Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit

Es sind die Brüche, in denen man sich erkennt

Nach der letzten Seite dieses Romans war ich zunächst einmal sprachlos: sprachlos vor Ergriffenheit und sprachlos vor Begeisterung. Wann ist es mir zuletzt passiert, dass ich einen Roman nicht in der Bahn weiterlesen konnte, weil mir die Tränen kamen? Und das nicht etwa, weil das Buch rührselig oder kitschig wäre, sondern weil es mich so tief berührt hat.

Als Jules im Alter von sieben Jahren mit seinen beiden älteren Geschwistern Liz und Marty eine Familie beobachtet, die nicht verhindern kann, dass ihr Hund vor ihren Augen ertrinkt, wird ihm schlagartig klar: „… es schien Familien zu geben, die vom Schicksal verschont blieben, und andere, die das Unglück auf sich zogen, und in dieser Nacht fragte ich mich, ob meine Familie auch so eine war.“ Nur drei Jahre später raubt ihm ein Unfalltod seine Eltern und die Geschwister, die vorher so eng verbunden waren, werden auf einem staatlichen Internat mit Kasernenleben auseinandergerissen. Während Jules sich „in den Jahren davor im Innersten sicher gefühlt hatte“, ein Draufgänger war, ist er nun von Ängsten erfüllt und zutiefst einsam. Einzig seine Klassenkameradin Alva kann ihm ein Gefühl von Nähe vermitteln, auch sie trägt Verletzungen in sich, doch auch mit ihr spricht er nie über das, was wirklich wichtig ist.

Nach dem Ende der Schulzeit verlieren sich Jules und Alva aus den Augen und auch der Kontakt zu den Geschwistern bleibt sporadisch. Jeder der drei verarbeitet den Verlust auf seine eigene Weise. Jules beendet sein Jurastudium nicht und als Fotograf fasst er nicht Fuß. Sein Leben nimmt erst eine Wendung, als er mit 33 beschließt, den Kontakt zu Alva wieder aufzunehmen. Doch das Leben ist kein Nullsummenspiel, in dem das vergangene Pech irgendwann ausgeglichen wird. Es ist manchmal so ungerecht, dass man an allem zweifelt…

Benedict Wells erzählt seinen vierten Roman in Form von Rückblenden. Das Jetzt ist ein Erwachen im Krankenhaus nach einem schweren Motorradunfall, in der Rückschau erzählt Jules sein Leben von der Zeit vor dem Unfall seiner Eltern bis zur Gegenwart.

Vom Ende der Einsamkeit ist ein wunderbar eindringlich erzählter Roman über den Tod und das Leben, Freundschaft, die große Liebe, grenzenlose Einsamkeit und Trauer, eine bewegende Familiengeschichte und eine der großartigsten Neuerscheinungen des Frühjahrs 2016.

Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit. Diogenes 2016
www.diogenes.ch

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