätseln und -spielen am Ende ergänzt.

In der Geschichte wird erzählt, wie das Sams und Herr Taschenbier ein vornehmes Restaurant besuchen und das Sams wieder einmal alles so gründlich missversteht und sich so unmöglich benimmt, dass sie schließlich gehen müssen, ohne gegessen zu haben. Wie sie dank der Wunschpunkte dann auch an der Würstchenbude zu einer sehr exklusiven Mahlzeit kommen und was die vornehmen Restaurantgäste stattdessen serviert bekommen, wird so lustig erzählt, dass garantiert alle ihren Spaß daran haben!

Paul Maar: Das Sams und die Wunsch-Würstchen. Oetinger 2016
www.oetinger.de

Astrid Lindgren: Lustiges Bullerbü

Bullerbü für Erstleser

Büchersterne heißt die Erstlesereihe des Oetinger Verlags, die es in drei Lesestufen gibt: für die 1. Klasse, 1./2. Klasse und 2./3. Klasse. Die Besonderheit dieser Reihe ist die Vielzahl an sehr bekannten Autoren, wie beispielsweise Astrid Lindgren, Paul Maar, Kirsten Boie und Erhard Dietl.

Viele Erstleser kennen die Geschichten aus Bullerbü wahrscheinlich schon aus Bilder- oder Vorlesebüchern, von Hör-CDs oder als Film. Hier können sie nun eine Geschichte selbst lesen, denn die Büchersterne-Ausgabe für die Lesestufe 1./2. Klasse hat einen Auszug aus dem Klassiker von Astrid Lindgren sprachlich bearbeitet, in großer Schrift und im Flattersatz gesetzt und mit vielen Leserätseln und -spielen am Ende angereichert. Ich war angenehm überrascht, wieviel trotz der Bearbeitung vom Charme des Originaltextes erhalten geblieben ist, wozu sicherlich auch die bekannten Illustrationen von Ilon Wikland beitragen.

In sechs Kapiteln werden die Alltagsabenteuer der Bullerbü-Kinder vorgestellt und Lisa erzählt vom Frühling, vom Aufpassen auf Klein-Kerstin, vom Schulweg, von ihrem Lämmchen Pontus, vom Widder Ulrich und vom Mutigsein.

Ein wunderschönes Erstlesebuch!

Astrid Lindgren: Lustiges Bullerbü. Oetinger 2015
www.oetinger.de

Kirsten Boie: Ein Hund spricht doch nicht mit jedem

Törtel, der Problemlöser

Büchersterne heißt die Erstlesereihe des Oetinger Verlags, die es in drei Lesestufen gibt: für die 1. Klasse, 1./2. Klasse und 2./3. Klasse. Die Besonderheit dieser Reihe ist die Vielzahl an sehr bekannten Autoren, wie beispielsweise Astrid Lindgren, Paul Maar, Kirsten Boie und Erhard Dietl.

Kirsten Boies Geschichte Ein Hund spricht doch nicht mit jedem ist für die Lesestufe 2./3. Klasse konzipiert und hat damit schon mehr Text und ein fortgeschrittenes Leseniveau. Trotzdem gibt es noch auf fast jeder Seite textunterstützende Illustrationen, die Schrift ist groß und deutlich und die Kapitel umfassen jeweils nur wenige Seiten.

Lisa geht in die dritte Klasse und ist traurig, weil sie weder ein Haustier haben darf, noch beim Schulfest etwas vorführen kann. Doch dann bekommt sie plötzlich den Mischlingshund Törtel für fünf Tage zur Pflege anvertraut, der sogar sprechen und rechnen kann – aber das glaubt ihr natürlich keiner. Aber Törtel sorgt dafür, dass Lisa besser rechnen lernt und dass sie beim Schulfest alle toll finden. Als sie mit ihrem schönen blauen Kleid auf der Bühne steht, ist sie vielleicht sogar fast das glücklichste Kind der Welt.

