E. M. Forster: Zimmer mit Aussicht

Italien versus England

Zimmer mit Aussicht aus dem Jahr 1908 ist ein englischer Klassiker und Gesellschaftsroman von Edward Morgan Forster (1879 – 1970), der die steifen englischen Konventionen der Sinnlichkeit Italiens gegenüberstellt.

Lucy Honeychurch ist zusammen mit ihrer älteren, prüden Anstandsdame und Cousine Charlotte auf einer klassischen Bildungsreise durch Italien. In ihrer Pension in Florenz, die voller Engländer ist, begegnen sie dem unkonventionellen und daher „unpassenden“ Landsmann Mr. Emerson und seinem Sohn George, die zum allgemeinen Entsetzen Sozialisten sind. Bei einem Ausflug überrumpelt George Lucy mit einem Kuss und sofort reiste Charlotte mit ihr ab. Zuhause verlobt sich Lucy mit dem blutleeren, asketischen und spröden Landadeligen Cecil, der nicht annähernd so gut küsst wie George. Trotzdem tritt die Episode in den Hintergrund, bis die Emersons in die Nachbarschaft ziehen…

Mir haben an diesem absolut lesenswerten Klassiker besonders die feine Ironie, die Gegenüberstellung der italienischen und der englischen Mentalität, der nicht ganz einfach zu lesende Stil und die Entwicklung von Lucy gefallen. Auch die mit drei Oscars prämierte, sehr buchtreue Verfilmung aus dem Jahr 1985 mit Julian Sands, Helena Bonham Carter, Maggie Smith, Judy Dench und Rupert Everett ist sehr zu empfehlen.

Fünf Sterne und ein Augenzwinkern für einen Blick in eine andere Zeit.

E. M. Forster: Zimmer mit Aussicht. Fischer 2014
www.fischerverlage.de

Alexandra Fischer-Hunold: Koalas spurlos verschwunden

Auf den Spuren der Tierschmuggler

Koalas spurlos verschwunden ist ein Ratekrimi aus der Reihe Tatort Erde und spielt in Australien. Er richtet sich an eher schlechte Leser ab ca. neun Jahren, ist sprachlich sehr einfach und daher zum Vorlesen eher weniger geeignet. Raten kann man nach jedem der neun Kapitel, wobei die Fragen hinten aufgelöst werden. Die Fragen zwingen zum sehr genauen Lesen, was pädagogisch zu begrüßen ist.

Thema des Kinderkrimis sind Tierschmuggler. Mike und Brendan, die Söhne des Direktors des Island Koala Parks, helfen bei der Aufklärung. Viele landeskundliche und Sachinformationen, auch im Anhang, reichern den Krimi an, wobei mir die Handlung leider sehr konstruiert erschien.

Fazit: Es gibt spannendere, besser erzählte Ratekrimis, trotzdem kann man das ein oder andere Interessante erfahren.

Alexandra Fischer-Hunold: Koalas spurlos verschwunden. Loewe 2005
www.loewe-verlag.de

Elizabeth Graver: Die Sommer der Porters

Mehr als ein Sommerhaus

Vordergründig stehen im Debütroman von Elizabeth Graver Die Sommer der Porters zwei Mitglieder der Familie Porter und eine Angestellte im Mittelpunkt, doch das eigentliche Zentrum ist die (fiktive) Halbinsel Ashaunt vor der Küste von Massachusetts. Dort verbringt die Familie über Jahrzehnte die Sommer, dort entscheiden sich Zukunftsfragen und wird Atem geholt, wenn eine Lebenssituation ausweglos scheint.

Ein Teil der Spannung dieses Romans lag für mich bereits in der Frage, wer wohl in den einzelnen Kapiteln im Mittelpunkt stehen würde. Daraus ergab sich auch jeweils ein anderer Erzählstil, vom allwissenden Erzähler bis zu sehr persönlichen Tagebucheinträgen und Briefen, was der Autorin besonders gut gelungen ist. Auch die ab und zu eingestreuten Ausblicke in die Zukunft haben mir als selten genutztes Stilmittel gut gefallen. Schön fand ich außerdem, dass mit dem Kindermädchen Bea eine Angestellte den Reigen der Hauptpersonen eröffnet, aus Schottland eingewandert und im Laufe der Zeit fast mehr Familienmitglied und Freundin. Ihre Zukunft entscheidet sich im Sommer 1942, als die Familie Porter entgegen vieler Nachbarn Ashaunt trotz des dort stationierten Militärs nicht meidet und Bea einen Verehrer unter den Soldaten findet. Aber möchte sie ihr sicheres Leben bei den Porters, wo sie eine Familie, Geborgenheit und ihren geliebten Schützling Janie gefunden hat, dieser vielleicht letzten Chance auf eine eigene Familie opfern?

