„Aber nicht sie waren es, die hier bestimmten“
Roy Jacobsens Roman von 2013, der zwischen 1913 und 1928 auf der kleinen Insel Barrøy vor der nordnorwegischen Helgelandküste spielt, basiert auf einer wahren Geschichte. Doch steht nicht so sehr die Handlung im Mittelpunkt, vielmehr sind die raue Natur, die karge Landschaft und die unwirtlichen Lebensbedingungen das Hauptthema.
Bewohner von Barrøy sind zu Beginn des Romans Hans Barrøy und seine Frau Maria, ihre kleine Tochter Ingrid, Hans’ geistig behinderte Schwester Barbro und sein alter Vater Martin. In kurzen Kapiteln, die einzelne Schlaglichter auf ihr Leben werfen, erleben wir hautnah mit, wie sie dem menschenfeindlichen Klima mit seinen Stürmen, dem Eis, manchmal auch der Hitze und Trockenheit, trotzen. Sie leben von dem, was die karge Landschaft ihnen bewilligt, Fisch, Torf, Eiderdaunen, Möweneier, Milch und Kartoffeln. Alles andere, was sie zum Leben brauchen, tauschen sie bei ihren seltenen Ausflügen zum Handelskontor auf dem Festland ein. Die Jahreszeiten bestimmen den Rhythmus des Lebens, jedem Monat sind bestimmte Aufgaben zugeteilt, und die ersten Wochen jedes neuen Jahres verbringt Hans beim Fischfang auf den Lofoten, einer ebenso mühsamen wie gefährlichen Unternehmung. Zusammenhalt ist das Zauberwort, das ein Überleben in dieser menschenfeindlichen Umgebung möglich macht. Kindheit gibt es nicht, Ingrid und später ihr Cousin Lars nehmen von Anfang an am Leben der Erwachsenen und an allen Arbeiten teil.
Wie die Generationen vor ihnen möchte auch Hans die Insel voranbringen, und so arbeitet er laufend an Verbesserungen. Die größte Veränderung bringt ein neuer Kai, der schließlich den Anschluss Barrøys an die Milchroute zur Folge hat, ein Meilenstein in der Anbindung an die Außenwelt.
Roy Jacobsen hat einen ebenso poetischen wie sprachgewaltigen, melodiösen Roman über die übermächtige Natur geschrieben. Die Menschen haben hier eine nachrangige Bedeutung, wie der Originaltitel De Usynlige oder „Die Unsichtbaren“, unter dem das Buch 2014 im Osburg Verlag erschien, es bereits zum Ausdruck bringt. Der tägliche harte, verbissene Kampf ums Überleben hat die in sich gekehrten, wortkargen Inselbewohner zu ungemein starken Persönlichkeiten werden lassen, die unbeirrbar an ihrer Heimat festhalten und mit einer bewundernswürdigen Beharrlichkeit Verbesserungen für sich und ihre Nachkommen erzwingen, auch wenn ihnen jede Veränderung schweres Kopfzerbrechen bereitet.
Ich empfehle diesen Roman allen, die offen für ungewöhnliche Geschichten und einzigartige Naturschilderungen sind. Und allen, die Ulla-Lena Lundbergs Eis genauso lieben wie ich.
Roy Jacobsen: In jenen hellen Nächten. Insel 2015
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