Die Geschichte über große Kindersorgen und den Wunsch nach Zugehörigkeit, in typischer Kirsten-Boie-Manier witzig und einfühlsam erzählt, von Silke Brix wie immer pfiffig illustriert, ist ein sehr empfehlenswertes Erstlesebuch, das auch Jungs gefallen könnte.

Kirsten Boie: Ein Hund spricht doch nicht mit jedem. Oetinger 2017
www.oetinger.de

Klaus-Peter Wolf: Totenstille im Watt

Ein Serienkiller, aber doch kein Krimi

Klaus-Peter Wolf ist vor allem für seine Ostfriesenkrimis um die Kommissarin Ann Kathrin Klaasen aus Norden bekannt, die regelmäßig die Spiegel-Bestsellerlisten stürmen. Inzwischen sind seit 2007 elf Bände erschienen, im Februar 2018 soll der nächste folgen.

Nun hatte Klaus-Peter Wolf aber anscheinend Lust auf etwas Neues, ohne jedoch ganz von Vertrautem abzuweichen: eine Romanserie um den Arzt Dr. Bernhard Sommerfeldt, kürzlich nach Norddeich zugezogen, in der auch Ann Kathrin Klassen eine nicht unbedeutende Nebenrolle spielt. Aber Achtung, es sind keine Krimis, obwohl mehr Blut fließt, als man es von einem Roman erwarten würde.

Der neue Protagonist, Dr. Bernhard Sommerfeldt, taucht eines Tages in Norddeich auf und eröffnet dort eine Hausarztpraxis. Niemand ahnt, dass er bisher Johannes Theissen hieß, sein Medizinstudium zugunsten der zwangsweisen Übernahme des elterlichen Bamberger Textilunternehmens an den Nagel hängen musste, im Sumpf der Modebranche kläglich scheiterte und bei Nacht und Nebel Eltern, Frau, Betrieb und Schulden verließ. Der verhassten Enge seines alten Lebens und der Gefühlkälte seiner Familie entflohen, ist er wild entschlossen, sich mit falschen Papieren eine völlig neue Existenz in Ostfriesland aufzubauen. Und noch einen zweiten Vorsatz hat er gefasst: Er möchte kein Opfer mehr sein, sondern die Dinge selbst in die Hand nehmen, und dafür schreckt er auch vor Mord nicht zurück. Wer würde hinter dem allseits beliebten Hausarzt, Büchernarr und Lebensgefährten der netten Grundschullehrerin schon einen planvoll und kaltblütig agierenden Serienkiller vermuten? Oder ahnt seine neue Patientin, die Kommissarin Ann Kathrin Klaasen, die mit der Aufklärung der Fälle befasst ist, etwas?

Für mich war Totenstille im Watt das erste Buch von Klaus-Peter Wolf und ich habe mich lange mit der Sprache schwergetan, vor allem mit dem Mangel an Nebensätzen. Einerseits wurde dadurch mein Lesefluss gebremst, andererseits passt der Stil für mich überhaupt nicht zu einem Ich-Erzähler, der ein ausgesprochener Liebhaber klassischer Literatur und Dichtung ist.

Trotzdem hat mich der Roman zunehmend gut unterhalten, nicht zuletzt wegen des gelungenen Ostfrieslandflairs. Der Reiz der Geschichte speist sich für mich darüber hinaus aus der Erzählperspektive, da die Sicht auf die Handlung so völlig auf die Wahrnehmung von Sommerfeldt eingeschränkt bleibt. Seine Rechtfertigungen vor sich selbst und sein Grübeln darüber, ob die berühmte Kommissarin mit der überragenden Aufklärungsquote ihn bereits unter Verdacht hat, waren es auf jeden Fall wert, den Roman zu lesen.