Im Mittelpunkt der weiteren drei Kapitel stehen eine Tochter der Porters und ein Enkel. Die Tochter hat nach dem Krieg in der Schweiz studiert, von dort ihren Mann mitgebracht und steht im dauernden Zwiespalt zwischen einer wissenschaftlichen Karriere und der sich ständig vergrößernden Familie. Wie für sie ist auch für ihren Sohn, der den Ansprüchen seiner Mutter nie gerecht werden kann und der nach einem LSD-Rausch unter Panikattacken leidet, Ashaunt der Rückzugsort und Kraftspender. Gelungen ist auch das Ende, das weder zu traurig noch Happy End ist, aber zum Roman und seinen Protagonisten passt.

Die Handlung dieses Familienromans wird nicht von Spannung oder Höhepunkten getragen, sondern von den Momentaufnahmen seiner zentralen Figuren und den Naturbeschreibungen. Im Hintergrund läuft die Geschichte der USA von 1942 bis 1999 ab und macht nicht vor der Familie, aber auch nicht vor Ashaunt halt, denn auch dort sind Veränderungen nicht aufzuhalten.

Mir hat dieser amerikanische Familienroman, der mich von der Grundidee, nicht aber von der Ausführung, an Sommer in Maine von Courtney O’Sullivan erinnert hat, insgesamt gefallen, obwohl es kein Lieblingsbuch wurde. Sehr hilfreich wäre ein Stammbaum gewesen, denn die Enkelgeneration war für mich unübersichtlich und durch die punktuelle Erzählweise bisweilen verwirrend. Außerdem hätte mich auch das Leben einiger anderer Familienmitglieder sehr interessiert, die leider völlig im Hintergrund bleiben. Trotzdem kann ich die Lektüre dieses Buches aus dem für mich immer sehr interessanten mare-Programm empfehlen.

Elizabeth Graver: Die Sommer der Porters. mare 2016
www.mare.de

Liza Marklund: Der rote Wolf

Ein ungelöster Altfall und private Turbulenzen

Mit Der rote Wolf erschienen die Krimis von Liza Marklund endlich in der richtigen Reihenfolge, und so ist dieser als fünftes erschienene  Band tatsächlich Band fünf der Serie.

Annika Bengtzon, die Journalistin beim Stockholmer „Abendblatt“, hat nach dem Trauma im letzten Krimi (Olympisches Feuer) drei Monate pausiert und arbeitet jetzt noch als freie Mitarbeiterin und nicht mehr bei der Kriminalredaktion. Sie leidet nicht nur unter den traumatischen Nachwirkungen ihrer Geiselnahme, sondern auch um der von ihrem Ex-Chef für die Zeitung vorgegebenen Richtungswechsel. Statt seriöser Berichterstattung möchte der nun voyeuristische Beiträge, um die Auflage zu steigern. Auch ihr Privatleben bleibt bewegt, nicht nur wegen der beiden Kleinkinder, sondern auch, weil ihre Ehe in einer Krise steckt.

Entgegen der Vorgaben ihrer Zeitung recherchiert Annka Bengtzon zum Thema Terrorismus in Schweden. Im Falle eines Anschlags auf einen Fliegerhorst in Nordschweden im Jahr 1969, bei dem ein Wehrpflichtiger ums Leben kam, der nie aufgeklärt, aber einer linken Splittergruppe angelastet wurde, möchte Annika sich mit einem Kollegen treffen, der am gleichen Fall arbeitet. Doch bevor es dazu kommt, wird er ermordet, ebenso der einzige Zeuge, ein 13-jähriger Junge.

Beharrlich wie immer recherchiert Annika in dem alten Fall und schnell wird klar, dass er Folgen bis in die Jetztzeit hat. Alle, die damals in den kommunistischen Zellen aktiv waren, sind heute erpressbar…

Neben der spannenden Krimihandlung, die lediglich durch Annikas manchmal übermenschliches Geschick überschattet wird, wenn es darum geht, Menschen Informationen zu entlocken, die sie auch der Polizei nicht gegeben haben, hat mich in diesem Band die Geschichte der linken Zellen in Schweden in den 1960er-Jahren interessiert. Außerdem ist die Schilderung des Macht- und Quotenkampfs in den Medien wie in der Politik, beides Spezialthemen von Liza Marklund, sehr anschaulich gelungen.

