Linda Winterberg: Das Haus der verlorenen Kinder

Die Schatten der Vergangenheit

Dieses Buch hatte mich wegen des interessanten Themas sofort angesprochen. Über die sog. „Deutschenmädchen“ in Norwegen und den „Lebensbornverein“ hatte ich schon gehört, wusste aber nicht genau Bescheid. Hier habe ich in diesem Roman durchaus Neues erfahren, v. a. auch durch das interessante Nachwort der Verfasserin.

Exemplarisch für die jungen Norwegerinnen, die sich während des Zweiten Weltkriegs in deutsche Soldaten verliebten und von ihnen schwanger wurden, stehen die beiden Freundinnen Lisbet und Oda aus dem südnorwegischen Loshavn. Als die deutschen Besatzer 1941 in das malerisch an der Schärenküste gelegene Städtchen kommen, verliebt sich die besonnene Lisbet in den ruhigen Erich, die eher spontane, leichtsinnige Oda in den Draufgänger Günther. Beide Männer werden kurz darauf an die Ostfront versetzt, während die schwangeren Freundinnen, von ihren Familien verstoßen und von der norwegischen Gesellschaft als „Deutschenmädchen“ geächtet, in einem Heim des deutschen Lebensbornvereins nahe Oslo landen. Doch während das Kind der arischen Lisbet als „Zuchtkind“ ein hohes Ansehen genießt und mühelos Adoptionseltern im Deutschen Reich fände, kommt für Odas Tochter als Kind einer minderwertigen Halbsamin nur ein norwegisches Waisenhaus in Betracht. Beide Mütter möchten jedoch ihre Kinder behalten und Lisbet, die von Erich regelmäßig Liebesbriefe aus Russland erhält, träumt sogar von einer gemeinsamen Zukunft. Da verändert ein schrecklicher Streit zwischen den Freundinnen im Dezember 1942 mit einem Schlag alles…

Ein zweiter Handlungsstrang spielt 2005 in einem Altersheim mit NS-Vergangenheit in Wiesbaden und führt drei Personen zusammen, deren Leben von Verlusten geprägt sind: Marie, die junge Waise, die ein soziales Jahr in diesem Heim ableistet, dessen Foto sie in den Hinterlassenschaften ihrer Mutter gefunden hat, den jungen norwegischen Küchenhelfer Jan und Betty, eine charismatische Bewohnerin.

Die Zusammenhänge zwischen Lisbet, Oda, Marie, Jan und Betty werden wie in einem Puzzlespiel stückchenweise erkennbar. Der Roman entwickelt dadurch eine Spannung, der ich mich nicht entziehen konnte, auch wenn die Zufälle mir im Handlungsstrang der Jetzt-Zeit deutlich zu gehäuft waren. Hier wirkte mir vieles zu konstruiert. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den Schreibstil. Die Handlung ist an sich schon sehr berührend und geht wirklich zu Herzen. Das Schicksal der Deutschenmädchen und die bis in die heutige Zeit reichenden Folgen, die gut herausgearbeitet werden,  berühren tief. Dass auch der Autorin das Schicksal ihrer Figuren sehr naheging, kann ich gut verstehen, trotzdem hätte ein etwas distanzierterer Stil mit weniger „Tränen in den Augen“ dem Roman sehr gut getan. Weniger  wäre an dieser Stelle eindeutig mehr gewesen.

Obwohl ich aufgrund der genannten Kritikpunkte nur drei Sterne vergeben kann, habe ich die Lektüre insgesamt nicht bereut und bin davon überzeugt, dass der Roman bei vielen vor allem Leserinnen Anklang finden wird.

Linda Winterberg: Das Haus der verlorenen Kinder. Aufbau 2016
www.aufbau-verlag.de

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