Klaus-Peter Wolf: Totenstille im Watt. Fischer 2017
www.fischerverlage.de

Françoise Kerymer: Zwischen Himmel und Meer

Île de Sein – Insel der Wunder

Eigentlich wollte ich diesen Roman hauptsächlich lesen, weil ich mit der Bretagne, speziell dem Finistère, die Erinnerung an zahlreiche Familienurlaube während meiner Kindheit und Jugendzeit verbinde und sowohl die Île de Sein als auch Audierne und die Pointe du Raz sehr gut kenne. Meine Erwartungen an die Beschreibung der Landschaft und des Meeres, der Menschen, der Geschichte und Legenden sowie die Atmosphäre dieser einzigartigen Region haben sich voll erfüllt. Dass Françoise Kerymer, die ich bis dahin nicht kannte, darüberhinaus eine ganz wunderbare Geschichte im Stil ihrer Landsfrauen Claudie Gallay und Isabelle Autissier erzählt, poetisch, in der Gegenwart verfasst, vieles in Andeutungen belassend, war für mich, die ich eher einen seichten Unterhaltungsroman befürchtet hatte, eine ganz besonders positive Überraschung. Françoise Kerymer bettet die Handlung so gekonnt in die Umgebung ein, dass beides zu einem Ganzen verschmilzt und die Folge der Ereignisse sich zwangläufig aus den örtlichen Gegebenheiten zu ergeben scheint.

Dabei scheint die Verschmelzung zunächst unmöglich, denn die junge Frau, Emma, die zu Beginn des Sommers auf der Île de Sein ankommt, ist auf Anordnung ihres dominanten Ehemanns für zwei Monate mit ihrem siebenjährigen Sohn Camille zur Strafe dorthin verbannt. Sie hat kein Auge für die Schönheit der Natur, den Charme des Granithäuschens, das ihr zu klein und zu feucht ist, und die Menschen auf Sein. Ursprünglich eine kleine Stylistin aus dem Süden, hat sie einen märchenhaften Aufstieg als Frau eines reichen Pariser Geschäftsmannes erlebt, doch die Ehe hat sich abgenutzt, sie ist nur das hübsche Anhängsel ihres Mannes, und Camille, der hochbegabte Sohn, mit dem sie überhaupt nicht zurechtkommt, eine einzige Enttäuschung. Die Insel wirkt auf Emma bedrohlich, sie fühlt sich isoliert, erdrückt und trauert allen verpassten Chancen ihres Lebens nach. Camille dagegen, der Junge, der nie mit Kindern spielt, der druckreife Sätze spricht, in Paris psychiatrisch betreut wird, den ein ständiger Wissenshunger antreibt und unberechenbar macht, und in dem doch immer wieder eine rührende Kindlichkeit durchschimmert, wenn er sich nach der Liebe seiner Mutter sehnt, findet Freunde: Armelle, die Wirtin des Gasthofs, eine lebenskluge, geduldige, herzensgute Frau, und den Musiker Louis-Camille, der vor vier Jahren seine Dirigentenkarriere aufgegeben und sich auf Sein zurückgezogen hat. Es bedarf eines gefährlichen Abenteuers und einer existenzbedrohenden Erfahrung, um auch bei Emma eine äußere wie innere Veränderung hervorzurufen, sie für die Schönheit und den Charakter der Landschaft zu öffnen, ihr die Menschen näherzubringen und ihren Sohn zu akzeptieren, wie er ist. Der Kapitän der Fähre, Ronan, hat maßgeblichen Anteil daran, dass Emma ihre von Wind und Salz getrocknete, hart gewordene Haut abstreifen und zurücklassen kann – Sein hat wieder einmal ein Wunder bewirkt.

Erst im kurzen Epilog erfahren wir, was etwa 20 Jahre nach diesem Sommer aus den Protagonisten, die mir so sehr ans Herz gewachsen sind, geworden ist.

Einziger Kritikpunkt ist für mich die auffällig hohe Zahl von nervigen Druckfehlern, ganz untypisch für Bücher von btb. Es wäre sehr schön, wenn sie in der nächsten Auflage korrigiert würden.