Liza Marklund: Der rote Wolf. Rowohlt 2006
www.rowohlt.de

Liza Marklund: Prime Time

Wenn Glanz und Glamour brökeln…

Da die Krimis von Liza Marklund auf Deutsch nicht in chronologischer Reihenfolge publiziert wurden, handelt es sich bei Prime Time um Band drei der Serie nach Studio 6 und Paradies, aber vor dem zuerst erschienen Band Olympisches Feuer.

Wie immer in den Krimis um Annika Bengtzon, Journalistin beim „Abendblatt“, spielt das Privatleben der Protagonistin eine große Rolle. Fans stringent auf den Fall konzentrierter Krimis sollten deshalb besser die Finger von der Serie lassen. Neben dem Privatleben Bengtzons und dem aktuellen Fall geht es jeweils auch noch um die Machtkämpfe und Intrigen bei der Zeitung, die durchaus auch mal unter die Gürtellinie gehen können, und mir gefällt diese Mischung sehr gut.

In Prime Time ist Annika Bengtzon nach der Babypause gerade wieder in den Beruf zurückgekehrt. Die Kinder sind ein bzw. drei Jahre alt und die Beziehung zu ihrem Partner Thomas leidet unter der nur unzureichend geregelten Kinderbetreuung. Auch in Schweden scheint es so etwas zu geben.

Als die Familie gerade zu einem Kurzurlaub über Mittsommer zu Thomas‘ Eltern aufbrechen will, erhält Annika einen Anruf ihres Chefs, der sie an den Tatort des Mordes an einer bekannten Fernsehmoderatorin ruft. 13 Personen sind verdächtig, alle aus der Medienbranche, alle mit einem Motiv, darunter Annikas Freundin Anne Snaphane. Wer sich bisher vom Glanz und Glamour der Medienwelt hat blenden lassen, wird spätestens hier eines Besseren belehrt…

Annika Bengtzon ermittelt in diesem sehr unterhaltsamen, wenig grausamen Krimi gewohnt kühl und zielgerichtet, und wenn mir auch Olympisches Feuer noch besser gefallen hat, kann ich diesen Band doch auch empfehlen.

Liza Marklund: Prime Time. Ullstein 2003
www.ullsteinbuchverlage.de

Anja Kiel: Lara und die freche Elfe – Prinzessinnenzauber

Rosarote Mädchenträume

Unter dem Motto „Lesen lernen macht Spaß“ hat der Ravensburger Buchverlag in seiner Leseraben-Erstleserreihe Bücher in drei Lesestufen vom Lesestarter bis zum Überflieger im Programm. Es gibt sowohl thematische Geschichtensammlungen als auch durchgängige Geschichten, so dass für jeden Kindergeschmack ein passender Titel zu finden sein müsste.

Die erste Lesestufe, die sich bereits an Erstklässler richtet, zeichnet sich durch eine große Fibelschrift, wenige Zeilen umfassende Abschnitte im Flattersatz, leicht verständliche Inhalte aus der Erlebnis- oder Fantasiewelt der Zielgruppe und erklärende, sehr farbige Illustrationen, die sich an die Sehgewohnheiten der an Bilderbuchillustrationen gewöhnten Kinder anlehnen, aus. Für zusätzliche Motivation sorgen Raben-Belohnungssticker, die nach bewältigten Zielen aufgeklebt werden dürfen, Rätsel auf den letzten vier Seiten und die Teilnahme bei www.antolin.de.

Eindeutig an die Zielgruppe „rosa Prinzessinnen“ richtet sich der Titel Lara und die freche Elfe – Prinzessinnenzauber von Anja Kiel, fröhlich-märchenhaft illustriert von Elke Broska. Da erlebt die kleine,  fantasievolle Lara, während ihre Eltern am Sonntagmorgen länger schlafen, ihr eigenes Prinzessinnen-Elfen-Abenteuer, bei dem die kleinen Leserinnen nebenbei rätseln können, welche beiden Märchen im Text versteckt sind. Ein Buch mit einem hohen Identifikationsfaktor für die Zielgruppe.

