Andreas Schlüter: Spacekids

Eintritt ins Universum

Normalerweise bewerte ich Bücher ganz einfach danach, wie sie mir gefallen, in diesem Fall ist das anders. Ich bin kein Fan von Science-Fiction-Literatur und werde es vermutlich auch nicht mehr, aber dieses Buch trifft so genau einen Bedarf im schwach besetzten Bereich „Literatur für Jungs ab zehn“, dass ich gerne und voller Überzeugung fünf Sterne vergebe.

Meine Anerkennung betrifft zunächst die Gestaltung. Das Cover spricht exakt die Zielgruppe an: Jungs ab ca. neun Jahre. Absolut wichtig dafür ist, dass ein Junge im Vordergrund in der Mitte steht, denn anders akzeptieren die meisten männlichen jugendlichen Leser das leider nicht. Die Farbgebung ist neutral und mit den beiden Mädchen im Hintergrund wird sich sicher auch die ein oder andere Leserin finden. Das ganze Bild samt Schrift ist futuristisch gestaltet und weist bereits auf die Themen Weltraum und Zeitreise hin. Alles richtig gemacht, dtv!

Perry und Lea sowie Marvin und Emily sind Geschwisterpaare, zwischen 11 und 13 Jahren alt und beste Freunde. Alle vier haben eher ungewöhnliche Interessen und Begabungen und gerade dieser Umstand führt dazu, dass die Kinder für eine außergewöhnliche Weltraummission zur Rettung der Menschheit(!) auserwählt werden. Gerade schwimmen sie noch nichtsahnend im Badesee, als sie sich auch schon auf dem Weg zum „Kids’ Planet“ und im Jahr 2200 befinden. Eigentlich sollen sie dort alles für die Evakuierung der Erdbewohner vorbereiten, aber natürlich läuft es nicht so glatt, wie die Raumfahrtzentrale das geplant hat… Doch am Ende kann man feststellen: Erste Bewährungsprobe bestanden, aber es liegen noch sehr viel Arbeit und sicher auch ebenso interessante wie gefährliche Abenteuer vor den vier Freunden!

Spacekids ist der unglaublich spannende Beginn eines Weltraumabenteuer-Romans, in dem es vor Cliffhangern nur so wimmelt, der mit all seinen technischen Informationen anspruchsvoll zu lesen ist, in dem alle Zusammenhänge aber sehr gut verständlich erklärt werden, und bei dem der Humor trotz aller Bedrohung nicht zu kurz kommt.

Andreas Schlüter: Spacekids. dtv junior 2015
www.dtv.de

Fee Krämer: Jette erst recht!

Ein Energiebündel mit Herz in Aktion

Jette, eine pfiffige, sympathische, jedoch noch sehr kindliche Neunjährige, hat es nicht ganz leicht: Ihr alleinerziehender Vater, Besitzer eines kleinen, intimen Cafés mit dem Namen „Wohnzimmer“,  verschwendet die gemeinsame Zeit mit so unnötige Nebensächlichkeiten wie Hausaufgaben- und Zahnputzkontrolle und mischt sich damit nach Jettes Meinung zu sehr ein.

Zum Glück hat Jette ihren treuen Freund Konrad, ihre verfressene Ratte mit dem originellen Namen Herr Mann und ihr Hobby: Reportern. Mit Stift und Block bewaffnet, interviewt sie gerne die Gäste im „Wohnzimmer“. Dass ihr dabei ab und zu Herr Mann aus der Bauchtasche klettert und sich über die Kuchen hermacht, trägt nicht zum Einverständnis mit ihrem sonst so liebevollen Vater bei…

Von Konrad, dessen Eltern eine harmonische Ehe führen, erfährt Jette von der „Elternzeit“, in der Eltern sich nur Zeit für sich nehmen und die Kinder sich selbst überlassen. Deshalb kommt sie auf die Idee, eine passende Frau für ihren Vater zu suchen. Doch ob die Kriterien, die sie dafür mit Konrads Hilfe aufstellt, taugen? Und ob sie die Eigenaktivitäten ihres Vater
nicht unterschätzt?

