Endlich Schulkind

Wie fast alle Kinder fiebert Lasse sehnsüchtig seinem ersten Schultag entgegen. Doch zuerst muss ein Ranzen gekauft werden und die Mutter bastelt eine Weltraumschultüte. Und dann ist der erste Schultag auch schon da. Zum Glück kommt seine mutige Freundin Rica in seine Klasse, die ihm so manches Mal aus der Patsche hilft. Angesichts der großen Jungs, die nicht zimperlich mit den Erstklässlern umgehen, kann Lasse Unterstützung gut gebrauchen. Aber als der Schulfotograf kommt und die Kinder noch einmal ihre Schultüten mitbringen sollen, muss Lasse sich ganz alleine helfen…
Das Vorlesebuch Lasse in der ersten Klasse von Sarah Welk eignet sich wunderbar zum Vorlesen vor der Einschulung und zum Verkürzen der Wartezeit. Falls die Kinder sich dann noch für das Thema interessieren, können sie es dank der großen Fibelschrift ab Ende der zweiten Klasse auch selbständig lesen oder jüngeren Geschwistern vorlesen. Die sechs Kapitel sind gut verständlich geschrieben und greifen Themen auf, die Kinder vor dem ersten Schultag interessieren. Anne-Kathrin Behl hat das Buch farbenfroh illustriert, gut passend zum Text und mit Gesichtern, die Gefühle deutlich widerspiegeln. Dass sie dem fahrradfahrenden Lasse einen Helm aufgesetzt hat, freut mich besonders, denn leider ist das in Kinderbüchern oft nicht der Fall.
Sehr gut gefallen hat mir der respektvolle Umgang der Erwachsenen mit den Kindern, sei es die Verkäuferin im Ranzengeschäft, die Mutter oder die nette Lehrerin, Frau Kastanienkötter, die ihren Schülern die Schulregeln nachdrücklich aber liebevoll vermittelt. Auch Lasses erfrischende Ehrlichkeit, selbst wenn es um seine Schwächen geht, macht beim Lesen Spaß.
Einziger Kritikpunkt sind für mich die grammatikalisch falschen Weil-Sätze („Weil jetzt komme ich ja erst mal in die Schule“). Die Autorin möchte damit Lasses Sprache noch authentischer machen, was aber in meinen Augen gar nicht nötig ist, da sie den Tonfall des Jungen ohnehin sehr gut trifft. Natürlich sprechen viele Kinder (leider!) so, aber möchten wir ihnen beim Vorlesen nicht die korrekte Sprache näherbringen, die sie auch in ihren Aufsätzen anwenden müssen?
Trotz dieser Einschränkung kann ich das Buch als vergnügliche Vorbereitung auf den „Ernst des Lebens“ sehr empfehlen.
Sarah Welk & Anne-Kathrin Behl: Lasse in der ersten Klasse. arsEdition 2018
www.arsedition.de
Frank Goldammers historische Dresden-Krimis gehören inzwischen zu den Serien, bei denen ich keinen Band mehr verpassen möchte. Mehr noch als an den gut aufgebauten, spannenden und schlüssig aufgeklärten Kriminalfällen und dem sympathischen, integren, aber nicht fehlerlosen Ermittler Max Heller liegt das am historischen Hintergrund. War es beim ersten Band, Der Angstmann, die Zerstörung Dresdens im Februar 1945 und bei Band zwei, Tausend Teufel, das Leben unter der sowjetischen Besatzung 1947, so ist Band drei, Vergessene Seelen, im Sommer 1948 angelangt. Der Wiederaufbau kommt nur sehr schleppend voran, Mangelwirtschaft und Wohnungsnot erzeugen immer mehr Unmut und viele gehen in den Westen. Da Hunger und Not keine Moral kennen, sind die Hauptverbrechen Einbrüche und Diebstähle, meist von Banden verübt.
Fast wäre ich auf diesen Krimi gar nicht aufmerksam geworden, denn der Name Anna Carls war mir neu. Die Krimiautorin Barbara Wendelken, die sich hinter diesem Pseudonym verbirgt, kenne ich allerdings sehr gut, gehören ihre Ostfrieslandkrimis um das sympathische Ermittlerduo Renke Nordmann/Nola van Heerden doch zu meinen Lieblingskrimis. Ich schätze ihren Ideenreichtum, die komplexen Handlungen mit vielen Perspektivwechseln, die Lebendigkeit ihrer Personen- und Ortsbeschreibungen, die zuverlässig schlüssigen Auflösungen ohne kurz vor Schluss eingeführte Täter, den angenehmen Schreibstil und natürlich die Spannung. Um mit dem letzten Punkt zu beginnen: Die Stunde des Opfers ist hochspannend von der ersten bis fast zur letzten der 334 Seiten, ein richtiger Pageturner also.