Kritiker mögen einwenden, dass die geschlechterspezifische Prägung von Kinderbüchern nicht mehr in die Zeit passt und nicht wünschenswert ist. Auch mir persönlich sind Unisex-Kinderbücher prinzipiell lieber. Aber es geht hier nicht um weltanschauliche Fragen, sondern um das herausragend wichtige Thema Leseförderung, und da sind mir (fast) alle Mittel recht, rosarote Prinzessinnen genauso wie Superman oder Vampire. Wichtig ist allein, den Lesespaß zu wecken, und das ist mit der zauberhaften Lara und ihrer Elfe garantiert möglich. Und über Emanzipation reden wir später…

Anja Kiel: Lara und die freche Elfe – Prinzessinnenzauber. Ravensburger Buchverlag 2016
www.ravensburger.de

Christina Braun: Das große Meyers Experimentierbuch für kleine Forscher

Für neugierige Grundschulkinder

Für alle Kinder im Grundschulalter, die nicht nur gerne Fragen stellen, sondern auch gerne selber Problemen auf den Grund gehen, ist dieses sehr praxisorientierte Experimentierbuch ein heißer Tipp.

Das Buch beginnt mit einer Gebrauchsanleitung und einer Übersicht über die wichtigsten naturwissenschaftlichen Arbeitsweisen, die man keinesfalls überblättern sollte. Dann folgen, in acht Kapiteln von „warm und kalt“ über „leicht und schwer“, „schnell und langsam“, „laut und leise“, „hell und dunkel“, „voll und leer“, „nass und trocken“ bis „fest und flüssig“ unterteilt, 50 spannende, gut erklärte und mit vertretbarem Aufwand umsetzbare Anleitungen für Experimente. Die klar bebilderten Schritt-für-Schritt-Versuchserklärungen werden durch weiterführende Texte ergänzt, bei denen allerdings teilweise die Unterstützung durch Erwachsene erforderlich ist. Ein Forschertagebuch mit weiteren Experimenten und der Möglichkeit, Verlauf und Ergebnisse detailliert zu protokollieren, ein Bezug zum Lehrplan für Grundschulen und ein alphabetisches Schlagwortregister runden dieses gelungene Kindersachbuch ab, mit dem sicher auch die Erwachsenen das ein oder andere Aha-Erlebnis haben werden.

Neben Familien mit Kindern im Grundschulalter möchte ich dieses erstaunlich preisgünstige Buch allen Grundschullehrern und -lehrerinnen als Ideengeber für einen spannenden Sachunterricht empfehlen.

Christina Braun: Das große Meyers Experimentierbuch für kleine Forscher. Meyers 2016
www.fischerverlage.de

Nuala O’Faolain: Ein alter Traum von Liebe

Bilanz

Auf diesen Roman bin ich durch die Empfehlung von Elke Heidenreich gestoßen, und wenn ich auch nicht ihre vollkommene Begeisterung teile, so hat er mir doch gut gefallen.

Im Mittelpunkt steht die 50-jährige Reisejournalistin Kathleen de Burca, Ich-Erzählerin, die Bilanz zieht: wechselnde Liebhaber, ständiges Unterwegssein und verpasste Chancen sind das wenig beglückende Ergebnis. Sie hat Irland als junges Mädchen verlassen, nun kehrt sie dorthin zurück und wird einerseits mit ihrer eigenen, andererseits mit der irischen Vergangenheit konfrontiert, denn sie recherchiert über eine alte Skandalgeschichte aus der Zeit der großen irischen Hungersnot und der Massenauswanderungen im 19. Jahrhundert, in der es um die Liebesbeziehung zwischen einer Landbesitzergattin und einem Stallbuschen geht. Diese Geschichte in der Geschichte hat mir fast noch besser gefallen als das Geschehen um Kathleen, bei der infolge der Rückkehr in die alte Heimat alle unerfüllten Wünsche und Hoffnungen und die seit ihrer Kindheit ewig unerfüllte Liebessehnsucht neu aufleben. Die Begegnung mit ihrem Traummann, ihre vielleicht letzte Chance, mündet in dem Angebot eines Lebens im Wartestand und der Aussicht auf ein bis zwei gemeinsame Tage pro Monat, aber reicht ihr das?

Ein spannender, nachdenklicher Roman, in dem manche Frage offenbleibt.

Nuala O’Faolain: Ein alter Traum von Liebe. List 2004
www.ullsteinbuchverlage.de

Carrie Snyder: Die Frau, die allen davonrannte

Vom Laufen und Davonlaufen

Als Aganetha Smart, genannt Aggie, im Jahr 1908 auf einer kanadischen Farm als elftes Kind ihres Vaters zur Welt kommt, sind vier ihrer Halbgeschwister und die erste Frau ihres Vaters bereits tot. 104 Jahre später, inzwischen im Pflegeheim und vollkommen allein, körperlich gebrechlich, aber geistig weitgehend auf der Höhe, erhält sie überraschenden Besuch von zwei ihr unbekannten jungen Leuten. Nach wie vor neugierig und unternehmungslustig, lässt sie sich auf einen Ausflug mit Kaley und Max ein. Er wird zu einer Rückkehr in die Vergangenheit und nach und nach erinnert sich Aggie an Szenen und Ereignisse aus ihrem langen, in jeder Hinsicht bewegten Leben voller Höhen und Tiefen mit einer für mich völlig überraschenden Wende am Ende des Romans.

