Sigge Eklund: Das Labyrinth

Kein Krimi, aber ein absolut empfehlenswertes Drama!

Fast alles hat der DuMont Buchverlag bei diesem Buch richtig gemacht: Die Klappenbroschur liegt angenehm in der Hand, das Cover ist ansprechend, die schnörkellose Schrift auf dem Cover passt wunderbar zur Sprache des Textes, nur den Vergleich mit „Gone Girl“ hätte man besser unterlassen, denn so wurden falsche Erwartungen geweckt und teilweise die falschen Leser angezogen. Schade!

Wie schon deutlich auf dem Cover zu lesen ist, ist Das Labyrinth kein Krimi, erst recht kein Thriller, sondern ein Roman, besser noch ein Psychodrama, um vier Erwachsene und ein elfjähriges Mädchen. Magda, das Mädchen, verschwindet im Mai 2010 spurlos aus ihrem Bett, während die Eltern Åsa und Martin in einem hundert Meter entfernten Restaurant zu Abend essen. Während man in neun Kapiteln, die jeweils mit einem Namen eines der vier Erwachsenen und einem genauen Zeitraum zwischen Dezember 2009 und März 2011 überschrieben sind, die Gefühlwelt eben dieser Protagonisten detailliert kennenlernt, bleibt Magda ein Phantom. Wir erfahren von ihr nicht mehr, als dass sie ein verschlossenes, einzelgängerisches, schwieriges Kind ist. Dem Vater und den Klassenkameraden fremd, von der Mutter, einer fanatischen Psychologin, nach ideologischen Grundsätzen, aber mit wenig Liebe erzogen, kommt der Leser ihr nicht näher, und dass am Ende die überraschende Auflösung ihres Verschwindens so unspektakulär wie tragisch ist, passt zu ihrer Unscheinbarkeit.

Im Mittelpunkt des Dramas steht also nicht Magda, die nur der Anlass für den Roman ist, sondern ihre Eltern Åsa und Martin sowie ein weiteres Paar, Tom und Katja. Zwischen den vier Hauptpersonen gibt es mannigfaltige Verbindungen, von denen der Leser erst im Laufe der Handlung puzzlestückhaft erfährt. Keine der Hauptpersonen war mir besonders sympathisch, alle tragen so viel Ballast mit sich herum, dass sie kaum Empathie für ihre Umgebung aufbringen. Trotzdem wäre ohne Magdas Verschwinden vielleicht alles weitergelaufen wie bisher. Aber nun sind Welten aus den Fugen geraten, besonders bei den Eltern, gegen die sich der erste Verdacht der Polizei richtet.

Besonders interessant ist die gewählte Erzählweise: Obwohl die Kapitel nicht in der Ich-Form abgefasst sind, sondern ein auktorialer Erzähler berichtet, ist dieser nicht immer vertrauenswürdig, wie man es erwarten würde. Man muss also mehrere Versionen lesen, um die Wahrheit zu erkennen. Da nicht chronologisch erzählt wird, sind die Anforderung an den Leser nicht gering, eine Anstrengung, für die man mit einer höchst spannenden, psychologisch tiefgehenden Handlung belohnt wird.

Mir hat dieser Roman ausnehmend gut gefallen. Die nüchterne Sprache, das durchgängig hohe Spannungsniveau, die psychologisch sehr gut ausgearbeiteten Charaktere, die mosaikhafte Erzählweise und die Tatsache, dass am Ende die losen Fäden kunstvoll verknüpft werden, machen dieses Drama für mich absolut empfehlenswert!