Die Geschichte um Jette und ihre quirligen Einfälle ist nett und einfühlsam erzählt, doch meiner Ansicht nach nicht für die anvisierte Altersgruppe ab acht, sondern für Mädchen zwischen fünf und acht Jahren. Es passiert mir so gut wie nie, dass ich die Altersempfehlung eines Verlags nach unten korrigiere, aber in diesem Fall sind der Text und vor allem auch die Illustrationen (das Mädchen auf dem fröhlichen Cover sieht eher wie ein Kindergartenkind als wie eine Neunjährige aus) eindeutig für eine jüngere Zielgruppe passend. Und die wird beim (Vor-)Lesen sicher ihren Spaß haben.

Fee Krämer: Jette erst recht! Sauerländer 2015
www.fischerverlage.de

Simone van der Vlugt: Schattenschwester

Psychothriller um Zwillingsschwestern

Marjolein und Marlieke sind Zwillinge, doch so ähnlich sie sich äußerlich sind, so verschieden sind sie im Wesen. Während die extrovertierte Marjolein eine angesehene Lehrerin an einer Rotterdamer Problemschule und glücklich verheiratete Mutter einer Tochter ist, lebt Marlieke als Fotografin eher bescheiden und zurückgezogen.

Marjoleins Leben gerät aus den Fugen, als ein moslemischer Schüler sie während des Unterrichts mit einem Messer bedroht. Ihr Chef und ihre Kollegen fürchten eher um den Ruf der Schule als um Marjolein, die sich von diesem Schüler verfolgt fühlt. Und kurz darauf ist Marjolein wirklich tot, ermordet. Aber war es wirklich der Schüler? Wie gut war eigentlich Marjoleins Ehe tatsächlich? Und fühlt die heftig trauernde Marlieke sich durch das Fehlen der dominanten Schwester nicht auch befreit?

Abwechselnd erzählen Marjolein und Marlieke, die eine von der Zeit vor dem Mord, die andere von der Zeit danach. Doch je mehr man als Leser erfährt, desto unklarer scheint der wirkliche Tathergang zu werden.

Der Thriller liest sich leicht, mir manchmal etwas zu leicht, und kommt trotz der zweifellos vorhandenen Spannung nicht an Simone van der Vlugts ersten Thriller Klassentreffen heran.

Simone van der Vlugt: Schattenschwester. Diana 2007
www.randomhouse.de

Richard Kurti: Krieg der Affen

„Du kannst die Zukunft ändern“ (Papina)

Ausgangspunkt für den ersten Roman des Briten Richard Kurti, der in Cambridge Philosophie und Englisch studiert und bisher als Drehbuchautor und Regisseur gearbeitet hat, ist eine wahre Begebenheit. Als es in New Delhi durch die angriffslustigen und frech stehlenden wilden Rhesusaffen zu einem tragischen Unfall mit Todesfolgen kam, sah sich die Stadtverwaltung zu Gegenmaßnahmen gezwungen. Da gläubige Hindus Affen als Verkörperung des Affengottes Hanuman ansehen und ein direktes Vorgehen der Behörden dadurch nicht möglich war, wurde mit der Ansiedlung der den Rhesus körperlich überlegenen Languren versucht, erstere zu vertreiben.

Kurtis Roman spielt in Kalkutta und beginnt mit einem brutalen Massaker von Languren an einer Rhesushorde, die seit langem friedlich auf einem alten Friedhof haust. Die übrig gebliebenen Rhesusweibchen und ihre Jungen fliehen und schlagen sich zunächst mühsam auf der Straße durch, bevor sie in einem übervölkerten Ghetto für vertriebene Rhesus Unterschlupf finden, die Languren beziehen den Friedhof. Zwei junge Affen erleben den Beginn dieses Bürgerkriegs hautnah mit: der kleine Langur Mico, der nun ein fantastisches neues Zuhause übernimmt, aber schon bald entdeckt, mit welcher Grausamkeit es erkauft wurde, und die kleine Rhesusäffin Papina, die nicht nur ihren Vater, sondern auch ihre Heimat verloren hat.

Als der Anführer der Langurenhorde, Lord Gospodar, bald darauf unter ungeklärten Umständen stirbt, setzt sich der kluge aber durchtriebene und vollkommen skrupellose Tyrell an die Spitze der Languren. Sein Machthunger ist unstillbar, bald träumt er davon, nicht nur seine Affengegner, sondern die Menschen der Stadt auszurotten oder zu beherrschen. Jedes Mittel ist ihm recht und er schreckt vor keiner Lüge zurück, um seine Ziele zu erreichen. Während er seine Macht immer mehr ausbaut und dazu sogar Berberaffen als Söldner anheuert, werden seine Languren immer unfreier und unselbständiger.

