Henning Mankell: Der Sprengmeister

Ein ganzes Arbeiterleben

Beim Tod Henning Mankells 2015 habe ich es sehr bedauert, dass es in Zukunft keine neuen Bücher eines meiner Lieblingsautoren mehr geben würde. Als 2017 dann Der Sandmaler, ein Frühwerk aus dem Jahr 1974, erstmals auf Deutsch erschien, war ich nicht sicher, ob man ihm damit einen Dienst erwiesen hatte, denn der Roman kam mir vergleichsweise sprachlich unreif vor. Doch mit Der Sprengmeister wurde nun sein Debütroman aus dem Jahr 1973 übersetzt, der mir viel besser gefiel und stilistisch bereits ein „echter Mankell“ ist. Ob es daran liegt, dass Henning Mankell 1997 sprachliche Änderungen darin vorgenahm? Inhaltlich zumindest blieb das Buch unverändert, da er zurecht keine Notwendigkeit für Korrekturen sah. Dieser Roman, den er mit 25 Jahren schrieb, greift bereits die sozialpolitischen Themen seines späteren Werkes auf, ist politisch aber radikaler.

Erzählt wird das Leben des Sprengmeisters Oskar Johansson, geboren 1888 in Norrköping als Sohn und Enkel von Arbeitern, der im Juni 1911 bei Sprengungen für einen Eisenbahntunnel eine Detonation aus nächster Nähe nur durch ein Wunder überlebt. Der namenlose Ich-Erzähler lernt ihn erst kennen, als Oskar, Witwer und pensioniert, seine Sommer bis zu seinem Tod im April 1969 in einer umgebauten Sauna auf einer Insel im äußeren Stockholmer Schärengarten verbringt. Er schildert in nicht-chronologischer Abfolge und ohne ein überflüssiges Wort einerseits eigene Beobachtungen, andererseits gibt er wieder, was Oskar ihm über sein Leben erzählt hat. Das Ergebnis seiner Arbeit beschreibt der Ich-Erzähler so: „Die Erzählung über Oskar ist wie ein Eisberg. Man sieht nur einen kleinen Teil. Der Großteil ist unter der Oberfläche verborgen. Dort befindet sich die größte Masse Eis, die dem Berg das Gleichgewicht im Wasser verleiht und ihn stabil dahingleiten lässt.“ Uneinig sind sich Erzähler und Protagonist über Oskars Bedeutung: Während Oskar darauf beharrt, nichts Besonderes zu sein, ist der Erzähler vom Gegenteil überzeugt.

Doch was ist das Besondere an diesem Arbeiterleben im Schweden des vorhergehenden Jahrhunderts? Mit Sicherheit das Sprengstoffunglück, das er schwer körperlich versehrt überlebt. Unbeugsam arbeitet er dennoch ein Jahr später wieder als Sprengmeister, mit Unterbrechungen durch Arbeitslosigkeit bis zu seiner Rente im Jahr 1954. Breiten Raum im Roman nimmt das politische Engagement Oskars ein, für das ihn der Vater 1910 aus dem Haus wirft, denn einen Sozialisten mag er nicht dulden. Oskars Traum von einer gerechteren Gesellschaft führt ihn zunächst in die sozialdemokratische Partei, doch als ihm „zu wenig in zu langer Zeit“ geschieht, tritt er aus, wird Kommunist und ist bis zuletzt von einer bevorstehenden Revolution überzeugt.

Den Titel meiner Rezension, „Ein ganzes Arbeiterleben“, habe ich nicht zufällig gewählt. Immer wieder fühlte ich mich an Robert Seethalers herausragenden Roman Ein ganzes Leben erinnert, auch wenn dessen Protagonist Andreas Egger weit weniger aufbegehrt als Oskar Johansson.

Henning Mankell: Der Sprengmeister. Zsolnay 2018
www.hanser-literaturverlage.de/verlage/zsolnay-deuticke

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