Hunger und Not kennen keine Moral
Frank Goldammers historische Dresden-Krimis gehören inzwischen zu den Serien, bei denen ich keinen Band mehr verpassen möchte. Mehr noch als an den gut aufgebauten, spannenden und schlüssig aufgeklärten Kriminalfällen und dem sympathischen, integren, aber nicht fehlerlosen Ermittler Max Heller liegt das am historischen Hintergrund. War es beim ersten Band, Der Angstmann, die Zerstörung Dresdens im Februar 1945 und bei Band zwei, Tausend Teufel, das Leben unter der sowjetischen Besatzung 1947, so ist Band drei, Vergessene Seelen, im Sommer 1948 angelangt. Der Wiederaufbau kommt nur sehr schleppend voran, Mangelwirtschaft und Wohnungsnot erzeugen immer mehr Unmut und viele gehen in den Westen. Da Hunger und Not keine Moral kennen, sind die Hauptverbrechen Einbrüche und Diebstähle, meist von Banden verübt.
Doch im Juni 1948 bekommen Max Heller und sein Assistent Werner Oldenbusch es gleich mit mehreren Toten zu tun, darunter der 14-jährige Albert Utmann. Die Zustände in dessen Familie, die unter einem kriegstraumatisierten, gewalttätigen Vater leidet, setzen Max und seiner Frau Karin ungewöhnlich heftig zu. Bei den Ermittlungen zu den Todesumständen stoßen die Kommissare nicht nur auf eine Mauer des Schweigens in der Schule, bei den Kameraden und in der Familie des Opfers. Auch sonst will niemand mit der Polizei und den Behörden zusammenarbeiten, denn das Vertrauensverhältnis ist gestört. Sicher scheint, dass Albert und andere Jugendliche in den illegalen Handel mit Lebensmittelkarten, Lebensmitteln, Zigaretten und Medikamente verstrickt sind – aber wer steckt dahinter? Liegt darin wirklich der Schlüssel zur Aufklärung der Todesfälle? Und wie hängen die Toten zusammen?
So viele Themen schneidet Frank Goldammer an, dass man sie gar nicht alle aufzählen kann, aber trotzdem wirkt das Buch nie oberflächlich. Besonders interessant für mich als Westdeutsche ist die Ostperspektive, denn Ereignisse wie beispielsweise die Währungsreform kannte ich bisher aus den Erzählungen meiner Großeltern und aus der Schule nur aus Westsicht. Auch die Entwicklung von Hellers Söhnen verfolge ich seit dem ersten Band mit Aufmerksamkeit. Nach dem Krieg ist Erwin im Westen geblieben, studiert Jura und schickt Pakete voller Schätze über Schweden nach Hause, während der verbitterte, verschlossene Klaus im Kampf gegen seine Kriegs- und Nazi-Dämonen SED-Mitglied geworden ist, schnell Karriere gemacht hat und mit fragwürdigen Methoden nach Saboteuren, Spionen und subversiven Elementen fahndet. Dabei kommt er sogar in Konflikt mit der Arbeit seines Vaters, die er zu unterbinden versucht, wo sie seinen eigenen politischen Ermittlungen in die Quere kommen.
Der Showdown, begleitet von Blitz und Donner nach langer Hitzeperiode, hat mich dann noch einmal sehr überrascht und ich musste die letzten Seiten zweimal lesen, um auch wirklich nichts zu verpassen.
Wer einen gut geschriebenen, leserfreundlich gedruckten, ausgesprochen atmosphärischen Roman über die unmittelbare Nachkriegszeit in Ostdeutschland lesen möchte, dem kann ich dieses Buch nur sehr empfehlen, egal ob Krimileser oder nicht.
Frank Goldammer: Vergessene Seelen. dtv 2018
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