Kirsten Boie: Das Lesen und ich

  „Für mich war Lesen wie Magie“

 

Keine Schriftstellerin und keinen Schriftsteller habe ich so häufig live erlebt wie die von mir hochgeschätzte Kinder- und Jugendbuchautorin Kirsten Boie – bei Lesungen für ihre Hauptzielgruppe, beim Interview oder bei einer Veranstaltung für pädagogische Fachkräfte – und immer mit großem Gewinn.


Vorkämpferin für das Lesen

Anlässlich ihres 70. Geburtstages am 19. März 2020 veröffentlichte der Oetinger Verlag Kirsten Boies Streitschrift zum Thema Lesen. Für ihr großes Engagement wurde die ehemalige Lehrerin im Juni 2019 auf den Buchtagen in Berlin hochverdient mit der Plakette „Förderin des Buches“ geehrt. Aufgeschreckt durch Studien, nach denen fast ein Fünftel der deutschen Zehnjährigen nicht sinnentnehmend lesen kann, aber auch durch eigene Erfahrungen bei Lesungen in Grundschulen, startete Kirsten Boie im Sommer 2018 mit vielen prominenten Erstunterzeichnern die „Hamburger Erklärung“ mit Forderungen an die Politik zur Förderung der Lesekompetenz.

Sachtext und Autobiografie
Eingerahmt werden die 17 kurzen Kapitel von einem exzellenten Vorwort der ehemaligen Oetinger-Verlegerin Silke Weitendorf und Kirsten Boies Rede anlässlich der Preisverleihung. Dazwischen geht es um ihren eigenen Weg zum Lesen, der als Kind von Eltern ohne höhere Schulbildung und einem Haushalt fast ohne Bücher nicht unbedingt vorgezeichnet war. Um so mehr setzt sie sich heute für Kinder aus benachteiligten Familien ein, um ihnen das Lesen als „Nadelöhr hinein in die Gesellschaft“ zu ermöglichen und so zur Gerechtigkeit beizutragen. Neben den vielen rationalen Gründen für gute Lesekompetenz wie Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen, bessere Rechtschreibung, Anregung der Fantasie und Steigerung von Empathievermögen und Intelligenz ist es aber vor allem die Freude am Lesen, die sie vermitteln möchte. Auch wenn heute nicht mehr gilt, „wer etwas anderes erleben wollte als das eigene bescheidene Nachkriegs-Kinderleben, der musste Bücher lesen“, so erschließen Bücher noch immer fremde Welten, produzieren innere Bilder und fördern die Auseinandersetzung mit sich selbst. Wie Kirsten Boie kann ich mir kein Leben ohne Bücher vorstellen, auch ich wäre ohne die Bücher meiner Kindheit und Jugend heute ein anderer, sehr viel ärmerer Mensch. Dass ich Langeweile nur vom Hörensagen kenne, verdanke ich meinen Büchern.

Trotz ihres leidenschaftlichen Plädoyers ignoriert oder verurteilt Kirsten Boie jedoch keineswegs die heutigen Lebensumstände. Filmen, Computerspielen oder YouTube & Co. billigt sie selbstverständlich einen Platz im Kinderalltag zu, allerdings können sie Bücher nicht ersetzen. Und auch bezüglich der Buchauswahl ist sie sympathisch entspannt, geht es ihr doch viel mehr um das Lesen an sich als um die Art der Lektüre.

Ehrlich und authentisch
Dass ich das kleine Büchlein so gerne gelesen habe, liegt einerseits daran, dass Kirsten Boie mir aus dem Herzen spricht und ihre Stimme so authentisch klingt. Es liegt aber auch daran, dass ich mich in vielem wiedererkannt habe, genau wie es beim Lesen sein soll. Während Kirsten Boie in der Nacht vor ihrem mündlichen Abitur zur Beruhigung Bullerbü-Geschichten las, waren es bei mir nach dem Abitur sämtliche Bände meiner geliebten Hanni-und-Nanni-Reihe, die ich nach den Sternchenthemen Fontane, Kleist, Voltaire und Anouilh unbedingt noch einmal brauchte.

Eine Lektüre für alle, die in irgendeiner Form mit Kindern zu tun haben, und die Kirsten Boie genauso schätzen wie ich.

Kirsten Boie: Das Lesen und ich. Oetinger 2020
www.oetinger.de

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