Ein beispielloser Fall
Mit Beginn des Herbstes kehrt normalerweise in Le Lavandou Ruhe ein. Die Bar „Chez Miou“ gehört wieder den Einheimischen und traditionell gibt es bei der Polizei und im rechtsmedizinischen Institut mit der Abreise der letzten Touristen weniger Arbeit. Nicht so in diesem Jahr. Was mit der Vermisstenanzeige einer jungen Frau beginnt, führt kurz darauf zu einem makabren Fund: Ein abgetrennter Fuß mit Schuh taucht auf, kurz danach der Rest der Leiche. Laut dem Befund von Dr. Leon Ritter, Gerichtsmediziner am rechtmedizinischen Institut von Saint-Sulpice, deutscher Abstammung und Lebenspartner von Capitaine Isabelle Morell, verblutete das Opfer infolge der dilettantisch durchgeführten Verstümmelung. Offensichtlich hatte der Täter es darauf angelegt, dem Opfer ein Höchstmaß an Schmerzen zuzufügen: „Allerdings liegt in diesem Fall ein Maß an Aggressivität vor, wie ich es in meiner fünfundzwanzigjährigen Berufspraxis nur selten gesehen habe.“ Kurz nach der ersten verschwindet eine weitere Frau. Frankreichweit erregen die Vorgänge in Le Lavandou Aufsehen: „Dieser Fall war ohne Beispiel und darum eine Sensation“ und „lockt die Medien an wie reife Beeren die Wespen“, dabei möchte der Polizeichef, „dass Le Lavandou für seine Blumenpracht bekannt wird und nicht für seine abgesägten Füße“.
Wie immer schickt die Staatsanwaltschaft Toulon bei Kapitalverbrechen eine Kommissarin nach Le Lavandou, sehr zum Ärger von Polizeichef Zerna. Begeistert ist auch niemand über die Psychologin Dr. Claire Leblanc, die die Kommunikationsstruktur der Gendarmerie national verbessern soll – außer dem médecin légiste, der prompt einen Flirt mit der attraktiven Frau beginnt.
Dr. Leon Ritter steht noch mehr als gewöhnlich im Mittelpunkt dieses fünften Falls. Nicht nur, dass alle Opfer bei ihm in der Gerichtsmedizin landen, scheint der Täter ihn ganz persönlich herausfordern zu wollen. Trotz seiner Beteuerungen, dass er nur für die Fakten, die Polizei dagegen für die Schlüsse zuständig sei, kann er das Ermitteln wieder einmal nicht lassen und stellt die Ergebnisse der Polizei immer wieder in Frage. Doch plötzlich ist Leon noch viel mehr in den Fall involviert, als er es sich hätte träumen lassen, und zu den beruflichen Problemen kommen nun auch noch private.
Remy Eyssens Provence-Krimis gehören zu einer der wenigen Reihen, von denen ich mir keinen Band entgehen lasse. Trotz der schaurigen Mordfälle sind es „Wohlfühlbücher“ in herrlicher Umgebung, mit französischem Flair und sehr sympathischen Protagonisten. Allerdings habe ich auch bei Mörderisches Lavandou, genau wie beim Vorgängerband Das Grab unter Zedern, den Täter vorzeitig entlarvt, dieses Mal nach knapp zwei Dritteln des Buches. Etwas weniger blutige Details hätten für meinen Geschmack genügt und der Showdown war, wenn man die Vorgängerbände kennt, nicht besonders originell, aber ansonsten hat mich der leicht lesbare Krimi wieder gut unterhalten und ich freue mich auf meinen nächsten Besuch in Le Lavandou, wenn vielleicht sogar Hochzeitsglocken läuten.
Remy Eyssen: Mörderisches Lavandou. Ullstein 2019
www.ullstein-buchverlage.de