Ich bin überglücklich über einen Platz unter den ersten Zehn beim Buchblog-Award 2019 in der Kategorie „Bester Buchblog“. Herzlichen Dank an alle, die mir ihre Stimme gegeben haben! Die Sieger werden am 18.10.2019 auf der Frankfurter Buchmesse bekanntgegeben, die Daumen dürfen also gerne gedrückt bleiben.
Sarah Kuttner: Kurt
Trauer erster und zweiter Klasse
70 Seiten lang erzählt Sarah Kuttner in ihrem neuen Roman Kurt, dessen drei Teile ebenfalls jeweils „Kurt“ heißen, über das Werden einer Patchworkfamilie. Die Ich-Erzählerin Lena ist die neue Lebenspartnerin des großen Kurt, und um dessen Sohn, dem sechsjährigen Kurt, nahe zu sein und den Erstklässler im wöchentlichen Wechsel mit der Mutter zu betreuen, haben die beiden ein Haus bei Oranienburg, im Speckgürtel ihrer Heimatstadt Berlin, gekauft – „zugunsten des kleinen Kurt“. Lena mutiert zum Baumarkt- und Gartenprofi und staunt selbst über ihre neuen, vermeintlich spießigen Ambitionen. Nebenbei ringt sie um ihre Rolle in der neuen Familienkonstellation: „Ich finde es schwierig, eine passende Position in diesem Konstrukt zu finden… Was sind meine Rechte und Pflichten?“ Der große Kurt nimmt ihr die Verantwortung für den Sohn meist ab, aber nimmt er ihr damit nicht auch viel weg? Noch ist vieles in der Schwebe, da verunglückt der kleine Kurt tödlich, ein Sturz vom Klettergerüst, an dem keiner Schuld trägt. Während der Vater in seiner Trauer versteinert und sich zurückzieht, muss Lena wieder einmal verzweifelt nach ihrer Rolle suchen: „Kurt zu trösten ist ein Glücksspiel: manchmal darf ich, oft hingegen nicht.“ Sie weiß nicht, wie sie ihre eigene Trauer leben soll und darf, weil sich „jedes meiner Gefühle entweder zu klein oder irgendwie prätentiös anfühlt“.
Es grenzt an ein Wunder, dass mich dieser Roman von Sarah Kuttner, mein erster von ihr übrigens, so nachhaltig beeindruckt hat. Dabei ist vieles genau so, wie ich es nicht mag: zu viel Sex (will ich nicht so genau wissen), ständige Raucherei (nervt), Alkohol am Steuer (geht gar nicht), zu viele Anspielungen auf Popsongs (kenne ich meist nicht), ein schwieriges Thema (eher verdrängt) und eine sehr flapsige, nicht gerade literarische Sprache. Um mit der Sprache zu beginnen: für knapp 250 Seiten war sie in Ordnung, machte das Thema Kindstod vielleicht überhaupt erst erträglich. Wie meist treffsicher Sarah Kuttner aber auf diese Weise Umstände und Stimmungen erfasst, hat mich immer wieder begeistert. Da wissen zum Beispiel kleine Kinder selten, „wann humoristisch der Peak überschritten ist“, die Protagonistin spricht von „Scheinwerfer-Reh-Situationen“ im Verhältnis zur Mutter des kleinen Kurt oder vom „große Nähe-oder-keine-Nähe-Roulette“ beim in seiner Trauer versteinernden Partner. Selten sind die Bilder so misslungen wie beim großen Regen, während der Vater das Kinderzimmer ausräumt: „…es regnet sich nicht ein, es fällt aus dem Himmel wie ein verdammter Airbus.“
Auch wenn viele Kritiker im Feuilleton Feuer schreien und jetzt auf die Bloggerin hinunterschauen mögen – mir hat der Roman gut gefallen und ich nehme sehr viel aus der Lektüre mit, nicht nur über die richtige Moosbekämpfung im Rasen, sondern vor allem auch über den Umgang mit Trauernden. Dafür gibt es mit dem Nachbarn und Freund Gauger, mit Lenas Schwester und mit der Mutter des großen Kurt bewundernswerte Vorbilder. Aus den genannten Gründen kann ich die Kritik an dem Roman deshalb zwar verstehen, teile sie jedoch größtenteils nicht.
