Ein biografischer Roman über Ida Chagall und ihren Vater
In Die Tochter des Malers, einem biografischen Roman über die einzige Tochter von Marc Chagall, Ida Chagall, hält sich die amerikanische Autorin Gloria Goldreich nach eigenem Bekunden streng an biografische Fakten, die sie aus dem Studium von Biografien, Briefen und anderen Quellen gewonnen hat, schmückt diese jedoch in Romanform aus und bettet sie in den historischen Kontext, jedoch weitgehend ohne Jahresangaben, ein.
Ida Chagall (1916-1994) erlebte als Kind die Flucht ihrer jüdischen Eltern aus dem revolutionären Russland, ein traumatisches Erlebnis für Marc und vor allem Bella Chagall. Nach einer Zwischenstation in Berlin setzt der Roman mit dem Leben der Familie in Frankreich vor Beginn des Zweiten Weltkriegs ein.
Ida, überbehütete Tochter und eines der Lieblingsmodelle ihres Vaters, wuchs unter strenger Beobachtung und weitgehend abgeschirmt von der Außenwelt auf. Nach einer Abtreibung auf Wunsch der Eltern im Alter von 19 Jahren zwangen Marc und Bella Chagall Ida zur Heirat mit dem Kindsvater Michel Rapaport, ebenfalls Sohn aus Russland ausgewanderter Juden, von den Chagalls jedoch wegen ihrer Armut verachtet.
Mit der Besetzung Frankreichs durch deutsche Soldaten veränderte sich das Gefüge innerhalb der Familie dramatisch. Während Marc und Bella die Gefahr lange Zeit leugneten und eine weitere Emigration kategorisch ausschlossen, organisierte Ida das Leben und die Flucht ihrer Eltern und konnte sie schließlich zur Ausreise in die USA bewegen. Bella starb im Exil, Marc Chagall kehrte nach dem Krieg nach Frankreich zurück.
Die Tochter des Malers ist nicht nur ein biografischer Roman über Ida, sondern zugleich über Marc Chagall in der Zeit von ca. 1935 bis ca. 1960. Der Wandel von der behüteten Tochter zur beruflichen wie privaten Managerin ihrer Eltern, später ihres Vaters – sie organisierte ihm, der nicht alleine sein konnte, sogar seine Partnerinnen – macht den Reiz des Romans aus. Dabei war es für mich ernüchternd, zu erfahren, welch unfassbar egoistischer, eitler, realitätsfremder und naiver Mensch der geniale Künstler Marc Chagall war.
Erst gegen Ende des Romans scheint sich Ida – nicht ganz freiwillig – aus der selbstgewählten Vereinnahmung durch den Vater zu lösen und ein eigenes Leben zu führen.
Gloria Goldreich hat aus den biografischen Fakten einen unterhaltsamen, informativen Roman gewebt. Besonders die Stellen, in denen sie Marcs Beziehung zum Judentum, aber auch zur christlichen Religion, schildert, haben mir gut gefallen. Der einfache Stil und die strikte Chronologie machen das Buch zu einem leicht lesbaren Vergnügen, jedoch oft ohne großen Tiefgang.
Gloria Goldreich: Die Tochter des Malers. Aufbau 2015
www.aufbau-verlag.de