Sigge Eklund: Das Labyrinth. DuMont 2015
www.dumont-buchverlag.de

Rosamund Lupton: Liebste Tess

 Nichts ist so, wie es scheint

Als Beatrice vom Verschwinden ihrer jüngeren Schwester, Kunststudentin in London und ihr charakterlich völlig unähnlich, erfährt, beginnt sie unverzüglich mit den Nachforschungen. Im Gegensatz zur Polizei, die nach dem Fund der Leiche von einem Selbstmord ausgeht, kann und will Beatrice dies nicht glauben und recherchiert ohne Rücksicht auf sich selbst alleine weiter…

Rosamund Lupton hat ihren ersten Roman in Form eines Briefes von Beatrice an ihre tote Schwester geschrieben, in dem sie von ihrer Trauer und ihren Schuldgefühlen, den verschiedenen von ihr verfolgten Spuren und ihrem eigenen Leben erzählt – bis zum völlig überraschenden Showdown.

Rosamund Lupton: Liebste Tess. dtv 2012
www.dtv.de

Boris Pfeiffer: Unter der Stadt

Gruselig und spannend

Unsichtbar und trotzdem da heißt diese Kinder-Krimi-Serie für Leser ab ca. neun Jahren. Unter der Stadt ist bereits der zweite Band, doch kann man ihn auch unabhängig lesen, da alle nötigen Informationen gegeben werden. Gleichzeitig sind aber so viele spannende Details aus dem ersten Band erwähnt, dass man ihn unbedingt auch kennenlernen möchte…

Im Mittelpunkt der Serie stehen die drei Berliner Freunde und Kinderdetektive Jenny, Addi und Ağan, die aus völlig unterschiedlichen sozialen Milieus stammen und sich vielleicht genau deshalb so perfekt ergänzen. Der vierte im Bunde ist Goffi, ein intelligentes Äffchen, das für manches Schmunzeln sorgt. Die Bande macht es sich zunutze, dass Kinder im allgemeinen Getümmel oft übersehen werden, daher ihr Name „Unsichtbar-Affen“, und wenn sie einmal nicht übersehen werden und trotzdem unsichtbar bleiben wollen, haben sie ihre Ablenkungstricks.

Im vorliegenden Fall kommen die drei Freunde einer geheimnisvollen Diebesbande auf die Spur. Die Bande des „schönen Christian“,  die wiederum von diesem betrogen wird, schlägt bei ihren Einbruchstouren Schaufensterscheiben ein und verschwindet in einem gigantischen Nebel ebenso spurlos, wie sie aufgetaucht ist. Wie diese Raubzüge mit den Erlebnissen von Ağan bei einer geheimnisvollen, schrecklichen U-Bahn-Fahrt zusammenhängen, bei der er der einzige Passagier ist und auf einer unbekannten Strecke fährt, ist ebenso gruselig wie spannend.

Die 10 Kapitel mit einer gut lesbaren Schrift, übersichtlichen Gestaltung und ansprechenden Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind für Kinder ab ca. neun Jahren gut zu bewältigen. Die Handlungsabläufe stellen dabei durchaus Ansprüche an Konzentration und Fantasie. Hilfreich wäre ein Stadt- oder U-Bahn-Plan von Berlin, um die Handlungsorte zu lokalisieren, vielleicht könnte man das sogar bei einer späteren Auflage vorne eindrucken.

Mir hat bei der Lektüre besonders gut gefallen, wie respektvoll die drei Freunde miteinander umgehen. An keiner Stelle wird Ağan wegen seiner Ängste vor dem U-Bahn-Dschinn lächerlich gemacht und jeder steht für die anderen ein.

Ein sehr empfehlenswertes Kinderbuch für alle, die spannende Serien mögen.

Boris Pfeiffer: Unter der Stadt. Kosmos 2011
www.kosmos.de

Anke Gebert: Über Kreuz

Für den Strand oder die Hängematte

Diese Rezension fällt mir nicht ganz leicht, denn es gibt ein großes „Einerseits-andererseits“. Einerseits habe ich festgestellt, dass mir so kurze Krimis eigentlich zu wenig sind. Für meinen Geschmack fehlen die tiefergehenden Charakterstudien, es gibt zu wenig Personal und zu wenig lose Enden, die zuletzt idealerweise verknüpft werden. Genaugenommen beschränkt sich hier die Ermittlungsarbeit auf 100 Seiten (ab dem Betreten des Schiffes), und das ist einfach zu wenig, um komplexe Strukturen aufzubauen. Das Ende kam daher sehr unvermittelt.