Françoise Kerymer: Zwischen Himmel und Erde. btb 2017
www.randomhouse.de

Andreas Föhr: Schafkopf

Hervorragende Lesung eines sehr unterhaltsamen Regionalkrimis

Nachdem ich vor kurzem endlich den ersten von Andreas Föhrs Tegernsee-Krimis, Der Prinzessinnenmörder, mit großem Genuss gelesen habe, folgte der zweite der Reihe, Schafkopf, nun als Lesung. Michael Schwarzmaier liest den leicht gekürzten Text aus dem Jahr 2010 auf sechs CDs in 448 Minuten so nuancenreich und gekonnt, mal im bayerischen Dialekt, mal auf Hochdeutsch mit bayerischer Einfärbung, dass die Figuren noch lebendiger werden als beim Lesen und der trockene Humor optimal zur Geltung kommt. Mein absoluter Favorit ist weiterhin der Großvater des Kommissars, der knapp 80-jährige Manfred Wallner, der durch sein leichtes Lispeln und die Altmännerstimme sogar noch kauziger und liebenswerter wirkt als im Buch.

Wie schon im ersten Band ist Polizeiobermeister Leonhardt Kreuthner auch dieses Mal wieder der Erste am Tatort, vielmehr erlebt er den Mord sogar live mit, als er während seiner Joggingrunde zufällig den Kleinkriminellen Stanislaus Kummeder auf dem Riederstein trifft und diesem vor seinen Augen der Kopf weggeschossen wird. Alles deutet auf einen Profikiller hin, der einen sauberen Distanzschuss gesetzt hat. Doch nicht nur die Suche nach dem Täter oder Auftraggeber stellt sich als kompliziert heraus, auch die Frage nach dem Motiv wird für Kommissar Clemens Wallner und seine Miesbacher „Soko Riederstein“ zu einer schwer zu knackenden Nuss. Gibt es eine Verbindung zu der Nacht vor zwei Jahren, als Kummeder Freundin Kathrin Hoogmüller plötzlich spurlos verschwand und sich nie wieder gemeldet hat, auch nicht bei ihrer besten Freundin Susi Lintinger, mit der sie das Schicksal häuslicher Gewalt teilte? Mit Susis Lebenspartner, dem bärenstarken, unbeherrschten Peter Zimbeck, war Kummeder zur Tatzeit auf dem Riederstein verabredet – Zufall? Und welche Rolle spielt der windige Anwalt Jonas Falcking, dem in der Nacht von Kathrins Verschwinden die Scheckkarte gestohlen wurde?

Abwechselnd wird von den Ermittlungen nach dem Mord auf dem Riederstein im Herbst 2009 und über die Ereignisse im Juni 2007 erzählt, wobei eine legendäre Partie Schafkopf, die an diesem Abend im Beisein Kreuthners stattfand, eine nicht unwesentliche Rolle spielt.

Der Showdown im dichten Nebel konnte mich dann noch einmal gänzlich überraschen, nachdem ich den Fall voreilig als bereits gelöst betrachtet hatte. Kein Wunder, dass die Soko die Lösung nicht wie üblich mit einer Runde Bier feiern will!

Andreas Föhr: Schafkopf. Gelesen von Michael Schwarzmaier. Audio Media 2011
www.westermanngruppe.de/de/geschaeftsbereiche/verlage/audio-media-verlag

Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann

 Zusammenhänge

Der Optiker in Mariana Lekys Roman Was man von hier aus sehen kann spielt mit der Ich-Erzählerin Luise und ihrem Freund Martin gern „Dinge zusammendenken, die nicht zusammengehören“. Die Kinder nennen ihm zwei Begriffe und er muss einen Zusammenhang zwischen ihnen herstellen.

