Protokoll einer Richtungsänderung
Vor der Veröffentlichung seines Debütromans Skynda att älska war Alex Schulman Schwedens bekanntester und berüchtigtster Blogger, Journalist und Fernsehmoderator, gefürchtet für seine provokante Medienkritik und seine oft bösartige Tonlage. Umso erstaunter und positiv überrascht waren seine Landsleute über die liebevolle, ungeschminkt ehrliche und gut geschriebene Hommage an seinen Vater, den berühmten TV-Produzenten Allan Schulman, und über seine eigene Unfähigkeit im Umgang mit dessen Tod.
Reise ins Ungewisse
Att vara med henne är som att springa uppför en sommaräng utan att bli det minsta trött – der sperrige Titel ist einem Gedicht des schwedischen Nobelpreisträgers Tomas Tranströmer (1931 – 2015) entliehen und bedeutet auf Deutsch so viel wie „Mit ihr zusammen zu sein, ist wie auf einer Sommerwiese zu laufen, ohne auch nur im mindesten müde zu werden“ – ist sein zweites Buch, ebenfalls autobiografisch und bisher noch nicht ins Deutsche übersetzt. Es beginnt am 4. Juli 2008, an einem Tiefpunkt seines Lebens. Soeben hat er sich von der Frau getrennt, mit der er sechs Jahre lang zusammen war. Wurzel- und ziellos zieht er durch Stockholmer Bars, trinkt zu viel, ohne die Romantik des einsamen Trinkers zu erleben, versucht sich an einem neuen Roman und zögert die Rückkehr in seine neue Bleibe zur Untermiete längst möglich hinaus:
Jag står där i baren och försoker att tänka på vad som helst – utom på de omständigheter som just rasat ner över mig. […] Det här är början på en ny tillvaro, en ny sorts resa. Jag ser inte alls fram emot den. (S. 7)
[Ich stehe da in der Bar und versuche, an nichts zu denken – außer an die Umstände, die gerade über mich hereingebrochen sind. […] Dies ist der Beginn eines neuen Lebens, einer neuen Art von Reise. Ich freue mich überhaupt nicht darauf.]
Exakt ein Jahr später, am 4. Juli 2009, wird in Visby auf Gotland seine Tochter Charlie geboren. Dazwischen liegt, in Tagebuchform erzählt, die neue Liebesgeschichte mit seiner heutigen Frau Amanda Widell.
Ein Buch mit Happy End
Ich habe auch dieses Buch über ein aufregendes Jahr wie alles von Alex Schulman gern gelesen, obwohl es hinsichtlich seines fehlenden Selbstwertgefühls etwas kokett geraten ist, dafür aber nie peinlich. Spannender als die Liebesgeschichte fand ich Ereignisse, die Alex Schulman in späteren Romanen aufgegriffen hat, wie beispielsweise die Szene mit der Schwarzfahrerin, die in Endstation Malma eine bedeutende Rolle spielt. Am interessantesten waren für mich jedoch die Begleitumstände des Erscheinens von Skynda att älska im März 2008: die verblüffte Literaturkritik, die mit Stolz herbeigesehnte Signierstunde, die zum Megaflop wurde, oder die Interviews zum Buch:
En person som jag, som inte ens kunnat prata om sorgen efter sind döde far med sin mamma eller sin bror, tvingas plötsligt att tala om den i riksmedier. (S. 139)
[Jemand wie ich, der nicht einmal mit seiner Mutter oder seinem Bruder über die Trauer um seinen toten Vater sprechen konnte, ist plötzlich gezwungen, in den nationalen Medien darüber zu sprechen.]
Selbst wenn es die Tiefe und Präzision des Buchs über seinen Vater und noch mehr von Glöm mig über seine Mutter oder Verbrenn all meine Briefe über seine Großeltern verfehlt, ist Att vara med… doch wie alle Schulman-Bücher sehr gut geschrieben, unterhaltsam, dazu untypischerweise bisweilen witzig und sogar mit einem Happy End.
Alex Schulman: Att vara med henne är som att spinga uppför ein sommaräng utan att bli det minsta trött. Pocketförlaget 2011
pocketforlaget.se
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