Greer Kadetzky, schüchtern, extrem ehrgeizig und begabt, nimmt 2006 18-jährig ihr Studium am Ryland College auf. Dass es nicht Yale geworden ist, wofür sie und ihr ebenso zielstrebiger Freund Cory die Zulassung bekommen hatten, liegt an der Nachlässigkeit, mit der ihr Vater die Anträge für die Finanzierung ausgefüllt hat. Nun ist Greer zu ihrer Enttäuschung in einem Provinzcollege gestrandet, Cory studiert in Princeton.
Ich habe es doch immer schon geahnt: Besuche in Buchhandlungen können das Leben auf den Kopf stellen. Im Falle von Mrs. Annetta Robington, Geographielehrerin mittleren Alters, Chorleiterin von St. Peter & Paul und Samstagsbibliothekarin der Gemeindebibliothek von Great Missenden nahe London, ist es eine ganz besondere Londoner Buchhandlung, die nicht nur ein wie auf sie zugeschnittenes Sortiment führt, sondern in Person von Basil Snow auch einen Pinguin als Buchhändler hat. Für eine Angestellte im öffentlichen Dienst des Vereinigten Königreichs, die dem Übersinnlichen eher wenig zugeneigt ist, eine verstörende Entdeckung, denn leben Pinguine nicht nur am Südpol?
Ich lese oder höre gerne die Justizkrimis der Juristen John Grisham für die USA und Gianrico Carofiglio für Italien, deshalb war ich gespannt auf die Serie um die Münchner Strafverteidigerin Dr. Rachel Eisenberg des deutschen Juristen Andreas Föhr. Seine genialen Tegernsee-Krimis mit dem Ermittlerteam Kreuthner/Wallner liebe ich wegen der intelligent aufgebauten Fälle und des bayerisch-derben Humors. Eifersucht ist nun bereits der zweite Band der neuen Serie, problemlos unabhängig zu lesen, allerdings wird der Plot von Band eins, Eisenberg, verraten, was sehr schade ist, da ich ihn noch lesen möchte.


Bücher, die in der Welt der skandinavischen Inseln und Schären spielen, haben grundsätzlich einen Bonus bei mir, denn Gotland, Åland und ihre Umgebung sind so etwas wie Sehnsuchtsorte für mich. Ellinor Ingman, die 55-jährige Protagonistin in Gunilla Linn Perssons Roman Heimwärts über das Eis, sieht das zumindest zu Beginn der Geschichte anders. Für sie ist Hustrun, die vier Quadratkilometer große Schäre im nördlichen Stockholmer Schärengarten, die sie nur einmal im Jahr für einen Kurzausflug nach Stockholm verlässt, eher Gefängnis als Paradies. Gefängniswärter ist ihr alter Vater, der nach einem Unfall seine Beine nicht mehr gebrauchen kann, und der von seiner „Kommandobrücke“ im oberen Stock ihres Hauses tyrannisch über die Tochter herrscht. Begonnen hat es damit, dass Ellinors dreijähriger Bruder ertrank und die Mutter kurz darauf Selbstmord beging, nachdem sie als schöne Fremde nicht mit den Inselbewohnern und dem Dasein als Schärenweib zurechtkam. Die Steine, die sie sich um die Knöchel gebunden hat, bevor sie ins Meer ging, hängen seit ihrem elften Lebensjahr auch an Ellinors Beinen. Sie versorgt ihren Vater, ihre Tiere, ihren offiziellen und ihren verborgenen Garten, kümmert sich um die Kinder der Touristen, fährt das Schärentaxi und hinkt durch das mühsame Schärenleben ohne Stromanschluss.
Klaus Modicks biografischer Roman Keyserlings Geheimnis hat in mir den Wunsch geweckt, ein Buch dieses bisweilen als „baltischer Fontane“ titulierten Autors zu lesen. Wellen, erstmals 1911 erschienen, war eine wirkliche Entdeckung für mich. Der kleine, von Ironie durchzogene Roman, der während einiger Sommertag an der Ostsee spielt, konfrontiert die erstarrte Adelsgesellschaft der Jahrhundertwende mit der wilden Unberechenbarkeit des Meeres.