Nach einer von zahllosen Todesfällen überschatteten und dennoch geborgenen Kindheit verlässt Aggie als junges Mädchen die Farm, um ihrem Halbbruder George und ihrer Schwester Olive nach Toronto zu folgen. Von Kind an sehr bewegungsfreudig, erhält sie dank der Unterstützung ihres Arbeitgebers und ihres disziplinierten Trainings die Möglichkeit, beim 800-Meter-Lauf der Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam zu starten und gewinnt die Goldmedaille. Es ist ein Sieg nicht nur über die internationale Konkurrenz, sondern auch über ihre beste Freundin und Trainingspartnerin Glad.  Dennoch scheint danach ihr Glück vollkommen: lukrative Werbeverträge, eine gemeinsame Wohnung mit Olive und Glad und ihre Liebe zu Johnny lassen sie von einer rosigen Zukunft träumen. Doch es kommt anders und Aggie muss für eine Entscheidung ihr Leben lang bezahlen…

Es ist unmöglich, ein 104 Jahre (oder länger) währendes Leben in einer kurzen Rezension zusammenzufassen oder auch nur alle Aspekte des Buches anzusprechen. Stattdessen empfehle ich die Lektüre dieses unterhaltsamen Romans, der so gut erzählt ist, dass ich trotz der sehr sprunghaften Erzählweise und der Vielzahl der Familienmitglieder nie den Faden verloren und kaum den vorn abgedruckten Familienstammbaum gebraucht habe.

Das Leben einer beeindruckenden, vom Laufen besessenen Frau, die trotz ihrer sportlichen Erfolge immer wieder an die Grenzen ihrer Zeit stößt, und das Porträt einer kanadischen Familie voller unterschiedlichster Charaktere und Lebenswege. Ich habe zwischen vier und fünf Sternen geschwankt und mich schließlich für die Höchststernezahl entschieden, weil der Roman ein so stimmiges Ganzes bildet.

Carrie Snyder: Die Frau, die allen davonrannte. btb 2016
www.randomhouse.de

Georgette Heyer: Die bezaubernde Arabella

Eine Aschenputtelgeschichte

Die englische Schriftstellerin Georgette Heyer (1902 – 1974) war eine echte Vielschreiberin. Ihre Bücher kann ich heute nur noch mit einem Augenzwinkern lesen und sie kommen sicher nicht an die Qualität einer Jane Austen heran, trotzdem hatte ich meinen Spaß an Die bezaubernde Arabella aus dem Jahr 1949, nicht zuletzt an Heyers Humor, der charmanten Erzählweise und ihrer Stilsicherheit.

Arabella entstammt einem armen Pfarrhaushalt, in dem der Reverend für die Moral und die Mutter für den gesunden Menschenverstand zuständig ist. Vier Söhne und vier Töchter wollen verheiratet werden, eine wahre Mammutaufgabe! Ihr Plan sieht vor, dass die hübsche Arabella eine „Season“ bei ihrer reichen Patentante in London verbringen, reich heiraten und dann ihren Schwestern dasselbe ermöglichen soll. Und so fährt Arabella, ausgestattet mit allem, was die Mutter erübrigen kann, in die Hauptstadt. Als sie eine Wagenpanne ausgerechnet vor dem Jagdhaus des reichsten und begehrtesten Junggesellen Londons, Robert Beaumaris, hat und der ihr überheblich kommt, rettet sie sich in eine folgenschwere Notlüge und gibt sich als reiche Erbin aus. Das Schicksal nimmt seinen Lauf…

Georgette Heyer hat über ihre Schriftstellerei gesagt: „Ich persönlich denke, dass ich erschossen werden sollte, weil ich so einen Unsinn schreibe, aber es ist gute Literatur für jemanden, der vor der Realität zu fliehen versucht, und ich denke, ich würde es ziemlich mögen, wenn ich in einem Luftschutzbunker säße oder mich von einer  Durchfallerkrankung erholte.“ Viel zu hart formuliert, aber mit einem wahren Kern!

Georgette Heyer: Die bezaubernde Arabella. dtv 2001
www.dtv.de