Sarah Kuttner: Kurt. S. Fischer 2019
www.fischerverlage.de
Henning Mankell: Wallanders erster Fall
Wenig Wallander-Feeling im Hörspiel
Als großer Wallander-Fan kenne ich selbstverständlich alle acht Bände um diesen fast schon zu den Klassikern der Kriminalliteratur zählenden Ermittler. Nach Abschluss der Serie hat Henning Mankell 1999 noch einen Band mit fünf Kurzgeschichten über Kurt Wallanders Leben vor dem 8. Januar 1990, dem Beginn von Mörder ohne Gesicht, nachgeschoben, der 2002 unter dem Titel Wallanders erster Fall auf Deutsch erschien. Die erste dieser Kurzgeschichten ist Grundlage des Hörspiels von 2003.
1969 ist Kurt Wallander 21 Jahre alt und Streifenpolizist. Er möchte so schnell wie möglich zu Kripo, doch um ein Haar hätte eine schwere Stichverletzung seinem Leben ein frühes Ende gesetzt. Dabei ist er in diesen ersten Fall rein zufällig hineingestolpert, als er nämlich seinen Nachbarn Artur Hålén, einen pensionierten Seemann, tot in dessen Wohnung findet. Kriminalkommissar Hemberg, eine Legende in Polizeidiensten, geht von Beginn an von einem Selbstmord aus, was die Obduktion bestätigt. Doch Wallander will sich damit nicht zufriedengeben, denn er ist überzeugt, dass es für diesen Suizid tiefergehende Gründe geben muss. Trotz der ausdrücklichen Warnung von Hemberg nimmt er eigenmächtig Ermittlungen auf. Nicht nur, dass er dadurch seine Freundin Mona ein ums andere Mal versetzt und die Beziehung ernsthaft gefährdet, bringt er sich auch leichtsinnig in Lebensgefahr. Und doch hat er am Ende seine Eignung zum Kripobeamten bewiesen.
Dass man in der Kurzgeschichte nicht entscheidend mehr über Kurt Wallander erfährt als in den Rückblicken der Serie, wusste ich noch von der Lektüre vor einigen Jahren. Der politische Ansatz Mankells ist aber auch hier zu spüren und die Krimihandlung ist nicht aufregend, aber doch unterhaltsam. Allerdings hat mir bei der einstündigen Hörspielfassung auf einer CD die typische Atmosphäre der Wallander-Krimis gefehlt und ich habe wieder einmal festgestellt, dass ich Lesungen Hörspielen deutlich vorziehe. Die Musik und die Geräusche sind mir zu unangemessen dramatisch und zu laut und ich hatte Mühe, die an sich angenehme Stimme von Andreas Bisowski als diejenige Kurt Wallander zu akzeptieren. Gut gefallen hat mir die Interpretation des erfahrenen Hemberg durch Jürgen Thormann, dem ich die wohlwollende, väterlich-mahnende Strenge gegenüber dem Newcomer jederzeit abnehmen konnte.
Henning Mankell: Wallanders erster Fall / Hörspielbearbeitung: Moritz Wulf Lange. Der Hörverlag 2003
www.randomhouse.de
Dror Mishani: Drei
Orna – Emilia – Ella
Der israelische Autor Dror Mishani, geboren 1975, lehrt Literaturwissenschaften an der Universität Tel Aviv, Spezialgebiet Geschichte der Kriminalliteratur. Mit seinen Krimis um den Ermittler Avi Avraham, die ich nicht kenne, wurde er auch in Deutschland bekannt. Über die Frage, ob sein neuestes Buch, Drei, ein Krimi ist, kann man unterschiedlicher Meinung sein. Der Verlag Diogenes bezeichnet es als Roman, Dror Mishani spricht von einem „Detektivroman, in dem der Detektiv erst am Ende auftritt“. Ob Krimi oder nicht, Drei hat bei mir nach eher unspektakulärem Beginn schnell einen Sog entwickelt, hat mir beim Lesen fast von Beginn an eine Gänsehaut beschert, deren Grund ich kaum benennen konnte, und mich immer wieder mit ungeahnten Wendungen überrascht.
Vom Inhalt möchte ich so wenig wie möglich verraten, denn je weniger man zu Beginn weiß, desto besser. Ich war im Mai 2019 bei einer Vorabpräsentation mit dem sympathisch-bescheidenen Autor in Stuttgart und bin nachträglich sehr dankbar, dass damals lediglich die ersten Seiten vorgelesen wurden und Shelly Kupferberg ein sehr diskretes Interview mit Dror Mishani führte.
Eine kurze Vorstellung der drei weiblichen Hauptpersonen ersetzt deshalb hier die Inhaltsangabe. In den drei Teilen, die schlicht „Eins“, „Zwei“ und „Drei“ überschrieben sind, stehen sie jeweils im Mittelpunkt, was den Roman aber keinesfalls zum Frauenroman macht. Orna, Anfang 40 und Gymnasiallehrerin in Tel Aviv, ist nach einer sehr schmerzhaften Scheidung alleine mit ihrem achtjährigen, introvertierten Sohn Eran zurückgeblieben. Während sie Eran Therapiestunden ermöglicht, muss sie selbst ohne Hilfe zurechtkommen. Sie möchte nicht auf Dauer alleine bleiben.
Die Lettin Emilia, wenig älter als Orna und Protagonistin in Teil zwei, gehört zum Heer der in Israel unverzichtbaren ausländischen Pflegekräfte, ist aber nicht wirklich willkommen. Auch sie hofft auf ein wenig Unterstützung und Glück.
Die dritte im Bunde nennt sich Ella, hat drei kleine Töchter und schreibt jeden Morgen in einem Café an ihrer verspäteten Masterarbeit, enttäuscht von ihrem Leben als Ehefrau und Mutter.
Fast war ich erleichtert, als sich am Ende von Teil eins mein ungutes Bauchgefühl als begründet erwies, doch war es danach um meine Ruhe endgültig geschehen und ich hätte am liebsten warnend in die Handlung eingegriffen. Teil zwei schien zunächst ohne Bezug zum vorher Erzählten, bis schlagartig die Verbindung klar wurde. Teil drei hat mich dann noch einmal vollkommen überrascht.
Wer einen „normalen“ Krimi sucht, ist mit Drei wahrscheinlich nicht gut beraten. Wer aber gerne einen Roman über das heutige Israel lesen möchte, in dem ein verwirrendes Spiel mit Wahrheit und Lüge getrieben wird und die Gewalt in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, wer psychologisch raffinierte, kunstvoll gewobene, geheimnisvolle und wendungsreiche Lektüre liebt und nicht auf jeder Seite Action braucht, der könnte mit diesem literarisch anspruchsvollen, unspektakulär und gerade deshalb großartig geschriebenen Roman genauso viel Spaß haben wie ich.
Dror Mishani: Drei. Diogenes 2019
www.diogenes.ch
Buch und Buchhandel in Zahlen 2019
Zahlen, Fakten und Analysen zum Buchmarkt
Das vermutlich meistgelesene Sachbuch der Buchbranche ist das seit 1952 alljährlich erscheinende Zahlenwerk Buch und Buchhandel in Zahlen. Auch ich warte jedes Jahr im Sommer darauf, die Bilanzen quer durch alle Handelsstufen des Kulturguts Buch mit Verlagssparte, Zwischenbuchhandel und Sortiment zu sichten, einerseits aus beruflichem Interesse, andererseits aus privater Neugier. Wie haben sich die Umsätze in der Buchbranche im Vorjahr entwickelt? Welche Warengruppen und Editionsformen sind Gewinner, welche Verlierer? Wie sieht es mit dem Absatz über die unterschiedlichen Vertriebswege aus? Wie haben sich die Freizeitaktivitäten und das Leseverhalten der Bundesbürger verändert? Wie steht es um den E-Book-Markt, wie um das Geschäft mit Lizenzen? Und nicht zuletzt: Wie sieht die Bilanz der Sortimentsbuchhandlung quer durch alle Umsatzgrößen aus? Selbstverständlich gibt es vorab regelmäßige Zwischenberichte in der Branchenpresse und die Zahlen sind deshalb keine vollständige Überraschung, trotzdem ist diese zusammenfassende Bilanz von großem Wert. Dass die Tabellen und Grafiken alljährlich nach dem gleichen Muster erstellt werden, trägt zum leichten Überblick bei. Die Texte dazwischen sind einerseits verständlich geschriebene Zusammenfassungen, die den Fokus auf die wesentlichen Aussagen der grafischen Darstellungen legen, liefern andererseits aber auch Interpretationshilfen und Gründe.
Einige der für mich wichtigsten Zahlen und Fakten zum Jahr 2018 möchte ich kurz zusammenfassen:
- Mit glücklicherweise stabilen 9,13 Milliarden Euro Gesamtumsatz war der „kulturelle Riese“ Buchmarkt auch 2018 vergleichsweise ein „finanzieller Zwerg“. Erfreulich ist der Ausblick auf 2019, der bisher auf eine deutliche Steigerung hoffen lässt.
- Beim Vergleich der Vertriebskanäle bleibt der stationäre Buchhandel (ohne E-Commerce) zwar wichtigster Vertriebsweg für Bücher mit 46,8%, hat aber erneut 0,7% verloren. Der E-Commerce verzeichnet ein Wachstum von 4% und machte 2018 19,5% am Gesamtumsatz der Branche aus. Dazu gehören sowohl Amazon als auch die Online-Shops stationärer Buchhandlungen.
- E-Books (ohne Schul- und Fachbücher) machten 2018 5% am Publikumsmarkt aus (2017: 4,6%), obwohl die Durchschnittspreise weiter stark fielen (2018: 6,19 Euro statt 2010: 10,71 Euro).
- Hard- und Softcover haben ihren Marktanteil mit 76% weiter ausgebaut, Taschenbücher dagegen mit 21,4% weiter an Umsatz verloren.
- Umsatzstärkste Warengruppe ist weiterhin die Belletristik mit stabilen 31,5%, gefolgt vom ebenfalls stabilen Kinder- und Jugendbuch mit 16,6%, Ratgebern mit um 1,2% geschrumpften 14%, Schule + Lernen mit stabilen 11%, dem Sachbuch mit um 5,5% gewachsenen 10,6% und der leicht geschrumpften Reise.
- Die Preissteigerung bei Büchern lag 2018 bei 1,2%.
- Die Buchproduktion, die seit 2010/11 nahezu kontinuierlich zurückgeht, lag 2018 bei den „echten“ Neuerscheinungen, also ohne Neuauflagen, bei immer noch stolzen 71.548, wobei E-Books und POD-Titel nur zu einem kleinen Teil erfasst werden. Keine alarmierende Zahl, sondern lediglich eine vorsichtigere Programmplanung der Verlage und Reaktion auf Flächenverkleinerungen im Sortiment.
Allen, die Lust auf noch viel mehr anschaulich dargebotene Zahlen und Daten rund um die spannende Buchbranche haben, kann ich Buch und Buchhandel in Zahlen 2019 wärmstens empfehlen.
Buch und Buchhandel in Zahlen 2019. Hrsg. vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels e. V. 2019
www.mvb-online.de
Bietigheimer Zeitung vom 28.08.2019/ Ludwigsburger Kreiszeitung vom 29.08.2019
Am 28.08. hat die Bietigheimer Zeitung im Rahmen des Buchblog-Award 2019 über mich und meinen Blog berichtet:
Barbara Busch reist mit Büchern um die Welt
Am 29.08. kam ein Kurzinterview in der Ludwigsburger Kreiszeitung:
Buchblog-Award 2019
Nach der Finalteilnahme 2018 beteilige ich mich auch 2019 am Buchblog-Award. Ich freue mich deshalb sehr über Stimmen für meinen Blog auf
Katja Frixe & Florentine Prechtel: Die hamsterstarken Drei
Ach du heiliges Salatblatt, was für ein Abenteuer!