Aber was haben…

  • … eine Großmutter namens Selma, die unendlich viele Mon Chéries isst und die immer, wenn sie von einem Okapi träumt, einen Todesfall im Dorf voraussieht,
  • … ein kleiner Junge, der Gewichtheber werden möchte,
  • … ein unglaublich tragischer Todesfall,
  • … ein instabiles Haus, in dem die Bewohner immer wieder durch die Decke brechen,
  • … ein Eiscafé, in dem die Becher Namen wie „Heimliche Liebe“ tragen,
  • … ein unberechenbarer Anrufbeantworter, der macht, was er will,
  • … eine über Jahrzehnte verschwiegene Liebe, von der doch jeder weiß,
  • … ein „Mitarbeiter des Monats“ in einem Ein-Mann-Betrieb,
  • … ein Mann, der einen Hochsitz ansägt, weil er dem Jäger nach dem Leben trachtet,
  • … ein Riesenhund namens Alaska, der steinalt wird und ein haariger, ausgelagerter Schmerz ist,
  • … eine Mutter, die 25 Jahre lang darüber nachdenkt, ob sie ihren Mann verlassen soll,
  • … ein Vater, der seine Praxis aufgibt und fortan nur noch durch die Welt reist, weil er meint, dass er nur in der Ferne wirklich wird,
  • … ein buddhistischer Mönch namens Frederik aus Hessen, der in einem japanischen Kloster lebt und cyanblaue Augen hat und
  • … ein Mädchen, das ihm über 700 Briefe schreibt

… gemeinsam? Richtig, sie alle spielen eine Rolle in diesem Roman.

Aber nicht nur die Handlung ist absolut außergewöhnlich, auch die Sprache und der Stil Marina Lekys sind anders als alles, was ich bisher gelesen habe, und sogar die Erzählperspektive lässt sich kaum beschreiben, weil die Ich-Erzählerin allwissende Züge hat.

Während mir die Sprache, das warmherzige Verhältnis der Großmutter und des Optikers zur Ich-Erzählerin, die Beschäftung mit den Themen Tod, Liebe, Sinn des Lebens, Abschied und Wiederkehr und die Auswirkungen von Selmas Okapi-Träumen auf die Dorfgemeinschaft sehr gut gefallen haben, war mir die Handlung insgesamt doch leider zu skurril und es ist mir nicht ausreichend gelungen, mich fallen zu lassen, um den Roman durchgehend zu genießen.

Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann. DuMont 2017
www.dumont-buchverlag.de

Andreas Föhr: Der Prinzessinnenmörder

Keine Routineermittlung

Schon lange interessiere ich mich für die Tegernsee-Krimis von Andreas Föhr, Jurist, Drehbuch- und Buchautor, die mir immer wieder empfohlen wurden. Nun habe ich endlich den ersten Band der Reihe um Kommissar Clemens Wallner von der Kripo Miesbach und seinen uniformierten Kollegen, den Polizeiobermeister Leonhardt Kreuthner, gelesen und bin wirklich begeistert. Der 2009 erschienene Serienauftakt Der Prinzessinnenmörder wurde 2010 mit dem renommierten Friedrich-Glauser-Preis für den besten Erstlingsroman ausgezeichnet, in meinen Augen völlig zurecht.

Der Fund einer mit einem goldenen Brokatgewand bekleideten Mädchenleiche im zugefrorenen Spitzingsee ausgerechnet durch Polizeiobermeister Kreuthner nach einer durchzechten Nacht versetzt Kommissar Wallner sofort in Alarmbereitschaft, denn die perverse Inszenierung lässt auf ein bewusst ausgewähltes Opfer, eine akribische Vorbereitung und ein Motiv jenseits des Üblichen schließen. Die Tat scheint eine Botschaft zu enthalten, aber was will der Täter, von der Presse schnell als „Prinzessinnenmörder“ tituliert, wem mitteilen? Und was hat es mit dem Teil eines Metallplättchens im Mund des Opfers auf sich, das wie ein Puzzleteil wirkt? Wallner befürchtet weitere Opfer und zum ersten Mal in seiner Laufbahn hat er Angst davor, einem Fall nicht gewachsen zu sein. Ganz anders als der eher nachdenkliche, ständig frierende Kommissar tritt der poltrige, volksnahe Kreuthner unterdessen in Gasthäusern auf, brüstet sich mit seiner Rolle in dem Fall, hält staatstragende Reden und prangert den „Mist“, den die Kripo seiner Ansicht nach macht, an. Trotzdem ist auch er auf seine ganz spezielle Art ein guter Polizist, zwar mit dem ein oder anderen Alleingang, aber mit Überraschungserfolgen nicht zuletzt aufgrund seiner überragenden Ortskenntnis und der Tatsache, dass er die Menschen im Kreis kennt.

