Grégoire Delacourt: Die vier Jahreszeiten des Sommers

L‘ amour toujours

Dies ist kein durchgängiger Roman, es ist aber auch keine zufällige Sammlung von Kurzgeschichten zum Thema Liebe, denn je länger man liest, desto mehr Verbindungen zwischen den vier Geschichten kann man entdecken, und genau daran hatte ich beim Lesen großen Spaß. Am Ende finden die Geschichten wunderbar zusammen und bilden doch ein Ganzes, obwohl sich die Figuren nur am Rande begegenen, fast wie Kugeln auf einem Billardtisch, die einander streifen oder zusammenprallen und dann wieder auseinanderdriften. Dass dies wie unausweichliche Fügungen und nicht im Mindesten konstruiert auf mich gewirkt hat, ist der Erzählkunst des Franzosen Grégoire Delacourt zuzuschreiben, der die Handlung mit spielerischer Leichtigkeit erzählt.

Dabei sind die Lebensschicksale der vier Hauptpaare – es gibt am Rande noch einige mehr – keineswegs der typische Stoff für eine sommerleichte Strandlektüre, auch wenn sich das Buch einfach lesen lässt. Für eine melancholische Hintergrundmelodie sorgt der immer wieder zitierte französische Sommerhit des Jahres 1999, Francis Cabrels tragisches Chanson „Hors saison“, für den roten Faden die Sprache der Blumen, der Atlantikbadeort Le Touquet bei Boulogne-sur-Mer und das übergroße Bedürfnis der Menschen, nicht allein zu sein.

Am 14. Juli 1999, dem letzten französischen Nationalfeiertag vor der Jahrtausendwende, verflicht sich das Leben der vier Paare an einem Atlantikstrand in Nordfrankreich. Da ist das junge, kindliche Paar mit dem ersten Liebeskummer, die Frau Mitte 30, die nie viel Glück mit den Männern hat, und die Mitte 50, die nach dem Weggang der Kinder ihrem Leben und ihrer Partnerschaft neuen Schwung geben will, und das alte Paar, das so viel zusammen erlebt hat und auch im Sterben vereint bleiben möchte.

Kritiker mögen diesem Episodenroman nicht ganz zu Unrecht einen Hang zum Kitsch und zur Pathetik vorwerfen. Mich hat es in diesem schmalen, sehr französischen Band, in dem bis zum Nachwort und zur Danksagung einfach alles stimmt, nicht gestört.

Grégoire Delacourt: Die vier Jahreszeiten des Sommers. Atlantik 2016
www.atlantikverlag.de

Kerstin Ekman: Tagebuch eines Mörders

Ein psychologischer Krimi

Dieses Buch wollte ich unbedingt lesen, weil Doktor Glas, der schwedische Klassiker von Hjalmar Söderberg aus dem Jahr 1905, auf den sich Kerstin Ekman bezieht, für mich ein großartiger Roman ist. Darin träumt ein junger, einsamer und melancholischer Arzt von einer großen Tat und bringt einen verhassten Patienten, einen Pastor, mit Zyankalipillen um. Der perfekte Mord bleibt ungesühnt.

Kerstin Ekman geht in Tagebuch eines Mörders der Frage nach, woher  ein Autor die Ideen für seine Mordmethoden nimmt und was nach der Tat im Inneren eines Mörders passiert. Wie also kam Hjalmar Söderberg auf den raffinierten Einfall mit den Zyankalipillen?

Pontus Revinge ist ein junger Arzt aus ärmlichen Verhältnissen, vom Schicksal gebeutelt und emotional verarmt. Er ist für die Prostituierten in Stockholms zuständig, kann sich selbst aber keiner Frau nähern. Da lernt er den von ihm bewunderten Schriftsteller Hjalmar Söderberg kennen, der ihn nach einer perfekten Mordmethode fragt. Revinge schlägt ihm nicht nur einen Mord mit Zyankalipillen vor, er stellt auch welche her, zeigt sie ihm und beweist, dass er ein Mann der Tat ist. Doch anders als bei Doktor Glas hegen wird Verdacht gehegt…

Tagebuch eines Mörders ist wie Doktor Glas in Form eines Tagesbuchs und ganz im alten Stil geschrieben und wirkt auf mich selbst wie ein Klassiker. Dies und die detaillierte Beschreibung der Stadt Stockholm und der schwedischen Gesellschaft um 1900 haben mir sehr gut gefallen. Ansonsten habe ich leider keinen rechten Zugang zu diesem Buch, das halb Krimi, halb psychologischer Roman ist, gefunden.

Kerstin Ekman: Tagebuch eines Mörders. Piper 2011
www.piper.de

Solomon Northup: 12 Years a Slave

Zu Unrecht lange vergessen

Vorweg: Ich habe den Oscar-prämierten Film von Steve McQueen, der sehr werktreu sein soll, nicht gesehen, bin aber durch ihn auf das Buch von Solomon Northup aufmerksam geworden.

Der wahre Bericht über seine Verschleppung, den Solomon Northup zusammen mit seinem Co-Autoren David Wilson verfasst hat, erschien erstmals 1853, ein Jahr nach Harriet Beecher Stowes Onkel Toms Hütte, einer fiktionalen Erzählung. Beide Bücher wurden zu Bestsellern und lösten eine Debatte über die Sklaverei aus, doch geriet Twelve Years a Slave nach dem amerikanischen Bürgerkrieg in Vergessenheit. Erst in den 1960er-Jahren wurde der Bericht wiederentdeckt, war aber eher in Historikerkreisen bekannt.

Als der amerikanische Regisseur Steve McQueen 2009 nach einer Vorlage für einen Film über die Sklaverei suchte, fand seine Partnerin, eine Historikerin, das Buch und war begeistert. Es war genau, was McQueen gesucht hatte: ein frei Geborener, der zum Sklaven gemacht wurde.

Solomon Northup, Afroamerikaner, wurde vor dem Sezessionskrieg als freier Mann im Staat New York geboren. Er war Schreiner und Geiger, hatte eine Frau und zwei Kinder. 1841 wurde er mit Hilfe einer List verschleppt und als Sklave nach Louisiana verkauft, wo er zwölf Jahre lang unter unvorstellbaren Bedingungen lebte und arbeitete. Seine Befreiung erfolgte 1853 ebenfalls durch Weiße.

Der Bericht ist in der Ich-Form verfasst und sehr langsam, etwas hochtrabend und extrem detailgenau. Sobald ich mich daran gewöhnt hatte, hat sich das Buch sehr leicht gelesen. Besonders imponiert hat mir an diesem Bericht über eine unvorstellbar brutale, unmenschliche und willkürliche Zeit, dass Solomon Northup nie pauschal verurteilt, sondern immer versucht, das wenige Positive herauszuheben.

In der Mitte enthält die Ausgabe 16 Seiten Bildmaterial aus dem Film.

Solomon Northup: 12 Years a Slave. Piper 2014
www.piper.de

Michael Petrowitz: Kung-Fu im Turnschuh

Unterricht bei Meister Ming

Unter dem Motto „Lesen lernen macht Spaß“ hat der Ravensburger Buchverlag in seiner Leseraben-Erstleserreihe Bücher in drei Lesestufen vom Lesestarter bis zum Überflieger im Programm mit Titeln für jeden Kindergeschmack. Bei Kung-Fu im Turnschuh handelt es sich um einen Titel der dritten Lesestufe, die für Kinder ab Mitte der zweiten Klasse zu bewältigen sein dürfte. Die Geschichte hat bereits längere Kapitel und eine umfangreichere Textmenge, ist jedoch noch in Fibelschrift gedruckt und sehr reich farbig bebildert. Ein Glossar am Ende erklärt die farblich abgesetzten, erklärungsbedürftigen Wörter im Text und auf einer Rätsel-Doppelseite kann man sein Leseverständnis beweisen. Außerdem kann man mit Büchern der Leseraben-Reihe Punkte bei www.antolin.de sammeln.

Nach Besuch aus dem Weltraum ist Kung-Fu im Turnschuh der zweite überaus fantasievolle Leseraben-Titel von Michael Petrowitz. Im Kern geht es darin um die Frage, ob es wirklich bestimmter Klamotten bzw. eines Paars superteurer Turnschuhe Marke Air Cushion Pro Max, dem Modell für Gewinner, bedarf, um angesagt und cool zu sein. Robins Vater will das zunächst nicht einsehen, gibt dem Drängen des überall gehänselten Neunjährigen jedoch schließlich nach. Doch leider kann Robin nur den rechten Turnschuh anziehen, denn im linken sitzt ein daumengroßer Mann mit Glatze, einem langen weißen Bart und einem orangefarbenen Gewand. Er stellt sich als Meister Ming vor, Großmeister aus dem Tempel von Shaolin, eben ein Turnschuh-Shaolin.

Dass er sich ausgerechnet Robin als seinen Schüler aussucht, hängt mit seiner eigenen Vergangenheit zusammen. Während seines Unterrichts lehrt er Robin nicht nur den Schlangenhals-Wurf, mit dem der endlich Rodeo und seine Bande in die Schranken verweisen kann, er verleiht ihm auch das nötige Selbstbewusstsein, um zu erkennen, dass Schuhe allein keinen Sieger machen.

Die sehr kindgerecht erzählte, herrlich schräge Geschichte um Coolness, Mobbing, Selbstbewusstsein, die Kraft der Meditation und Gewaltfreiheit hat mir sehr gut gefallen. Die Illustrationen sind passend zur Zielgruppe witzig und peppiger als in den Bänden der ersten Lesestufe und unterstützen das Textverständnis vor allem bei schwächeren Leserinnen und Leser, wobei ich den Titel eher im Bereich „Bücher für coole Jungs“ verortet sehe.

Michael Petrowitz: Kung-Fu im Turnschuh. Ravensburger Buchverlag 2016
www.ravensburger.de

Sue Monk Kidd: Die Erfindung der Flügel

Über die Freiheit von Körper und Geist

Sarah Grimké und ihre Schwester Angelina aus Charleston, South Carolina, waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die ersten offiziellen Rednerinnen der Anti-Sklavereibewegung und die ersten bedeutenden Frauenrechtlerinnen der USA. Trotzdem sind sie heute so gut wie vergessen.

Sue Monk Kidd, die selber in South Carolina lebt, ist durch Zufall auf das Schicksal der beiden Schwestern gestoßen und hat ihnen mit ihrem Roman Die Erfindung der Flügel ein Denkmal gesetzt. Obwohl sie dafür in Tagebüchern, Briefen, Reden, Zeitungsartikeln, eigenen Dokumenten von Sarah und großen Mengen biografischen Materials recherchiert hat, folgt sie dem Leben der beiden Schwestern nur in groben Umrissen, ergänzt und fügt hinzu.

Sarah und die zwölf Jahre jüngere Angelina wurden in die Charlestoner Aristokratie geboren, ihr Lebensweg als Ehefrauen schien vorgezeichnet. Ihr Vater war Jurist und Plantagenbesitzer und selbstverständlich gehörten zum Besitztum der Familie Sklaven. Schon an ihrem elften Geburtstag, zu dem sie die zehnjährige Kammerzofe Hetty, genannt Handful, geschenkt bekommt, begehrt Sarah gegen die Sklaverei auf. Als sie trotz eines Skandals während  ihrer Geburtstagsfeier das Geschenk nicht verhindern kann, bringt sie Handful das Lesen und Schreiben bei, was zu einem weiteren Eklat führt. Es sollte nicht der letzte bleiben und  schließlich dazu führen, dass sie Charleston verlassen und bei den Quäkern im Norden eine neue Heimat finden musste.

Sue Monk Kidd erzählt das Leben von Sarah, Angelina und Handful in den Jahren 1803 bis 1838 aus zwei Ich-Perspektiven, nämlich der von Sarah und von Handful. Man erfährt von Sarahs gescheitertem Traum, Anwältin zu werden, und von ihrem Einsatz für die Befreiung und Gleichstellung der Schwarzen noch vor Harriet Beecher Stowes 1852 veröffentlichtem Roman Onkel Toms Hütte sowie ihrem Kampf für die Frauenrechte. Parallel dazu verfolgt man Handfuls Sehnen nach Freiheit, denn für sie ist nur ihr Körper Sklave, ihr Geist ist frei – im Gegensatz zu Sarah, die nach Handfuls Meinung zwar einen freien Körper besitzt, deren Geist aber unfrei ist.

Ein angesichts der immer noch virulenten Rassenprobleme in den USA hochaktueller, lesenswerter Roman.

Sue Monk Kidd: Die Erfindung der Flügel. btb 2015
www.randomhouse.de

Regina Ramstetter: Apostelwasser

Passauer Kreuzigungen

Die Zahl der Regionalkrimis aus dem emons Verlag ist groß und gemordet wird inzwischen unter dem Verlagslogo nahezu überall in Deutschland und darüber hinaus. Zwar wurde ich bisher noch nie von einem dieser Krimi enttäuscht, aber so gut wie bei Regina Ramstetters Apostelwasser passt es nicht immer. Hier hatte ich jederzeit das Gefühl, mit der Autorin auf einer Wellenlänge zu liegen, sei es beim Humor und Sprachwitz, beim niederbayerischen Flair, bei der Charakterisierung des urigen Personals, beim Kriminalfall, bei der ausführlichen Beschreibung der Ermittlungen oder bei der für meinen Geschmack genau im richtigen Umfang vorhandenen Nebenhandlung. Sehr angenehm war für mich auch, dass ich diesen dritten Band der Reihe um das Passauer Ermittlerteam ohne Kenntnisse der Vorgängerbände problemlos lesen konnte.

Der EKHK (= Erste Kriminalhauptkommissar) Kroner, ein kerniger Mann mit dem Qualitätssiegel „Hiesiger“, 30 Dienstjahre auf dem Buckel, kein Bauchtyp, sondern ein bodenständiger Ermittler, der bei Bedarf und ohne Rücksicht auf Verluste gerne auch mal jemandem ans Bein pinkelt, bekommt es mit einem ganz besonderen Fall zu tun, der in der Presse schnell als „Innstadt-Kreuzigung“ firmiert. Am Ufer der Ilz werden drei Männer mit von Kreuzen durchbohrtem Brustkorb, mit Lendenschurz und mit Händen und Füßen an den Boden genagelt aufgefunden: der ehemalige katholische Pfarrer Gustav Kleingütle, der Anwalt Andreas Geiger und der ehemalige Generalvikar der Diözese Regensburg. Alle sind in den Missbrauchsskandal bei den Regensburger Domspatzen verwickelt, als Täter oder als Vertuscher. Nicht nur Kroner und sein Team hoffen, dass die Opfer von damals nicht die Täter von heute sind, auch als Leserin habe ich mir das gewünscht, denn die eingestreuten Rückblenden auf das Martyrium eines Kindes bei den Domspatzen in den 1960er-Jahren sind erschütternd! Genauso habe ich mir gewünscht, dass die Ermittlungen bei der Passauer Polizei bleiben und nicht ans LKA abgegeben werden müssen, denn vor Ort schien eine rückhaltlose Aufklärung am ehesten gewährleistet.

So sehr der Fall auch fesselt und bewegt, so dankbar war ich über die Unterbrechungen durch Kroners bewegtes Privatleben. Auch hier lief nicht alles rund, gab es Sackgassen und Missverständnisse, doch die Aussicht auf ein Happy End schien eher gegeben.

Ein rundum gelungener Krimi, der mich zugleich sehr gut unterhalten und mir neue Informationen zum Thema Missbrauch in katholischen Einrichtungen und deren Aufklärung geliefert hat. Dank der „Überlebenshilfe“ in Form eines Glossars „für Preußen und andere Ahnungslose“ ist er zum Glück nicht nur für Eingeborene lesbar!

Regina Ramstetter: Apostelwasser. emons 2016
www.emons-verlag.de

Georgia Byng: Molly Moon

Eine pfiffige, mutige Kinderbuchheldin

Molly Moon lebt in einem Waisenhaus, in dem es schlimmer zugeht als bei Oliver Twist. Das Essen ist ungenießbar, die Vorsteherin eine Kinderhasserin und ungerecht und die anderen Kinder hänseln sie. Molly scheint das Unglück förmlich anzuziehen und zuletzt wird sogar ihr einziger Freund Ronny adoptiert und zieht nach New York.

Doch mit der Entdeckung eines Hypnosebuches in der Bibliothek kommt für Molly die sensationelle Wende. Sie schafft es bis zum Musicalstar in New York und trifft Ronny wieder. Doch dann wird sie durch einen Verbrecher, der hinter dem Buch her ist, aufgerüttelt und erkennt, dass sie kein Leben führen will, das auf falschen Voraussetzungen beruht…

Molly Moon ist eine pfiffige, mutige Kinderbuchheldin für Mädchen ab ca. sieben Jahren, und wenn mir das Buch teilweise auch etwas überzogen vorkam, kann es gut unterhalten.

Georgia Byng: Molly Moon. dtv 2009
www.dtv.de

Heinrich Maurer: Die vier von der Schusterstaffel

Eine schwäbische Dorfgeschichte

Heimatromane gehörten bisher nicht zu meiner üblichen Lektüre, aber nachdem ich Heinrich Maurers Die vier von der Schusterstaffel gelesen habe, werde ich diesem Genre in Zukunft mehr Beachtung schenken. Anders als in der Definition des Brockhaus, der mit Heimatroman die Begriffe „Trivialliteratur“ und „idyllisch-idealisierende Verherrlichung der Heimatliebe“ verbindet, handelt es sich hier um die sehr realistische Geschichte von vier Bauernhöfen und ihren Bewohnern in einem schwäbischen Dorf von den 1950er-Jahren bis zur Jahrtausendwende.

Zu Beginn sind die vier Freunde Berward Hinderer, Karl Markmann, Hermann Lindwein und Herbert Fendler, die sich abends auf ein Flaschenbier an der Schustertreppe treffen, Bauernsöhne im Wartestand. Drei von ihnen übernehmen nach und nach den Hof der Eltern und heiraten, Karl Markmann bleibt als jüngerer, unverheirateter Sohn auf dem Hof des älteren Bruders.

Sehr anschaulich schildert Heinrich Maurer die Veränderungen, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Dorf und auf den Höfen abspielen, sei es durch nicht mehr vorhandene Knechte und Mägde, durch die Flurbereinigung, die neuen Maschinen, die veränderte Tierhaltung oder die Vorgaben und Einflussnahmen der EWG und später der EU. Beständige Weiterbildung und der Mut zu Veränderungen kennzeichnen das Leben der Familien, und wo nicht richtig auf die neue Zeit reagiert wird, wo nicht an einem Strang gezogen wird, droht die Zwangsversteigerung. Die Freundschaft der Vier, die oft genug zu Konkurrenten werden, ist im Laufe der Jahre mancher Belastung ausgesetzt, trotzdem spürt man in Notzeiten doch die Verbundenheit, und als die junge Generation herandrängt, finden sie auch wieder die Zeit, die Tradition der Treffen an der Schusterstaffel aufleben zu lassen.