Andererseits: Nicht jeder mag 400-Seiten-Krimis, und für diese Leser ist Über Kreuz eine durchaus empfehlenswerte Lektüre. Obwohl es schon der dritte Band einer Krimiserie ist, bekommt man alles Wissenswerte der ersten beiden Bände mitgeteilt, so dass man problemlos hier einsteigen kann.

Die Privatermittlerin Nina, vor kurzem von Hamburg in ihre Heimatstadt Travemünde zu ihrem Freund gezogen, erhält von einer reichen Nachbarin, Monica, den Auftrag, im Tod von deren Mann Pierre zu ermitteln, der durch eine Verwechslung von Bernstein mit Phosphor verbrannt ist. Die Polizei geht von einem Unfall aus, Monica von Mord, zumal Pierre, ein anerkannter Kunstexperte, einem Fälscher-Ehepaar auf die Spur gekommen ist und dieses anzeigen wollte. Da die Fälscher auf einem Kreuzfahrtschiff arbeiten, starten Monica und Nina zu einer Kreuzfahrt. Während Nina ermittelt und dabei in akute Gefahr gerät, hat Monica noch eine Rechnung mit der Entertainmentchefin offen…

Gut gelungen ist in diesem Krimi die Beschreibung von Travemünde und des Lebens auf dem Kreuzfahrtschiff und auch Pierres Todesart fand ich äußerst originell. Dass aber auch noch die Familiengeschichte von Nina eine so große Rolle spielt, war mir für 170 Seiten zu viel. Hier wäre mir eine größere Fokussierung auf die Ermittlungsarbeit lieber gewesen. Nebenbei gesagt hat mich auch gestört, dass ständig(!) geraucht oder getrunken wurde.

Wer also einen Krimi sucht, den man gut am Strand oder in der Bahn lesen kann, der schön gestaltet und gut gedruckt ist und keine allzu hohen Anforderungen an die Konzentration stellt, dem kann ich Über Kreuz durchaus empfehlen.

Anke Gebert: Über Kreuz. Emons 2015
www.emons-verlag.de

Martin Kluger: Die Gehilfin

Die Berliner Charité um 1900

Wissenschaftshistorische Romane haben Konjunktur, das sieht man z. B. an Kehlmanns Bestseller Die Vermessung der Welt. Auch Martin Klugers Roman Die Gehilfin gehört in dieses Genre, allerdings stellt Kluger im Gegensatz zu Kehlmann eine erfundene Figur in den Mittelpunkt: Henrietta Mahlow.

Bei ihrer Geburt in der Berliner Charité in den 1880er-Jahren stirbt ihre Mutter. Ihr Vater, ein kleiner Schreiner, verfällt zunehmend dem Alkohol. Aus Mitleid bieten Mitarbeiter der Charité ihm eine Tätigkeit als Krankenpfleger bei den Tuberkulosekranken an. So wächst Henrietta in der Charité auf, ihre Kindheit und Jugend verbringt sie zwischen Krankensälen, Leichenkellern, Nährbodenküchen und Laboratorien und wird zum Maskottchen der Ärzte, die in diesen Jahren die Medizin revolutionieren: Rudolf Virchow, Robert Koch, Emil Behring und Paul Ehrlich.