Der kluge Mico, der aus Berechnung in Tyrells Diktatur immer weiter aufgestiegen ist, führt ein Doppelleben: Mit seiner heimlichen Freundschaft zu Papina überbrücken die beiden als einzige die feindlichen Gräben und hoffen darauf, mit Micos Insiderinformationen aus dem Machtzentrum der Languren dem Frieden zwischen den verfeindeten Stämmen näher zu kommen.

Richard Kurtis großartig erzählter Roman, der immer wieder an George Orwells Animal Farm erinnert, ist eine lange, düstere Parabel, in der sich immer wieder die Frage stellt, inwieweit und aus welchen Beweggründen der einzelne in einem Unrechtsregime kollaborieren darf. Er zeigt aber auch, wie die Affen sich durch den Entzug der Freiheit verändern, und dass es sich lohnt, mit List gegen scheinbar übermächtige Gegner vorzugehen. Und nicht zuletzt ist es die Geschichte einer Freundschaft über Gräben hinweg.

Ein ausgesprochen empfehlenswerter Roman mit vielen Denkanstößen für alle ab 16 Jahren, wegen einiger sehr grausamer Szenen aber nicht früher.

Richard Kurti: Krieg der Affen. dtv 2015
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Marliese Arold: Primel und das Alibi

Der lispelnde Hase löst das Rätsel um die gefällten Bäume

Primel, der lispelnde Hase mit den Riesenzähnen, wird von den anderen Tieren beschuldigt, die Bäume am Flussufer gefällt zu haben. Vor Empörung vergeht ihm sogar die Lust an seiner geplanten Geburtstagsfeier. Doch sein Freund Balduin, der Schmetterling, gibt ihm einen guten Rat: Primel muss den Schuldigen finden, erst dann werden die anderen Tiere ihm glauben. So macht Primel sich mit List auf die Suche nach dem Täter und findet zuletzt einen neuen Freund, dessen Zähne aussehen wie seine eigenen. Und die anderen Tiere müssen akzeptieren, dass was offensichtlich erscheint doch oft ganz anders ist …

Dieses Bilderbuch mit umfangreichem Text von Marliese Arold und liebevollen Illustrationen von Annet Rudolph macht Erwachsenen und Kindern ab ca. vier Jahren gleichermaßen Spaß beim Anschauen und Vorlesen und regt nebenbei zum Nachdenken an.

Marliese Arold: Primel und das Alibi. Parabel 2006

Bruno Morchio: Wölfe in Genua

 Der Mensch ist des Menschen Wolf

Privatdetektiv Bacci Pagano, Ich-Erzähler und tätig in Genua, löst seinen zweiten Fall.

Ein reicher, 68-jähriger Rentner, Kredithai, ist im Parco del Peralto am Rande der Stadt ermordet worden. Tatwerkzeug: ein Wolf, der ihm die Kehle
durchgebissen hat. Da der alte Mann kurz vor seiner Ermordung eine Lebensversicherung über eine horrende Summe abgeschlossen hat,
möchte die Versicherungsgesellschaft unbedingt die junge, attraktive Witwe des Mordes überführen und engagiert zu diesem Zweck den Detektiv. Doch Pagano und sein Freund, der Vicequestore Salvatore Pertusiello, würden zu gerne ihre Unschuld nachweisen …

Wölfe in Genua ist ein spannender Krimi ohne übertriebene Actionszenen, mit viel Lokalkolorit und einem interessanten Protagonisten mit bewegtem Privatleben.

Bruno Morchio: Wölfe in Genua. Goldmann 2013
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Fredrik Skagen: Schwarz vor Augen

Amnesie

Frederik Skagen, norwegischer Krimiautor, hat mit Schwarz vor Augen einen Krimi geschrieben, der mich spontan zunächst an Ken Folletts Das zweite Gedächtnis erinnert hat, dann aber doch eine eigene Wendung nahm.

Im Mittelpunkt steht ein Mann, der sein Gedächtnis verloren hat. Er steht auf einer Straße vor einem Lokal in einer ihm unbekannten Stadt (London) ohne Brieftasche und weiß nicht, wer er ist. Er merkt nur, dass sein Körper mit heftigen Schmerzen reagiert, wenn er sich zu erinnern versucht. Also beginnt er sich zu orientieren und schafft sich eine neue Identität. Als seine Frau Linda, sein Vater, die englische Polizei, die norwegische Presse und der Freund einer Frau, wegen deren Ermordung der Mann gerade aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde, nach ihm suchen, zieht sich das Netz immer mehr zusammen…

Schwarz vor Augen ist ein spannender Krimi mit einem ebenso unerwarteten wie plausiblen Ende.

