Alex Schulman: Skynda att älska

  Verdrängte Trauer

Die Bücher von Alex Schulman begleiten mich seit 2021, als mit Die Überlebenden sein erster Roman auf Deutsch erschien, gefolgt 2022 von Verbrenn all meine Briefe und Endstation Malma 2023. Noch nicht ins Deutsche übersetzt sind die Titel über seine Eltern: Glöm mig, das Buch über seine alkoholabhängige Mutter aus dem Jahr 2016, und  Skynda att älska über seinen Vater von 2009. Nur elf Tage hat er für dieses Debüt gebraucht, zwei Jahre dagegen für Endstation Malma. Mit dem sehr berührenden, zarten und nachdenklichen Buch über seine Beziehung zu seinem Vater Allan Schulman (1919 – 2003), einem in Schweden sehr bekannten TV- und Radio-Produzenten und -Regisseur, überraschte der 1976 geborene Alex Schulman seine Landsleute, die ihn bis dahin als Enfant terrible der Blogger- und Zeitungswelt kannten.

Foto: © B. Busch. Buchcover: © Månpocket und Bookmark

Fünf Jahre Verdrängung
Im Jahr 2008, fünf Jahre nach dem Tod seines Vaters, fuhr Alex Schulman erstmals wieder ins Sommerhaus der Familie nach Värmland. Dort, wo er alle Sommer zwischen sechs und achtzehn verbracht hatte, war der Vater präsent wie sonst nirgendwo. Weil er weiterhin nicht über ihn reden oder sich in seinem Zimmer aufhalten konnte und schwere Jahre mit unverständlichen Entscheidungen hinter sich hatte, suchte er nach diesem missglückten Besuch einen Therapeuten auf. Bei der Beerdigung war er nicht zusammengebrochen, nun erkannte er, dass dieser Triumpf keiner war:

Det tog fem år för mig att inse att den sanna triumfen ligger i att faktist göra det. (S. 226)

[Ich habe fünf Jahre gebraucht, um zu erkennen, dass der wahre Triumph darin liegt, es tatsächlich zu tun.]

Vertauschte Rollen
Zwei Besuche im Sommerhaus im Abstand von drei Monaten bilden den Rahmen des Buches mit Erinnerungen an die gemeinsame Zeit. Der Vater war bei Alex Schulmans Geburt bereits 56 Jahre alt, 32 Jahre älter als die Mutter, hatte vier erwachsene Kinder und betrachtete die neue Familiengründung als zweite Chance. Wie rote Fäden ziehen sich Gespräche von Alex Schulman mit seinem Therapeuten durchs Buch, ebenso der ab 1987 alljährlich an Mittsommer vom Vater für seine drei jüngsten Söhne veranstaltete Coca-Cola-Cup. Zunehmend wurde dieser Fußballwettbewerb zum Kampf gegen dessen Alter und passten die Söhne die Regeln zu seinem Schutz an. Früh war sich Alex Schulman der Unterschiede zu den Vätern seiner Kameraden bewusst, sorgte sich schon als Kind um ihn, litt unter dem Spott der Mitschüler, spürte die väterliche Angst vor dem Tod und beschützte ihn zusammen mit seinen Brüdern, was in den Worten des Therapeuten einer Umkehrung der Rollen gleichkam:

Du blev pappa till din pappa. (S. 122)

[Du bist zum Vater deines Vaters geworden.]

Alex Schulman auf der Frankfurter Buchmesse 2023. © B. Busch

Der Titel Skynda att älska (Beeil dich zu lieben) stammt aus der wunderbar wehmütigen Höstvisa (Herbstweise) der finnland-schwedischen Schriftstellerin Tove Jansson (1914 – 2001), einem Lieblingslied des in Helsinki geborenen Vaters. Das Buch liest sich wie ein langer Abschiedsbrief an einen Mann, der die Familie mit der Stoppuhr kontrollierte, beruflich als Choleriker galt und trotzdem ein liebevoller Vater war. Dass er die Alkoholsucht der Mutter ignorierte und die Söhne nicht vor den dramatischen Folgen schützte, erfährt man erst im nach ihrem Tod entstandenen Glöm mig.

Ergreifend Trauer
Wie in allen Büchern von Alex Schulman war ich ab dem ersten Satz mitgerissen von den lebendigen Szenen, der glasklaren Sprache und den Reflexionen, der Schilderung von herzergreifender Trauer und der klugen Struktur – alles beinahe schon wie in seinen späteren Romanen, in denen man viele Parallelen zur Biografie findet.

Alex Schulman: Skynda att älska. Månpocket 2009
www.bonnierforlagen.se

 

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