Das vertraute Verhältnis findet jedoch ein abruptes Ende, als die intelligente, neugierige und ehrgeizige junge Frau Medizin studieren und forschen will. So fortschrittlich man in der Charité in medizinischen Fragen denkt – die gesellschaftlichen Strukturen sind zementiert. Doch so leicht lässt sich Henrietta nicht entmutigen: Als Student verkleidet, schleicht sie sich in Hörsäle und beginnt, auf eigene Faust zu forschen …

Martin Kluger erzählt in Die Gehilfin eines der spannendsten Kapitel deutscher Forschungsgeschichte und zugleich die traurige Geschichte einer Frau, die aufgrund ihrer Herkunft und ihres Geschlechts weder ihren Lebenstraum noch ihre große Liebe verwirklichen kann.

Leider konnte mich die Geschichte trotz des interessanten Hintergrunds nicht vollständig überzeugen, zu bemüht und zu konstruiert wirkte sie auf mich.

Martin Kluger: Die Gehilfin. DuMont 2006
www.dumont-buchverlag.de

Kirsten Boie: Die Medlevinger

Fantasy-Krimi für alle ab zehn Jahren

Kirsten Boies Die Medlevinger beginnt mit zwei scheinbar unverknüpften Geschichten, die drucktechnisch so gestaltet sind, dass man immer sofort sieht, in welcher Geschichte man sich gerade befindet. Da ist einmal die Geschichte von Johannes, zwölf Jahre alt, der zusammen mit seiner Mutter in einer Hamburger Erdgeschosswohnung mit Zugang zu einem Hinterhof wohnt, und seiner Freundin Line, die aus Geldnot illegal mit ihrem arbeitslosen Vater auf einer Barkasse im Hafen lebt.

Daneben gibt es die Geschichte aus dem Medlevingerland. Die Medlevinger sehen aus wie kleine Menschen und haben bis vor 500 Jahren friedlich mit den Menschen auf der Erde zusammengelebt, bis einer von ihnen von einem Menschen aus Goldgier ermordet wurde. Seitdem haben sie sich in ihr Land unter der Erde zurückgezogen und sowohl bei den Medlevingern als auch bei den Menschen kennt kaum noch jemand die alte Geschichte. Doch nun sind zwei Medlevinger verschwunden und die beiden Medlevingerkinder Nis und Moa gehen sie suchen. Als sie durch einen langen Gang nach oben gehen, landen sie geradewegs in Johannes‘ Hinterhof …

Die Medlevinger ist ein wirklich außergewöhnliches und sehr detailreiches Kinderbuch, das nicht nur unglaublich spannend bis zum dramatischen Showdown ist, sondern auch – trotz aller Fantasy – die alltäglichen Sorgen und Ängste der Kinder und Jugendlichen aufnimmt. Mal ernst und oft sehr witzig lösen die Kinder ihre Probleme durch ihren Zusammenhalt fast ohne die Hilfe der Erwachsenen, die mit ihren eigenen Nöten zu kämpfen haben.

Definitiv einer meiner Favoriten unter den Büchern für Kinder ab zehn!

Kirsten Boie: Die Medlevinger. Oetinger 2004
www.oetinger.de

Schulamit Meixner: Bleibergs Entscheidung

„Gesegnet sei das Streichholz, das sich verbraucht, indem es die Flamme entzündet“

Als Leopold Bleiberg 1938 mit einem Transport der zionistischen Jugendbewegung von Wien nach Palästina auswandern darf, soll es eine Reise in die Freiheit werden. Doch die schwierigen Umstände elternlos im „Land der Väter“ machen es ihm nicht leicht: Das Leben im Kinderheim, später im Kibbuz, erinnert mehr an Indoktrination und Umerziehung als an Freiheit. Sein Lichtblick ist Ofra, die die Kinder auf dem Schiff von Triest nach Haifa begleitet hat, in die sich der Junge sofort verliebt, und die ihn auch nach der Ankunft noch besucht. Doch dann verschwindet Ofra spurlos, als sie einen weiteren Transport begleiten soll, und lässt Leopold, der sich inzwischen Schraga nennt, endgültig alleine zurück. Sie hat in Wien ihren Pass an ihre alte Freundin Lisl weitergegeben, die damit nach Palästina ausreisen kann. Gerade 18 geworden, meldet Schraga sich bei der Royal Air Force als Fallschirmspringer, offiziell als Widerstandskämpfer gegen die Wehrmacht, im Herzen jedoch in der Hoffnung, Ofra wiederzufinden…