Was für ein tolles Team, Die hamsterstarken Drei! Harry, der abenteuerlustige, akrobatische Zirkushamster in der rot-weiß gestreiften Hose, seine Freundin Gerda, die superschnelle, ängstliche Zirkusrennschildkröte, und Herkules, das megaschlaue, unsportliche Schulmeerschweinchen mit Brille, das es lieber gemütlich mag. Damit sie sich kennenlernen, müssen die beiden Zirkustiere erst einmal aus dem Buch fallen, in dem sie zuhause sind. Zum Glück passiert das genau in Herkules‘ Klassenzimmer. Ihn und Griselda, die weise alte Katze des Hausmeisters, können Harry und Gerda sehr gut gebrauchen, denn es gibt viele Rätsel zu lösen: Warum sind sie so mir nichts, dir nichts aus dem Buch gepurzelt? Und wie können sie rechtzeitig zur bevorstehenden Premiere wieder in den Zirkus zurückgelangen, wo man sie sicher schmerzlich vermisst? Schwierige Fragen, aber wenn man im Team zusammenarbeitet doch lösbar! Und so werden gemeinsam Mäuse ausgetrickst, die Abfalleimer der Schulmensa geplündert, Ursachen ergründet, Pläne geschmiedet und ein gefährlicher Stadtspaziergang unternommen, bis es schließlich heißt: Ende gut, alles gut!
Das Kinderbuch von Katja Frixe hat Florentine Prechtel mit zahlreichen farbenprächtigen, seitenfüllenden oder kleineren Illustrationen versehen, die ausgezeichnet zum Text passen und vor allem wirklich – pardon, Harry – niedlich sind. Besonders die Charaktere der Tiere spiegeln sich ausgezeichnet wider. Das Layout mit den blauen Überschriften und den ebenso blauen, großen Anfangsbuchstaben der Kapitel sind ebenfalls sehr gelungen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass es zukünftig weitere Abenteuer mit den drei Freunden geben wird, und das wäre schön. Zwar ist mir der Einstieg mit der ausführlichen Zirkusszene und dem Zurechtfinden im Klassenzimmer etwas zu lang geraten, was leider auf Kosten der letzten beiden, auch sprachlich stärkeren Drittel des Buches mit dem spannenden Abenteuer und dem Happy End geht, aber mit dem Auftauchen von Herkules nimmt das Buch so richtig an Fahrt auf und bleibt durchgehend aufregend und unterhaltsam.
Die hamsterstarken Drei – Schnurstracks ins Abenteuer ist ein hübsches Vorlesebuch für abenteuerlustige Jungen und Mädchen ab fünf Jahren, zum Selberlesen dank der etwas größeren Schrift für gute Leserinnen und Leser ab Ende der zweiten Klasse.
Katja Frixe & Florentine Prechtel: Die hamsterstarken Drei. Dressler 2019 www.oetinger.de/verlagsgruppe/dressler-verlag
Arno Geiger: Unter der Drachenwand
„Das gute Ansehen des Krieges beruht auf einem Irrtum“
Bei Erscheinen 2018 habe ich Arno Geigers Roman Unter der Drachenwand zu meinem Bedauern verpasst. Nun ist das Buch Gegenstand von „Stuttgart liest ein Buch“ im September 2019 mit Begleitprogramm, eine gute Gelegenheit also, die Lektüre nachzuholen. Vielleicht waren aber meine Erwartungen nach diesem langen Vorlauf doch zu hoch, denn zumindest auf den ersten 100 bis 150 Seiten habe ich nicht leicht in das Buch hineingefunden. Mit dazu beigetragen haben die Schrägstriche, die Arno Geiger durchgehend in den Text einbaut, und deren Sinn sich mir nicht erschlossen hat. Sie wirkten bis zum Ende wie Stopper auf mich und unterbrachen meinen Lesefluss. Ab dem zweiten Drittel der knapp 500 Seiten habe ich dann aber doch mit immer größerer Anteilnahme und mit Vergnügen gelesen und freue mich nun auf die geplanten Veranstaltungen rund um das Buch.
Im Mittelpunkt des Romans steht der junge Wehrmachtssoldat Veit Kolbe, der im Herbst 1943 am Dnjepr verletzt und deshalb zur Genesung zurück in seine Heimatstadt Wien geschickt wird. Bei den Eltern hält er es nicht aus, die Durchhalteparolen des Vaters klingen falsch und Veit weiß längst, dass der Krieg verloren ist: „Ich hatte den Irrsinn der Front mit dem Irrsinn der Familie vertauscht.“ Dank eines Onkels, der in Mondsee bei Salzburg Gendarm ist, kommt er dort unter, in einem Dorf, in dem 1944 noch keine Bomben fallen, in dem es mit dem Kinderlager Schwarzindien ein Heim für verschickte Mädchen samt ihrer Lehrerin gibt, und in dem eine junge Darmstädterin namens Margot mit ihrer neugeborenen Tochter Wand an Wand mit ihm wohnt. Eine schroffe, nazitreue Quartiersfrau macht ihren Mietern das Leben schwer, ihr Bruder, ein aus Brasilien zurückgekehrten Gärtner, hält sich dagegen nicht mit lautstarker Kritik an den Machthabern zurück. Und über allem steht die Drachenwand: einerseits bedrohlich und im Verlauf der Handlung totbringend, andererseits abschottend gegen den tobenden Krieg, der fast ausschließlich in Form von Briefen unterschiedlichster Absender nach Mondsee gelangt.