Ich habe aus diesem Roman, der sich an manchen Stellen fast wie ein Sachbuch liest, sehr viel über die Geschichte und die heutigen Gegebenheiten für die Landwirtschaft in meiner Heimat gelernt. Dabei hat es mir besonders gut gefallen, dass Heinrich Maurer, selber nahe Schwäbisch Hall auf einem Bauernhof aufgewachsen, nie in einen klagenden Ton verfällt, sondern immer nur anhand der vier Höfe verschiedene Entwicklungen und unterschiedliche Reaktionen der Bauern aufzeigt. Ich hatte so das Gefühl, Fakten von allen Seiten beleuchtet dargelegt zu bekommen, ohne mit meinem Urteil in eine bestimmte Richtung gedrängt zu werden. Ich habe einiges über Landwirtschaft und Agrarpolitik erfahren, bin durch die Familiengeschichten bestens unterhalten worden und meine, die Situation der Bauern und ihrer Familien nun besser zu verstehen.

Die vier von der Schusterstaffel ist für mich ein kleines Gesamtkunstwerk, bei dem Aufmachung, Sprache und Inhalt wunderbar zusammenpassen, und ein Heimatroman im positivsten Wortsinn, ruhig und unaufgeregt erzählt. Einziger kleiner Kritikpunkt ist die gewählte Schriftgröße, die für manch Interessierten zu klein sein könnte.

Heinrich Maurer: Die vier von der Schusterstaffel. Ulmer 2016
www.ulmer-verlag.de

Ken Follett: Das zweite Gedächtnis

Ein routiniert geschriebener Agententhriller

Am 29. Januar 1958 laufen in Cape Canaveral die Vorbereitungen zum Start der Explorer, dem ersten amerikanischen Satelliten als Antwort auf den Sputnik der Russen.

Um fünf Uhr morgens desselben Tages erwacht auf einer Männertoilette ein Mann ohne Gedächtnis. Ein Kumpel klärt ihn darüber auf, dass er Luke heißt und will ihm weismachen, dass er ein Penner sei.

Von Stunde zu Stunde setzt Luke nun wie bei einem Puzzle Teile seiner Identität zusammen. Die einzelnen Kapitel haben nur Uhrzeiten als Überschrift oder Jahre, wenn es um Rückblenden und seine Arbeit für den CIA und das Leben mit den vier Mitstudenten in Harvard geht.

Während Luke seine Identität ergründet, merkt er schnell, dass er verfolgt wird, doch er findet auch Verbündete. Am Ende steht der große Showdown in Cape Canaveral.

Ein logisch und klar aufgebauter Agententhriller, wirklich spannend, unterhaltsam und mit der Ken Follett eigenen Routine geschrieben, aber auch klischeebehaftet, sehr konstruiert und manchmal vorhersehbar.

Ken Follett: Das zweite Gedächtnis. Bastei Lübbe 2015
www.luebbe.de

Gabriele Beyerlein: Bea am anderen Ende der Welt

Kinder und die Globalisierung

Auch vor Kindern macht die Globalisierung nicht halt. Der achtjährige Jan und seine beste Freundin Bea, bei der er anders als bei seinen Fußballerfreunden nicht cool sein muss, werden getrennt. Beas Vater muss für zwei Jahre nach Shanghai und Bea zieht um. Trotz Mails und Telefonaten vermissen die Kinder einander schmerzlich.

Doch mit dem neuen Mitschüler in seiner Klasse, der gerade aus Shanghai zurückgekehrt ist, und der nicht einmal weiß, wer Lukas Podolski ist, könnte etwas Neues für Jan beginnen…

Mir hat an diesem Kinderbuch ab acht Jahren gefallen, dass die Freundschaft zwischen einem Jungen und einem Mädchen im Mittelpunkt steht und das Buch deshalb für Jungen und Mädchen gleichermaßen geeignet ist. Gabriele Beyerlein schreibt einfühlsam über Freundschaft, Abschied, Verlust und Neuanfang und thematisiert die Folgen der Globalisierung auch für Kinder.

Gabriele Beyerlein: Bea am anderen Ende der Welt. Thienemann 2008
www.thienemann-esslinger.de