Die 1968 geborene Autorin Schulamit Meixner hat in Wien Judaistik und Theaterwissenschaften studiert. In ihrem zweiten Roman schildert sie eindringlich, wie schwierig es für die entwurzelten Einwanderer, die das „Eretz Israel“ aufbauen sollten, war, dort Fuß zu fassen. Daneben erinnert sie an das Schicksal der jungen Israeli, die aus dem sicheren Palästina nach Europa zurückkehrten, um in britischer Uniform und an der Seite von Partisanen in Jugoslawien, Ungarn und in anderen Ländern gegen die Deutschen zu kämpfen. Gleichzeitig ist ihr Roman die Geschichte einer großen Liebe, die trotz aller Bemühungen Schragas nach allem, was Ofra von den Nazis angetan wurde, nicht wahr werden kann.

Schulamit Meixner: Bleibergs Entscheidung. Picus 2015
www.picus.at

Erich Kästner: Der kleine Grenzverkehr

Eine doppelte Liebesgeschichte

Kästners kleiner, heiterer Roman „Der kleine Grenzverkehr“ ist ein doppelter Liebesroman: Nicht nur geht es um die Liebesgeschichte zwischen dem schrulligen, vermögenden Literaten Georg Rentmeister und der vermeintlichen Kammerzofe Konstanze, sondern auch um eine Liebeserklärung an die Festspielstadt Salzburg.

Als Kästner den Roman 1937 verfasste, waren Deutschland und Österreich durch einen Schlagbaum und vor allem durch rigorose Devisenbestimmungen getrennt, was den jungen Georg Rentmeister, der von einem Freund zu den Salzburger Festspielen eingeladen ist, dazu zwingt, in Bad Reichenhall Quartier zu nehmen und jeden Tag mit dem Bus die Grenze zu überqueren. Als er eines Tages im Café Glockenspiel vergeblich auf den Freund wartet und die Tasse Kaffee, die er bereits getrunken hat, nicht bezahlen kann, nimmt das Schicksal seinen Lauf:

„Ich taxierte die Gäste auf ihre Eignung hin, einen wohlhabenden Fremden zu einer Tasse Kaffee einzuladen, die er bereits getrunken hatte. Und da sah ich sie! Sie heißt Konstanze. Kastanienbraunes Haar hat sie und blaue Augen – aber auch wenn’s umgekehrt wäre, bliebe sie vollkommen.“

Der kleine Grenzverkehr ist eine zauberhafte Liebesgeschichte voller Witz und Charme vor einem ernsten Hintergrund und seit vielen Jahren eines meiner Lieblingsbücher.

Erich Kästner: Der kleine Grenzverkehr. Atrium 1995
www.atrium-verlag.com

Marianna Butenschön: Maria, Kaiserin von Russland

Eine sehr gelungene Biografie

2013/14 fand in Stuttgart die große Landesausstellung mit dem Titel „Im Glanz der Zaren. Die Romanows, Württemberg und Europa“ statt. Anhand der fünf Ehen zwischen dem Hause Württemberg und den Romanows wurde die enge Verbindung zwischen diesen so ungleichen Häusern gezeigt wurde. Die erste Ehe in dieser Reihe war die zwischen Maria Fjodorowna, gebürtige Prinzessin Sophie Dorothea von Württemberg (1759 – 1828), und dem einzigen Sohn von Katharina II, dem späteren Zar Paul I, die 1776 unter tätiger Mithilfe von Friedrich II von Preußen zustande kam.

