Antonin Varenne: Die Treibjagd

Alte Clanstrukturen im Massif Central

Vor acht Jahren hat Michèle Messenet ihre kleine Heimatstadt im Massif Central verlassen, um allem, was sie hasste, zu entfliehen. Nach einem Absturz in die Drogensucht und einem Gefängnisaufenthalt ist sie nun zurückgekehrt. Wegen ihres kranken Vaters? Weil sie ihren Frieden mit ihrem Geburtsort machen will? Oder vielmehr wegen ihrer Jugendliebe Rémi Parrot, der nach einem Unfall im Alter von 15 Jahren, nach zwei Jahren im Krankenhaus und 28 chirurgischen Eingriffen mit chronischen Schmerzen und einer Codeinabhängigkeit als „Monstergesicht“ lebt?

Michèle ist Teil des Familienclans der Messenets, neben den Courbiers der beherrschende Familienverband in einer Region, in der Körperkraft und Verwandtschaft die wichtigsten Merkmale sind. Die beiden Großgrundbesitzerfamilien regieren schon seit Generationen ohne Rücksicht auf die Menschen, polarisieren die Bewohner, haben die Politiker in der Hand und degradieren die Staatsmacht zu einer marginalen Größe. Befassen sich die Courbiers mit der Holzwirtschaft, so machen die Messenets ihr Geld mit Vieh. Auch die Familie von Rémi, die erst in der dritten Generation hier lebt, konnte nie Fuß fassen und eine Verbindung zwischen dem Parrot-Enkel und der Messenet-Tochter war (und ist) für Michèles Familie undenkbar. Rémi hat sein Land vor einiger Zeit an die Platzhirsche verkauft, sich in die Waldhütte Terre Noire zurückgezogen, dem letzten Stück des Parrot-Hofs, und arbeitet als Revierjäger. Die Rückkehr von Michèle und das Verschwinden seines Freundes, des Waldaufsehers und Umweltaktivisten Philippe kurz vor der jährlich stattfindenden großen Treibjagd, reißen Rémi aus seinem zurückgezogenen Leben. Eine Lawine kommt ins Rollen, plötzlich tut sich die Chance auf, die seit alters zementierte Ordnung zu überwinden…

Glaubt man dem sehr atmosphärisch gestalteten Cover, so handelt es sich bei Die Treibjagd des Franzosen Antonin Varenne um einen Roman, für mich ist es jedoch eher ein psychologischer Krimi oder Thriller. Die nicht-chronologische Erzählweise stellt in diesem Fall hohe Anforderungen an die Konzentration der Leser, zumal die Überschriften in Bezug auf die zeitliche Abfolge eher zum Rätseln einladen. Da mit den Kapiteln auch die Perspektiven wechseln und immer wieder polizeiliche Vernehmungen von Michèle und Rémi eingestreut sind, die zum Teil Ereignisse vorwegnehmen, habe ich einige Zeit gebraucht, um mich in der Geschichte zurechtzufinden. Dann allerdings habe ich die in einer düsteren, rauen und doch faszinierenden Landschaft angesiedelte Handlung um despotische Familienclans, Machtspiele, Rache, Gerechtigkeit, verletzte Seelen und nicht zuletzt Liebe mit großer Spannung verfolgt und die Puzzleteile Stück für Stück zusammengesetzt.

Ein Wort noch zur Herstellung des Taschenbuchs: Der recht enge Druck bis dicht an die Buchmitte führt dazu, dass man das Buch mit Kraft aufhalten muss, ja, es scheint sich der Lektüre förmlich zu widersetzen. Ich würde in diesem Fall eine leserfreundlichere Ausstattung bevorzugen, auch wenn der Preis dadurch etwas höher wäre.

Antonin Varenne: Die Treibjagd. Penguin 2017
www.randomhouse.de

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