Was macht man mit Teilen seiner selbst, die man verliert?

Man sollte sich keineswegs vom appetitanregenden Cover täuschen lassen: Was durch die Farbgebung und die Eistüte wie ein leichter Sommerroman wirkt, entpuppt sich beim Lesen als durchaus tiefgründiger, literarischer Titel.
Erzählt wird die Geschichte der Familie Talamini aus dem Cadore-Tal in den Dolomiten über fünf Generationen. Der Urgroßvater des Ich-Erzählers erlebt als Junge eine Erweckung, als er zum ersten Mal vom Speiseeis hört, und wird zum Eismacher aus Leidenschaft. Für seine Kreationen holt er noch das Eis aus den Bergen. Seine Nachfahren betreiben das Eiscafé Venezia in Rotterdam. Vom Frühling bis zum Oktober schuften sie ohne Pause, um dann den Winter zu Hause in den Dolomiten zu verbringen, vier ruhige Monate in Vorbereitung auf die neue Eissaison.
Der Lebensweg des Ich-Erzählers Giovanni scheint also vorgezeichnet, doch wie sein Urgroßvater vor ihm hat auch er ein Erweckungserlebnis: Anstatt die Eismachertradition fortzusetzen, verfällt er der Welt der Poesie, studiert Literatur, wird Direktor des World Poetry Festival mit einem Büro schräg gegenüber des Eiscafés in Rotterdam, besucht Poetik-Veranstaltungen auf der ganzen Welt und jagt neuen Dichtern und Gedichten hinterher wie sein Bruder den neuen Eissorten. Er lässt den alten, verbitterten Vater mit den schmerzenden Gelenken, der lieber Erfinder als Eismacher geworden wäre, und seinen jüngeren Bruder Luca mit der Familientradition im Stich. Als kleine Wiedergutmachung verzichtet er auf Sophia, die Jugendliebe beider Brüder, die Lucas Frau wird. Fortan gilt er dem Vater und dem Bruder als Verräter, Luca spricht zwölf Jahre lang kaum ein Wort mit ihm, bis er ihn doch noch um einen unerhörten Gefallen bittet…
Ich habe diesen Roman um Familientraditionen, Generationenkonflikte, die Geschichte der Speiseeisherstellung, die Passion für immer neue Geschmacksrichtungen und die Welt der Gedichte ausgesprochen gerne gelesen. Mein Blick auf italienische Eiscafés und die Familien, die jeden Sommer für unseren Eisgenuss sorgen, und über die ich mir bisher kaum Gedanken gemacht hatte, ist ein anderer geworden. Nur die detaillierte Beschreibung der weiblichen Anatomie, in der sich der Autor mit Wonne ergeht, hat mich bisweilen genervt, konnte meinen Lesegenuss jedoch insgesamt nicht trüben.
Ein wirklich empfehlenswerter Roman des in Rotterdam und Südtirol lebenden indisch-niederländischen Autors Ernest van der Kwast, der dem diesjährigen Gastland der Buchmesse alle Ehre macht!
Ernest van der Kwast: Die Eismacher. btb 2016
www.randomhouse.de
Im ersten Band um die promovierte Journalistin, Dokumentarfilmerin und Profilerin Clare Hart, die von der Polizei wegen ihres Instinkts und ihrer unkonventionellen Methoden geschätzt wird, geht es um die Themen Frauenhandel, Korruption, Macht, Geld, Immobilienhaie und Moral.
Nach Bestechung, Menschenschmuggel, Ritualmorden, Rechtsextremismus u. a. in den ersten beiden Bänden der Reihe, geht es im dritten Band mit dem Triester Commissario Proteo Laurenti um den Organhandel, ein Thema, das sich von Afrika und Indien immer mehr ins arme Osteuropa verlagert. Triest, eine Stadt, die früher eher eine Randlage hatte, gerät durch seine Geografie im Dreiländereck Italien/Slowenien/Kroatien in den letzten Jahren immer mehr in die Situation einer Schnittstelle zwischen West und Ost und wird zunehmend für das internationale Verbrechen interessant.
In Lila, Lila plaudert Martin Suter sozusagen aus dem Nähkästchen, denn es geht um den Literaturbetrieb.
Dies ist kein 08/15-Krimi, sonst wäre er nicht bei Suhrkamp erschienen und würde nicht die Krimi-Bestenliste der Zeit im Juni 2016 anführen. Außergewöhnliches Personal, ein sehr pointierter, lässiger Stil, geistreiche, oft sogar witzige Dialoge und eine durchdachte Handlung zeichnen ihn aus.
Im vierten Band von Arne Dahls Reihe um das Stockholmer A-Team der Reichskriminalpolizei geht es um Frauenhandel in der Ukraine, NS-Forscher und die Verwicklung schwedischer Wissenschaftler und die organisierte Kriminalität in Italien.
Nachdem die Stockholmer Sonderermittlergruppe für komplexe Fälle der schwedischen Reichskriminalpolizei am Ende des zweiten Bandes der Reihe, Böses Blut, wegen desaströser Leistungen aufgelöst und die Ermittler verstreut eingesetzt worden waren, erhält das sog. A-Team in diesem dritten Band eine neue Chance, denn es scheint eben doch nicht ohne sie zu gehen.
Dies ist sicherlich kein gewöhnlicher skandinavischer Krimi, auch wenn
Wow, was für eine sympathische, nimmermüde achtjährige Buxtehuder Quasselstrippe, diese Pernilla Petersen, die uns auf knapp 300 Seiten erzählt, wie sie und ihre Brüder die Familie vor dem finanziellen Ruin und einem Umzug vom Haus in eine Vierzimmerwohnung bewahren.
Drei Handlungsstränge und zwei Zeitebenen, erzählt in sieben Teilen und einem kunstvollen Prolog, die sich erst nach und nach in Beziehung zueinander bringen lassen, bilden das Gerüst dieses ausgesprochen empfehlenswerten Romans.