Als aus der 16-jährigen Sophie Dorothea, die eine glückliche Kindheit in einer harmonischen Familie in Treptow und Mömpelgard verlebt hatte, 1776 durch den Übertritt zur russisch-orthodoxen Kirche Maria Fjodorowna wurde, lagen ein Leben im Glanz des Zarenhofes, aber auch eine Reihe von Schicksalsschläge vor ihr. Sie gebar vier Söhne und sechs Töchter und kam damit dem Hauptanliegen ihrer Schwiegermutter Katharina vorbildlich nach, doch solange diese lebte, war ihr der Umgang mit ihren Kindern zum großen Teil verwehrt. Ihr Mann Paul, traumatisiert durch die Ermordung seines Vaters und die Verachtung seiner Mutter, neigte zu Jähzorn und litt unter Verfolgungswahn. Nach zunächst glücklichen Ehejahren bezog sich sein Misstrauen zuletzt auch auf seine Frau und seine Kinder, die sich mehr und mehr vor ihm fürchteten. Trotzdem war seine Ermordung im Jahr 1801 ein Schicksalsschlag, über den Maria, die ihn geliebt hatte, nie hinwegkam. Fünf ihrer zehn Kinder starben vor ihr und Ereignisse wie die Französische Revolution, die Napoleonischen Kriege und die Kriege gegen die Türken überschatteten auch ihr Leben.

Zeitlebens hat sie die Begeisterung für die Kunst und ihr Wirken für die Wohlfahrt begleitet. Dank ihrer guten Erziehung und Ausbildung sowie einer Grand Tour durch Europa 1781/82 war sie in allen Bereichen der Kunst bewandert. Sie war selber als begabte Künstlerin tätig, sammelte Kunstgegenstände aller Art, wirkte maßgeblich mit am Bau und der Ausstattung von Pawlowsk und versammelte Künstler um sich oder unterhielt Korrespondenzen mit ihnen. Die Wohltätigkeit war ihr eine Herzensangelegenheit, sie förderte und gründete zahlreiche Bildungs- und Wohltätigkeitseinrichtungen und setzte sich für Behinderte ein, allerdings richtete sich ihr Interesse nur auf die Linderung von Missständen, nicht auf deren Behebung. So ließ sie in Waisenhäusern und Erziehungsanstalten elternlose Kinder betreuen, zweifelte aber nicht an der Richtigkeit des Verbots der Ehe für Hofangestellte. Sie war „die letzte Vertreterin einer höfischen Kultur, die sich schon vor ihrem Tod überlebt hatte“, oft konservativer als ihre Schwiegermutter, und machte sich bei den Revolutionen, die sie erlebte, nie die Mühe, nach den Beweggründen der Aufständischen zu fragen.

Die Historikerin und Journalistin Marianne Butenschön hat eine exzellente Biografie über diese hochinteressante Persönlichkeit der Geschichte geschrieben, in der sie ihr Leben und die historischen Zeitumstände gekonnt verknüpft. Die Balance zwischen Information und Unterhaltung ist hervorragend  gelungen, der Schreibstil flüssig und gut lesbar, wobei die Autorin Grundkenntnisse in Geschichte voraussetzt, ohne die die Lektüre beschwerlich werden könnte. Den bedauerlichen Umstand, dass Maria nach ihrem Tod alle persönlichen Dokumente verbrennen ließ, gleicht die Autorin durch andere Quellen bestmöglich aus, doch werden vermutlich immer Rätsel bleiben. Die überkritische Haltung gegenüber Katharina II hat mich zwar ab und zu irritiert, das Lesevergnügen aber nicht geschmälert.