Die herausragende Leistung Arno Geigers ist für mich die Figur des kriegstraumatisierten Antihelden Veit, dessen Tagebuch den Hauptteil des Romans ausmacht. Sein Kampf gegen die Dämonen und Erinnerungen, seine Nervenanfälle mit Schweißausbrüchen und Zittern, seine zunehmende Pervitinabhängigkeit und seine Angst vor einer Rückkehr an die Front sind großartig erzählt. Er hadert mit den verlorenen Jahren seit dem Abitur, trauert dem verpassten Studium nach, leidet unter seinen Kriegserlebnissen und Schuldgefühlen, denn: „Es war auch mein Krieg.“. Der Schwebezustand zwischen der Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende und der Angst vor dem „langen Arm“ seines „Dienstgebers“ machen für mich die große Stärke des Romans aus. Die Verbindung zu Margot, „seit Jahren der erste erfolgreiche Versuch, mein Glück zu korrigieren“, wird zum Rettungsanker.
„Der Roman ist ein erfundenes Haus mit echten Türen und Fenstern“ hat Arno Geiger auf die Frage nach der Authentizität seiner Romanfiguren geantwortet, auf die die „Nachbemerkungen“ hinzuweisen scheinen. Die langjährigen Recherchen merkt man dem Buch in jedem Fall deutlich an.
Arno Geiger: Unter der Drachenwand. dtv 2019
www.dtv.de
Deutscher Buchhandlungspreis 2019
Die Buchhandlung Taube in Marbach erhält den von Kulturstaatsministerin Monika Grütters ausgelobten Deutschen Buchhandlungspreis 2019 – herzlichen Glückwunsch zu dieser großartigen Auszeichung! So ein klein wenig fühle ich mich als Stammkundin mit ausgezeichnet, schließlich habe ich es doch schon lange gewusst…
Das allgemeine, inhabergeführte Sortiment auf 120qm ist schon rein äußerlich etwas ganz Besonderes, denn es ist in einem ehemaligen Kirchenraum aus dem 15. Jahrhundert, der Wendelinskapelle, in der Fußgängerzone der Schillerstadt Marbach am Neckar beheimatet.
Warum ich gerade hier einkaufe, obwohl ich nicht einmal in Marbach wohne, hat viele gute Gründe. Dazu zählen zunächst einmal die anregende Atmosphäre und die Impulse, die ich auf den ästhetisch-fantasievoll gestalten Tischen und im Regal mit den Tauben-Tipps bekomme. Die Gespräche mit dem Inhaber Markus Schneider und seinen Buchhändlerinnen sind immer bereichernd und sehr freundlich, die Beratung ist sachkundig, der Umgang wertschätzend und der Service ebenso umfassend wie kundenorientiert. Das Motto „Buch tut gut“ spricht mir aus der Seele. Die gute Stimmung im Laden und die Individualität und Originalität, die ich bei den großen Filialisten vermisse, machen für mich den Unterschied beim Einkauf aus. Das Veranstaltungsprogramm mit Lesungen, Ausflügen und Buchvorstellungen ist vielfältig und lebendig, der Newsletter absolut originell, inspirierend und oft humorvoll. An der alle zwei Jahre stattfindenen Fahrt zur Leipziger Buchmesse habe ich 2018 teilgenommen und war begeistert von der perfekten Organisation. Und nicht zuletzt freue ich mich, dass hier buchhändlerischer Nachwuchs bestens ausgebildet wird.
Liebe Tauben, bleibt wie ihr seid und feiert euren Preis, ihr habt ihn verdient!