Matthias Nawrat: Reise nach Maine

  Altlasten im Reisegepäck

Ein namenloser Ich-Erzähler und Schriftsteller reist im Sommer 2018 mit seiner Mutter Celina nach New York und die Ostküste hinauf gen Norden, den gesamten Ballast der gemeinsamen Familiengeschichte im Gepäck. Geplant war nur eine gemeinsame Woche in New York, anschließend wollte man getrennte Wege gehen, doch kaum waren die Flüge gebucht, informierte die Mutter ihn über ihre geänderten Absichten. Der 41-jährige Sohn mit unübersehbaren biografischen Gemeinsamkeiten zum Autor Matthias Nawrat fühlt sich ausgetrickst, um seine „Allein-Woche“ in den Neuenglandstaaten betrogen. Überhaupt vermutet die Mutter zurecht, der Sohn hätte sie nur aus Mitleid mitgenommen:

Ich hatte die Reise nach New York meiner Mutter zuliebe vorgeschlagen. Sie behauptete seit einigen Jahren immer wieder, dass weder mein Bruder noch ich gern Zeit mit ihr verbrachten, dass niemand von uns sie wirklich möge. Sie sei trotz der Scheidung von meinem Vater immer für alle da gewesen, habe die Familie zusammengehalten, aber für sie interessiere sich keiner. Ich hatte gehofft, dass mein Vorschlag, gemeinsam nach New York zu fliegen, sie endlich vom Gegenteil überzeugen würde. (S. 11)

© B. Busch

Kein gutes Omen
Über der Reise liegen von Beginn an die Schatten der Überrumpelung und der unbewältigten Mutter-Sohn-Probleme. Nur ein Unfall der Mutter unmittelbar nach der Ankunft verhindert eine frühere Eskalation, denn zur unterdrückten Wut des Sohnes kommt nun Sorge über das entstellte Gesicht der Mutter. Doch unaufhaltsam schaukelt der Konflikt sich hoch, altbekannte gegenseitige Vorwürfe werden erst leise, dann immer lauter hörbar bis zur offenen Auseinandersetzung in Camden, Maine, am nördlichsten Punkt der Reise. Während die Mutter sich und ihre Aufopferung für die Familie nach der Migration von Polen nach Deutschland nicht genug gewürdigt sieht, verbittet der Sohn sich ihre übergriffige Einmischung in sein Leben:

Was kann ich denn dafür, dass eure Ehe nicht funktioniert hat?, sagte ich. Was hat das mit mir zu tun?
Ich will, dass du etwas daraus lernst, sagte meine Mutter.
Was soll ich denn daraus lernen?, sagte ich. Ich will das nicht mehr hören. Ich will darüber nicht mehr sprechen. Ich habe mein eigenes Leben und meine eigenen Probleme. (S. 210)

Anderes als erwartet
Positive Rezensionen im Feuilleton, die vielversprechende Kombination aus Roadmovie durch eine mir bekannte Landschaft und ein Mutter-Sohn-Konflikt sowie das gelungene Cover haben mich bewogen, diesen schmalen Roman zu lesen. Am Ende bleibe ich allerdings zwiegespalten zurück, weil mir die Geschichte etwas zu unspektakulär war und die Landschaftsbeschreibungen zu kurz kamen. Ich habe die Lektüre auch nicht als „hochkomischen Roman einer nicht ganz einfachen Beziehung“ empfunden, wie es der Umschlagtext verspricht, sondern als eine traurige, kaum aufzulösende Entfremdung zweier auf ihrer Überzeugung des Nichtverstandenwerdens beharrender Protagonisten. Immer dann allerdings, wenn es um die Migrationsgeschichte der Familie ging, die das Verhalten der Mutter verständlicher macht, wurde es interessant, ebenso bei den Gedanken des Protagonisten zum eigenen Schreiben und den Gesprächen mit erstaunlich offenen Reisebekanntschaften. Nervig trotz ansonsten schöner Sprache ist allerdings die Wiederholung der Wörter „sagte“ und „fragte“ in den Dialogen, so wie beim oben zitierten Abschnitt, teilweise mehr als ein Dutzend Mal pro Seite.

Matthias Nawrat: Reise nach Maine. Rowohlt 2021
www.rowohlt.de

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