Die jeweils ca. 20 Seiten umfassenden Kapitel sind mit Stichwörtern und Jahreszahlen überschrieben, sodass eine Orientierung jederzeit gegeben ist und das Buch nach der Lektüre als Nachschlagewerk genutzt werden kann. Eine umfangreiche Bibliografie, detaillierte Anmerkungen, ein Personenverzeichnis, eine Zeittafel und ein kleiner Bildteil machen deutlich, dass es sich um eine wissenschaftlich recherchiertes Werk handelt. Vermisst habe ich die Stammbäume der beiden Familie und auch der Bildteil hätte umfangreicher sein dürfen, vor allem im Hinblick auf das so detailliert beschriebene Pawlowsk, wobei hier auch Schwarz-Weiß-Aufnahmen auf normalem Papier ausreichend gewesen wären. Trotzdem ein großes Lob an Autorin und Verlag für diese Biografie, die meinen Erwartungen in nahezu allen Belangen gerecht geworden ist. Über kurz oder lang werde ich mit Sicherheit auch die Biografie über Marias Schwiegertochter Alexandra lesen und weiter beobachten, was Frau Butenschön und der Theiss Verlag zu diesem Thema veröffentlichen.

Marianna Butenschön: Maria, Kaiserin von Russland. Theiss 2015
www.wbg-wissenverbindet.de

 

Ilona Einwohlt: Felis Überlebenstipps – Zettelkram und Kopfsalat

 Schulwechsel und Neubeginn

Welchem Kind verursacht der Schulwechsel nach der Grundschule kein Bauchgrimmen? Feli ist da keine Ausnahme. Zwar hat sie zwei ältere Brüder, von denen sie schon einiges gehört hat, aber die Aussicht darauf, ohne ihre Freundinnen ins Schiller-Gymnasium zu wechseln, bereitet ihr schon im Vorfeld Kopfzerbrechen. Damit ihre kleine Schwester, die laute Sirene, die sie jede Nacht aus dem Schlaf reißt, es einmal einfacher hat, schreibt sie ihr liebevoll Anleitungen zum Überleben nachdem Schulwechsel auf, und auch für die kleinen Leserinnen gibt es jede Menge Tipps, wie der Neustart gelingen kann.

Diese beziehen sich auforganisatorische Dinge wie die richtige Kleidung am ersten Tag genauso wie auf praktische Lerntipps zum erfolgreichen Vokabellernen, zur Ausarbeitung und zum Vortrag von Referaten, zur Vorbereitung von Klassenarbeiten, zum Umgang mit nervigen  Klassenkameraden und schwierigen Lehrern sowie zur maßvollen Planung der Freizeit und der Ferien. Alle Tipps sind toll illustriert und sehr praxisnah. Hilfreich wäre sicher, wenn Erwachsene (Eltern, Großeltern, Grundschullehrer) dieses Buch zusammen mit den Kindern lesen würden,  denn manches ist für Zehnjährige schwer zu verstehen und umzusetzen und manche Empfehlung richtet sich mindestens so sehr an die Erwachsenen wie an die Kinder!

Eingebettet sind die Tipps in die warmherzig erzählte Geschichte von Felis ersten vier Monaten in der weiterführenden Schule, die so manches Auf und Ab für sie bereithalten. Zum Glück hat sie ihre Eltern, die Besitzer des Friseursalons Kopfsalat, ihre Geschwister, die Großmutter und die Cousine, die zwar alle nicht so viel Zeit, aber ein großes Herz und viel praktisches Organisationstalent und gesunden Menschenverstand haben. Sie alle helfen ihr auf ihre Weise beim Neuanfang und an Weihnachten ist Feli heimisch in ihrer neuen Klasse geworden, hat die Anfangsschwierigkeiten beim Lernen und ihre Freizeit besser im Griff und ist ein gutes Stück erwachsener und selbstsicherer als am ersten Schultag.

Ein einfühlsames Buch vor allem für Mädchen, die vor dem Schulwechsel stehen, das unterstützen kann und hoffentlich Ängste abbauen hilft. Und falls Jungs sich nich t vom (Mädchen-)Cover abschrecken lassen, können sie sicher genauso von den Tipps profitieren. Also Mut, Jungs!

Ilona Einwohlt: Felis Überlebenstipps – Zettelkram und Kopfsalat. Arena 2015
www.arena-verlag.de