Michael Petrowitz & Patrick Wirbeleit: Besuch aus dem Weltraum

Wo ist Dussel?

Es ist schwierig, Bücher für Erstleser zu finden, deren Geschichte wirklich begeistern kann. Zu kurz sind die Texte, zu eingeschränkt das Vokabular. Bisher fand ich die Erstleserbücher aus dem Tulipan Verlag besonders ansprechend, aber mit Michael Petrowitz’ Besuch aus dem Weltraum gibt es auch in der Leserabe-Reihe von Ravensburger einen ausgesprochen originellen, fetzigen, spannenden und von Patrick Wirbeleit witzig illustrierten Titel für die zweite Lesestufe, den begabte Leser allerdings ab dem zweiten Halbjahr von Klasse eins bewältigen können. Besonders schön finde ich, dass ein Junge im Mittelpunkt steht, denn gute Bücher für Jungs sind leider selten, und mit dieser Konstellation kann man Jungs und Mädchen ansprechen.

Die Ausgangssituation dürfte vielen Kindern vertraut sein: Niko hat Ferien, aber alle Freunde sind verreist und er langweilt sich schrecklich. Doch Rettung kommt buchstäblich von oben, denn der kleine Hieronymo landet mit seinem Ufo direkt vor seiner Nase. Er ist auf der Suche nach seinem Weltraumhund. Während die beiden Kinder gemeinsam nach dem verschwundenen Dussel suchen, wird immer klarer, dass es sich dabei mitnichten um einen gewöhnlichen Hund handelt: Dussel hinterlässt die Fußabdrücke einer Ente, hat gelbe Federn mit blauen Punkten, macht sich über fremde Eisbecher her und pinkelt grün. Ihrer nervenaufreibenden Suche schließen sich mit Jule und Collin zwei weitere Kinder an, und als Hieronymo schließlich samt dem witzigen Weltraumhund Dussel wieder in sein Ufo steigt, hat Niko nicht nur ein unglaubliches Abenteuer erlebt, sondern auch noch zwei neue Spielkameraden gefunden.

Ergänzt wird die in großer Schrift gedruckte Geschichte mit kurzen Kapiteln und Zeilen durch fantasieanregende Fragen und kreative Leseraben-Leserätsel mit Lösungen.

Ein wirklich sehr empfehlenswertes Erstleserbuch!

Michael Petrowitz & Patrick Wirbeleit: Besuch aus dem Weltraum. Ravensburger Buchverlag 2015
www.ravensburger.de

Erich Kästner: Interview mit dem Weihnachtsmann

Nicht nur zur Weihnachtszeit…

29 frühe Kästnergeschichten und -gedichte, fast alle Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge aus den 1920er-Jahren, sind in diesem hübsch gemachten Bändchen abgedruckt. Da gibt es Weihnachtliches zum Schmunzeln, wie die Geschichte vom diebischen Weihnachtsmann, oder die Anekdote über ein Geschenk für die Erbtante mit fatalen Folgen, oder Rührendes, wie die Geschichte von einem jungen Paar, das sich aus Geldmangel eigentlich nichts zu Weihnachten schenken will. Den größeren Teil machen jedoch Erzählulngen zu allgemeinen Themen aus, wie zum Beispiel Der Musterknabe, die von einem Jungen handelt, der seiner schwer arbeitenden Mutter immer nur Freude macht, bis er eines Tages nicht mehr kann und ausbricht.

Viele der Geschichten sind, wie so oft bei Kästner, autobiografisch beeinflusst. Oft stehen Kinder im Mittelpunkt, ohne dass sie für Kinder bestimmt sind.

Eine empfehlenswerte Lektüre, auch wenn es nicht das beste Buch von Erich Kästner ist.

Erich Kästner: Interview mit dem Weihnachtsmann. Sanssouci 2009
www.hanser-literaturverlage.de

Deon Meyer: Icarus

Wer der Sonne zu nahe kommt

Für den Titel des fünften Südafrika-Thrillers um Bennie Griessel und sein Team von der Valke hat Deon Meyer auf die griechische Mythologie zurückgegriffen. Danach flog Ikarus trotz der Warnungen seines Vaters Daedalus, der ihm für die Flucht von Kreta Federn mit Wachs an ein Gestänge geklebt hatte, zu nah an die Sonne. Sein Absturz und Tod gelten als Strafe der Götter für seinen Übermut, der ihn der Sonne zu nahe kommen ließ.