Fredrik Skagen: Schwarz vor Augen. Diana 2001
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Maja Nielsen: Charles Darwin

Das Abenteuer der Evolution – Charles Darwin für Kinder und Jugendliche ab zehn

Zum 200. Geburtstag von Charles Darwin ist in der Reihe „Abenteuer und Wissen“ von Maja Nielsen ein Band erschienen, der Kindern und  Jugendlichen ab zehn Jahren den großen Theologen und Naturforscher auf spannende und lebendige Weise nahe bringt. Der Schwerpunkt der reich bebilderten, gut verständlichen und übersichtlichen Biografie liegt bei Darwins fünf Jahre dauernder Reise auf der Beagle und seinen spektakulären Funden. Sehr anschaulich wird erklärt, warum er 20 Jahre brauchte, bis er seine Ergebnisse veröffentlichte, und warum seine Forschungen die Welt veränderten.

Wie bei allen Bänden der Reihe hat Maja Nielsen sich auch hier einen Experten als Co-Autor gesucht, in diesem Fall den Leiter der Forschungsabteilung des Naturkundemuseums in Berlin, Dr. Matthias Glaubrecht, dessen Forschungsarbeit ein eigenes Kapitel gewidmet ist.
Abgerundet wird dieses sehr empfehlenswerte Jugendsachbuch durch ein Zeitregister und Tipps für weiterführende Literatur, Filme und empfehlenswerte Museen.

Maja Nielsen: Charles Darwin. Gerstenberg 2009
www.gerstenberg-verlag.de

Helen Simonson: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Very british!

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft ist eine heitere, ungewöhnliche und sehr britische Geschichte über ein Liebespaar, dass äußerlich nicht unterschiedlicher sein könnte. Darin wird mehr Tee getrunken als in jedem schwedischen Krimi Kaffee und auch den Leserinnen und Leser sei die Lektüre mit einer Tasse englischem Tee empfohlen.

Major a. D. Ernest Pettigrew ist 68 Jahre alt, verwitwet nach glücklicher Ehe, hat einen herzlosen Banker als Sohn, mit dem ihn nichts verbindet, und ist ein britischer Gentleman der alten Schule mit perfekten Umgangsformen. Er lebt zurückgezogen in einem hübschen Haus, hat nichts als seinen Golfclub und die Entenjagd und ist sehr, sehr einsam.

Jasmina Ali, eine 58-jährige Witwe pakistanischer Herkunft mit einer schwierigen Familie ist glückliche Besitzerin eines Dorfladens und entstammt einer völlig anderen Welt als Pettigrew. Die Annäherung zwischen den beiden wird deshalb von den Familien und der Dorfgemeinschaft misstrauisch verfolgt und als völlig unpassend empfunden. Dabei finden die beiden einsamen Literaturliebhaber allmählich von der Freundschaft zur Liebe…

Ein leises Buch über ein schleichendes Verlieben zweier scheinbar ungleicher Herzen mit viel britischem Humor, aber völlig ohne Kitsch, dessen englischer Titel Major Pettigrews Last Stand (= Major Pettigrews letztes Gefecht) viel besser passt, da nicht Mrs. Ali sondern der Major im Mittelpunkt der Geschichte steht.

Helen Simonson: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft. Knaur
www.droemer-knaur.de

Linn Ullmann: Gnade

Ein berührender Roman zum Thema Sterbehilfe

Johan Sletten war immer durchschnittlich. Seine erste Ehe verlief unglücklich, der Sohn ist ihm fremd und als Journalist wurde er frühpensioniert. Eine „Gnade“ ist für ihn deshalb seine zweite Frau Mai, eine 17 Jahre jüngere Kinderärztin, sein spätes Glück.

Mit 71 erfährt Johan, dass er unheilbar krebskrank ist. Er kämpft, doch zugleich wünscht er sich einen würdevollen Tod, wenn es zum Ende kommt. Dabei soll Mai ihm helfen, wenn es so weit ist.

Der schmale Roman ist weder schwermütig noch pathetisch, aber ein äußerst berührender Beitrag zum Thema Sterbehilfe.

Linn Ullmann: Gnade. btb 2013
www.randomhouse.de