Während die Polizei mühsam und unter einem ungeheuren Zeitdruck Stück für Stück das Puzzle zusammensetzt, erfährt der Leser in kurzen Einschüben von einem Unglück an einem weit zurückliegenden Faschingsdienstag und ist bei der Tätersuche spätestens ab der Mitte des Krimis deutlich im Vorteil, ohne dass dadurch Spannung verlorengeht. Ganz im Gegenteil steigt die Spannung bis zum Showdown am Ende sogar stetig an.

Dieser Krimi lebt eindeutig nicht nur vom Whodunit, sondern auch vom sorgfältig dosierten Lokalkolorit und von seinem urigen Personal. Wallners Großvater Manfred, bei dem er noch immer lebt und der mit seinen knapp 80 Jahren noch sehr viel für „saubere Madeln“ übrighat, auf indianische Potenzmittel schwört, sich um das Liebesleben seines Enkels sorgt und große Mengen steinharten Weihnachtsgebäcks für die Kripo herstellt, hat mir besonders gut gefallen, ebenso wie die beiden so gegensätzlichen Polizisten Wallner und Kreuthner und das ganze Team der Soko. Der sparsam verwendete Dialekt verleiht dem Krimi zusätzlichen Witz, ohne aufgesetzt zu wirken.

Kurzum ein Regionalkrimi ganz nach meinem Geschmack, sprachlich gut, spannend, raffiniert aufgebaut, leicht skurril, urig und mit einem derben Humor. Ich freue mich auf die weiteren Bände, die ich jetzt ganz sicher nachholen werde.

Andreas Föhr: Der Prinzessinnenmörder. Knaur 2011
www.droemer-knaur.de

Megumi Iwasa & Jörg Mühle: Viele Grüße, Deine Giraffe

Keine Spur mehr von Langeweile

Der Moritz Verlag gehört im Bereich Kinder- und Erstleserbücher schon lange zu meinen Favoriten und auch Viele Grüße, Deine Giraffe der japanischen Autorin Megumi Iwasa, liebevoll-witzig illustriert von Jörg Mühle, hebt sich aus der Masse der Neuerscheinungen in diesem Bereich deutlich ab. Völlig zurecht wurde es 2017 mit dem Leipziger Lesekompass der Stiftung Lesen und der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.

Die Tage in der südafrikanischen Savanne können ganz schön langweilig sein, das finden jedenfalls Giraffe und Pelikan. Um sich die Zeit zu vertreiben, eröffnet Pelikan einen Postdienst und Giraffe schreibt den ersten Brief, Adressat: das erste Tier, dem Pelikan hinter dem Horizont begegnet. Natürlich soll hier nicht verraten werden, wer Giraffes ungleicher Brieffreund wird und was die beiden Tiere sich schreiben, aber ein Blick auf das Cover kann zumindest das erste Rätsel lösen, denn dort sieht man eben jenes Tier, das Jörg Mühle schon für Ulrich Hubs An der Arche um Acht so unverwechselbar gelungen ist. Verraten kann ich aber, dass es mir tierischen Spaß gemacht hat, die etwas krakeligen Briefe zu lesen und mitzuverfolgen, wie sich nicht nur Giraffes und Pelikans Leben völlig verändert.

Ein wunderschönes, fantasievolles, reich illustriertes Kinderbuch, das so richtig Lust aufs Lesen und aufs Briefeschreiben macht, zum Vorlesen ab fünf, zum Selberlesen dank der großen Schrift ab der zweiten Klasse für Jungs und Mädchen gleichermaßen.

Megumi Iwasa & Jörg Mühle: Viele Grüße, Deine Giraffe. Moritz 2017
www.moritzverlag.de