Eine ähnliche Wendung nimmt das Leben von Ernst Richter, auch wenn hier statt Göttern Menschen am Werk sind. Richter wuchs nach dem früher Tod des Vaters in sehr armen Verhältnissen auf. Mit Mühe ermöglichte ihm die Mutter ein Studium, doch dann ging es steil aufwärts, als er zusammen mit zwei Freunden eine erfolgreiche Firma für Webdesign gründete. Richter wurde reich – und verkauft irgendwann seinen Anteil, als er sich nicht mehr genug herausgefordert fühlte. Nach einer ausgedehnten Asienreise gründete er erneut eine Firma: Alibi, ein Unternehmen, das seinen zahlenden Kunden bombensichere Alibis für den Seitensprung verschaffte.

Doch kurz vor Weihnachten, am 17. Dezember, wird Richters Leiche gefunden, nachdem ein Sturm und eine Überflutung sie am Strand freigespült haben. Richter, der seit Ende November vermisst wurde, war einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. Seine Feinde waren aufgrund des Geschäftsmodells von Alibi zahlreich, aber ist sein Mörder unter diesen meist religiös motivierten Gegnern zu finden? Und was hat der junge Weingutbesitzer Francois du Toit mit dem Fall zu tun, dessen ausführliche Lebensbeichte bei einer Anwältin in den Roman puzzlehaft eingestreut ist?

In der Valke wird für diesen größten und aufsehenserregendsten Fall seit Pistorius ein großes Ermittlerteam zusammengestellt. Vaughn Cupido, ein farbiger Polizist, wird zu seiner eigenen Verblüffung zum Leiter ernannt, Bernie Griessel, der nach längerer Abstinenz einen Rückfall in seine Alkoholsucht erleidet, gehört ebenso dazu. Während Kapstadt sich auf Weihnachten vorbereitet, suchen die Ermittler fieberhaft nach einem Mörder…

Obwohl Icarus auf dem Cover als Thriller bezeichnet wird, ist das Buch für mich ein Krimi – und zwar einer von der durchgehend hochspannenden, psychologisch außergewöhnlich interessanten Sorte. Die Zusammenarbeit des umfangreichen Ermittlerteams und die ausschweifenden Erzählungen von du Toit, die man erst ganz am Ende einzuordnen weiß, sind die großen Pluspunkte, ebenso wie die Ausflüge in die Apartheitsgeschichte und die Schilderungen der aktuellen Lebensumstände in Südafrika. Daneben hat mir die Beschreibung der Seelenlage des alkoholkranken Kaptein Griessel sehr berührt und gefesselt.

Trotzdem habe ich mir lange überlegt, ob ich vier oder fünf Sterne vergeben soll, denn es ist mir oft schwer gefallen, den Überblick über die vielen Mitarbeiter der Valke zu behalten. Dies liegt aber vermutlich daran, dass ich mit diesem Band in die Reihe eingestiegen bin, was durchaus möglich war, aber nicht unbedingt zu empfehlen ist. Wenn man kann, sollte man deshalb besser mit Band eins beginnen, der Genuss wäre sicher größer. Ich werde es nachholen und habe beschlossen, dass es dafür keinen Punktabzug geben kann!

Deon Meyer: Icarus. Rütten & Loening 2015
www.aufbau-verlag.de

Burghard Bartos & Renate Seelig: Die Heiligen Drei Könige

Die Weihnachtsgeschichte aus der Sicht der Weisen aus dem Morgenland

Dies ist ein Bilderbuch für Kinder ab ca. vier Jahren, in dem die Weihnachtsgeschichte aus Sicht der drei Weisen aus dem Morgenland, Sterndeuter aus Babylon, erzählt wird. Sie werden nicht als Könige beschrieben, sondern als hoch geachtete Männer, die die Sterne deuten konnten, und die heute als Könige gelten.

