Drei Wochen in der Uckermark
Im August 2020 brennt nicht nur die von Rahel und Peter Wunderlich gemietete Ferienhütte in den Ammergauer Alpen kurz vor ihrer Anreise ab, auch in ihrer Ehe lodert es bedrohlich:
Sein feiner Humor kippt nun öfter ins Zynische, und an die Stelle ihrer lebhaften Gespräche ist eine distinguierte Freundlichkeit getreten. Damit einhergehend – und das ist das Schlimmste – hat er aufgehört, mit ihr zu schlafen. (S. 11)
Ein weiterer Brandherd ist Peters Arbeitsplatz als Literaturwissenschaftler an der Universität, seit er sich ahnungslos im Umgang mit einer diversen Studentin zeigte und damit einen Shitstorm auslöste. Von seiner Frau fühlt er sich diesbezüglich unverstanden. Rahels Beziehung zu ihrer ihr wesensfremden Tochter Selma gleicht einem Pulverfass, für das es jederzeit nur eines Funkens bedarf, und der Brand Dresdens 1945 war ursächlich für die dauerhafte Traumatisierung von Rahels Großmutter.
Uckermark statt Alpen
Statt drei Wochen Oberbayern geht es nun also in die Uckermark. Die beste Freundin von Rahels verstorbener Mutter, Ruth, muss ihren Mann Viktor nach einem Schlaganfall in die Reha begleiten und bittet Rahel und Peter, währenddessen ihren Hof und die Tiere zu versorgen. Peter beugt sich Rahel einsamem Entschluss.
Ein bunter Strauß von Problemen
Obwohl der Hof viel Arbeit macht, hat Rahel genug Zeit zum Nachdenken. Was ist nach fast 30-jähriger Ehe noch an Gefühlen übrig? Warum hat Peter das sexuelle Interesse an ihr verloren? Wie soll die 49-jährige Psychotherapeutin mit den Vorboten der Menopause und ersten körperlichen Verfallserscheinungen umgehen? Warum profitiert sie beim Umgang mit der Tochter nicht von ihrer professionellen Erfahrung? Welchen Einfluss hatte und hat das großmütterliche Kriegstrauma auf die nachfolgenden Generationen? Kann es sein, dass sie dem Geheimnis ihres unbekannten Vaters auf der Spur ist?
Für die Schlagzeilen der Weltpresse, die im Hintergrund mitlaufen, bleibt kaum Raum. Längst lesen sich Rahel und Peter nicht mehr am Frühstückstisch aus verschiedenen überregionalen Zeitungen vor und diskutieren über aktuelle Fragen.
Schwierige Figuren
Daniela Krien, 1975 in Neu-Kaliß geboren und damit ähnlich alt wie ihre Protagonistin Rahel, seziert die Probleme mit scharfem Blick, respektvoll und ohne Tabus. Ihre Sätze sind auf das absolut Notwendige verknappt und die Bilder stimmen. Sympathien konnte ich allerdings für keine der Figuren entwickeln, weder für die selbstgerecht jammernde, weitgehend kritikimmune Rahel mit ihrer mangelnden Empathie für ihre Familienmitglieder genauso wie für ihre Patientinnen und Patienten, noch für den resignierten, depressiven Peter oder die orientierungslose Selma. Dem 55-jährigen Peter als professoralem Bücherwurm kann ich die Weltfremdheit und die Weigerung, sich mit den Minenfeldern des Zeitgeistes auseinanderzusetzen, noch abnehmen, aber Rahel, die doch als Psychotherapeutin mit beiden Beinen im Leben stehen und neueren Entwicklungen gegenüber offener sein müsste, erscheint mir deutlich älter, als sie nach Jahren ist.
Reichlich Diskussionsstoff
Schon bei Daniela Kriens Bestseller Die Liebe im Ernstfall taten mir – trotz ihrer Schwächen – eher die Männer leid, nun war es ebenso. Auch wenn ich ihre Meinung oft nicht teile, bietet auch Der Brand reichlich Diskussionsstoff: in die Jahre gekommene Beziehungen, Altern, Generationenkonflikte, transgenerationale Traumatisierung und vieles andere mehr, nicht zuletzt den bei ihr allzeit präsente Ost-West-Konflikt mit für mich als Westdeutsche überraschenden Aspekten.
Daniela Krien: Der Brand. Diogenes 2021
www.diogenes.ch
Weitere Rezension zu einem Roman von Daniela Krien auf diesem Blog: