Das Schicksal der Götzen
Nachdem ich den Roman León und Louise 2011 sehr gerne gelesen hatte, habe ich mich damals auf die Suche nach weiteren Büchern des Schweizers Alex Capus begeben und bin dabei auf das erstmals 2007 erschienene Eine Frage der Zeit gestoßen, aber diese Geschichte um den Export eines Dampfschiffs aus dem deutschen Kaiserreich nach Tansania schien mir damals nicht attraktiv. Nun, nachdem ich vor kurzem bei einem Besuch der Meyerwerft in Papenburg erneut auf die Geschichte dieses Schiffes stieß, habe ich meine Meinung geändert und dies nicht bereut, auch wenn ich aus der Begeisterung meines Mannes für das Buch schließe, dass der Roman noch mehr ein Männerbuch ist.
Die Geschichte des Dampfers Götzen klingt mehr als unglaublich. Am 20. November 1913 wurde er auf der Meyerwerft in Papenburg getauft, doch anstatt vom Stapel zu laufen, wurde das Schiff wieder zerlegt, in 5000 Kisten verpackt und auf abenteuerlichen Wegen per Schiff und Eisenbahn nach Deutsch-Ostafrika, heute Tansania, an den Tanganikasee transportiert, wo es den deutschen Machtanspruch in Afrika festigen und als Fähr- und Transportschiff eingesetzt werden sollte. Drei Werftangestellte begleiteten die ungewöhnliche Fracht: der Schiffsbaumeister Anton Rüter und zwei Gehilfen, deren Motivation allerdings nicht Abenteuerlust, sondern die Aussicht auf einen lukrativen Lohn war.
Noch während die Götzen auf der eigens zu diesem Zweck errichteten Werft in Kigome unter widrigsten Bedingungen erneut erstand, brach der Erste Weltkrieg aus, und die Belgier und Briten, mit denen man vorher friedlich zusammenlebte, wurden zu Feinden. Nun brauchte man kein Fähr- und Transportschiff mehr, sondern ein Kriegsschiff.
Auch die Briten strebten die Herrschaft über den Tanganikasee an, deshalb wurde in London der überaus schrullige Commander Geoffrey Spicer Simson von der Royal Navy damit beauftragt, ebenfalls zwei Schiffe nach Zentralafrika zu transportieren, diesmal für eine Seeschlacht.
Eine Frage der Zeit ist zugleich historischer Roman und Abenteuergeschichte. Er basiert auf historischen Tatsachen und führt gekonnt die Absurdität nicht nur des Krieges, in dem die „Seehoheit“ über den Tanganikasee plötzlich strategisch bedeutend sein sollte, sondern auch die Absurdität der Kolonialpolitik vor Augen. Gerade letzteres hat mir gut gefallen, denn Rüters Skrupel und seine Empfindung, sich allein durch seine Anwesenheit bereits mitschuldig zu machen, sind eindrucksvoll geschildert.
Alex Capus: Eine Frage der Zeit. btb 2010
www.randomhouse.de