Geschildert wird ihr Weg zur Krippe, denn sie sehen einen neuen, hellen Stern im Westen, der den herrlichen König ankündigt, und dem sie folgen. Sie ziehen los mit ihren Geschenken, segeln den Euphrat hinauf, wandern durchs Gebirge und durch die Wüste, berichten in Jerusalem Herodes vom neuen König und übergeben schließlich in Bethlehem ihre Geschenke an das lächelnde Kind. Auf dem Rückweg meiden sie Jerusalem. Zum Glück sind Maria und Josef längst auf dem Weg nach Ägypten, als der Befehl zur Kindertötung ergeht.

Die Illustratorin, Renate Seelig, illustriert sonst Märchen. Ihre klaren Bilder mit den kräftigen Farben sind äußerst kindgerecht und veranschaulichen den Text für die kleinen Betrachter.

Burghard Bartos & Renate Seelig: Die Heiligen Drei Könige. Sauerländer 2009
www.fischerverlage.de

Tanja Jeschke: Das große Familienbuch für die Weihnachtszeit

Ein Begleiter durch die Weihnachtszeit

Dieses Buch ist ein Begleiter durch die Weihnachtszeit vom ersten Advent, dem Beginn des Kirchenjahres, bis Maria Lichtmess, dem zweiten Februar und Ende der Weihnachtszeit.

Roter Faden sind die Erlebnisse der sechsköpfigen Familie Stubenbauer, die aus der Sicht der munteren neunjährigen Tochter Lina erzählt werden.

Das Buch bietet Informationen zu Bräuchen, Legenden, wie z. B. die des heiligen Nikolaus, biblische Geschichten, wie z. B. die Verkündigung durch den Engel Gabriel oder die Geburt im Stall, Gedichte, Lieder mit Noten, Bastelanleitungen und Rezepte. Die fröhlichen Zeichnungen stammen von Barbara Korthues. Ein sehr gutes Register nach Themen rundet dieses gelungene Weihnachtsbuch ab.

Geeignet für alle Familienmitglieder ab ca. sechs Jahren.

Tanja Jeschke: Das große Familienbuch für die Weihnachtszeit. Thienemann 2009
www.thienemann-esslinger.de

Christa Holtei: Das große Familienbuch der Feste und Bräuche

Eine Fundgrube für die ganze Familie

Dieses Buch sollte einfach in jeder Familie, in jedem Kindergarten und in jeder Schule vorhanden sein, wenn Fragen rund um unsere Feste und Bräuche auftauchen. Für mich ist dieses Buch auch ein ideales Geschenk zu Hochzeiten und zur Geburt eines Kindes.

Im Hauptteil nach Monaten geordnet, beantwortet Christa Holtei z. B. im Kapitel „November“ Fragen nach dem Namen des Monats, der Natur zu dieser Jahreszeit und den Festen Allerheiligen, Allerseelen, Tag des heiligen Hubertus und des heiligen Martins, dem Ende des Ramadans, dem Volkstrauertag, dem Buß- und Bettag und dem Totensonntag. Dazwischen findet man Gedichte, Lieder, Geschichten, Rätsel, Bastelideen und Rezepte  sowie sehr ansprechende Illustrationen von Tilman Michalski.

Auf diese Weise führt das Buch durchs ganze Jahr und bietet zusätzlich im Anhang noch Informationen zum Kirchenjahr und zu den Festen im jüdischen und islamischen Mondkalender.

Christa Holtei: Das große Familienbuch der Feste und Bräuche. Sauerländer 2007
www.fischerverlage.de

Paul Sauer: Musen, Machtspiel und Mätressen

Biografie eines schillernden Herrschers

In gewohnt kenntnisreicher und informativer Manier widmet sich der ehemalige Leiter des Stuttgarter Stadtarchivs, Prof. Dr. Paul Sauer, in dieser Biografie zum Hause Württemberg dem Herzog Eberhard Ludwig (1676 – 1733).

Die Liebe dieses mit 16 Jahren und schlecht vorbereitet auf den Thron gelangten Herrschers gehörte dem Militär, der barocken Baukunst, der er als Erbauer von Schloss Ludwigsburg frönte, dem Absolutismus und seiner Mätresse Wilhelmine von Grävenitz.

Kritisch setzt sich Sauer mit Stimmen zu Eberhard Ludwig und seiner bei den Zeitgenossen verhassten Geliebten auseinander.

Obwohl ich die Bücher von Hansmartin Decker-Hauff zum Thema württembergische Geschichte wegen seines unterhaltsameren Stils noch mehr schätze als die von Paul Sauer, kann ich auch dieses allen Interessierten sehr empfehlen.

Paul Sauer: Musen, Machtspiel und Mätressen. Silberburg 2008
www.silberburg.de

Antonia Michaelis: Advent bei uns in Ammerlo

  24 Tage bis Weihnachten

Advent bei uns in Ammerlo ist ein Adventsbuch in 24 Kapiteln und spielt wie die anderen Bände der Kinderbuchreihe in dem kleinen Dorf Ammerlo an der Ostsee mit seinen Reetdachhäusern und einer eher weniger priveligierten Bevölkerung.

Inhalt der 24 Kapitel sind größere und kleiner Vorkommnisse und Katastrophen in den 24 Tagen vor Weihnachten, wobei als Rahmenhandlung die Vorbereitungen für das Krippenspiel dienen. Dabei muss kräftig impovisiert werden, denn das Personal ist dünn gesät… Daneben gibt es aber auch kleinere Begebenheiten um Lukas und den nicht vorhandenen Weihnachtsbaum, eine Glühweinexplosion oder den Einbruch des Pfarrers in den See.

Antonia Michaelis‘ erzählender Adventskalender ist eine auf angenehme Weise „altmodische“, aber nie kitschige Geschichte für alle ab sieben Jahren. Besonders gut hat mir gefallen, dass die Alltagsabenteuer oft mit einem Augenzwinkern erzählt werden.

Antonia Michaelis: Advent bei uns in Ammerlo. Carlsen 2010
www.carlsen.de

Angelika Stein: Unter dem Auge des Ätna

34 Gedankenanstöße

Unter dem Auge des Ätna ist eine Sammlung von 34 Kurzgeschichten, von der 2006 verstorbenen Autorin Angelika Stein treffender als „Szenen“ bezeichnet. Mit großer Prägnanz schildert die scharfe Beobachterin aus wechselnder, jedoch immer neutraler Perspektive Momentaufnahmen aus dem Leben ihrer Protagonisten, die zu Wendepunkten werden, oder beschreibt ganze Lebensschicksale. Inhaltlicher Schwerpunkt ist das weite Feld zwischenmenschlicher Beziehungen, das der Autorin aus ihrer Tätigkeit als Diplom-Psychologin bestens vertraut war.

Der Stil ist geprägt von äußerst knappen Sätzen und einer bemerkenswerten Klarheit.

Jede dieser dicht erzählten Begebenheiten lädt zum Nachdenken und Diskutieren ein.

Angelika Stein: Unter dem Auge des Ätna. Radius 2006
www.radius-verlag.de

Stefan Zweig: Joseph Fouché

Ein Chamäleon der Politik

Den „psychologisch interessantesten Charakter seines Jahrhunderts“ hat Balzac den stets im Hintergrund agierenden Politiker Joseph Fouché (1759 – 1820) genannt und Napoleon hat auf St. Helena über ihn gesagt: „Ich habe nur einen wirklichen, vollendeten Verräter gekannt: Fouché!“

Mit seiner meisterhaften Gabe, sich in Gestalten aus Kultur und Geschichte hineinzuversetzen, erzählt Stefan Zweig in dieser Romanbiografie das Leben eines weitgehend unbekannten Mannes, der 25 Jahre lange die Politik Frankreichs aus dem Hintergrund maßgeblich mitbestimmt hat. Mönch und Kirchenplünderer, Kommunist und später Millionär und Herzog, Königsmörder und Royalist, Polizeiminister unter dem Direktorium genauso wie unter Napoleon und Ludwig XVIII, diese unglaublichen Stationen eines Lebens im revolutionären Frankreich zeichnet Stefan Zweig minutiös nach.

Wie kann es sein, dass ein solcher Mann, der acht verschiedene Treueeide leistete, von denen jeder mit einer Kehrtwende verbunden war, so unbekannt blieb? Anschaulich erklärt Zweig, wie das Chamäleon Fouché das Licht scheute und stets von der Angst getrieben wurde, zur Minderheit zu gehören.

Für mich ist diese Romanbiografie spannend wie ein Psycho-Thriller und anschaulicher als ein Geschichtsbuch und mein absoluter Favorit unter Stefan Zweigs Büchern.

Stefan Zweig: Joseph Fouché. Fischer 1988
www.fischerverlage.de