Henning Mankell: Mannen på stranden. Fotografens död

Kurzgeschichten, die mehr Spaß machen als das Lehrbuch

Zwei Kurzgeschichten von Henning Mankell, die aus dem Erzählband „Wallanders erster Fall“ stammen, werden hier in einfachem Schwedisch für alle ab Niveau A2 nacherzählt. Kurze, einfach aufgebaute Sätze, übersichtliche Zeilen und Absätze, bekanntes Vokabular und trotzdem merkt man auch dieser bearbeiteten Fassung die Handschrift von Henning Mankell deutlich an, das hat mir beim Lesen besonders gefallen.

In der ersten Geschichte „Mannen på stranden“ ist ein Fahrgast in einem Taxi plötzlich tot und es stellt sich heraus, dass er vergiftet wurde. In der zweiten Erzählung, „Fotografens död“,  wird ein Fotograf am frühen Morgen von seiner Putzfrau erschlagen in seinem Atelier gefunden; der Täter muss einen Schlüssel gehabt haben.

Auf Wortangaben wurde verzichtet, was in meinen Augen kein Nachteil ist.

Henning Mankell: Mannen på stranden. Fotografens död. Groa 2012
www.groa.de

Henning Mankell: Der Chronist der Winde

Eine Lebensgeschichte, die Spuren hinterlässt

José Antonio Maria Vaz hat seinen Beruf als Bäcker mit dem Leben auf der Straße vertauscht. Als Chronist der Winde erzählt er die Geschichte der Straßenkinder von Maputo, besonders die von Nelio. Er hat ihn angeschossen auf der Bühne eines Theaters gefunden und neun Tage und Nächte lang auf dem Dach unter dem Sternenhimmel gepflegt, bis Nelio starb. In den neun Nächten hat der zehnjährige Junge José seine Lebensgeschichte erzählt, die manchmal fast wie ein afrikanisches Märchen klingt. Wie viele Bürgerkriegskinder hat Nelio durch einen Überfall marodierender Banditen seine Eltern und sein Dorf verloren. In der Stadt schließt er sich einer Bande von Straßenkinder an, deren Anführer er schließlich wird. Obwohl eigentlich chancenlos geben diese Kinder im Kampf ums tägliche Überleben nicht auf. Sie tragen die große Hoffnung in sich, dass es eines Tages besser gehen wird und ihr Halt ist die Gemeinschaft.

Dem Chronist der Winde ist deutlich anzumerken, dass Henning Mankell vor seiner Krebserkrankung selber einen großen Teil des Jahres als Theaterregisseur und Autor in Mosambik lebte. Die namenlosen Straßenkinder der Welt haben für mich mit Nelio und seinen Freunden ein Gesicht bekommen und dadurch hat mich das Buch mehr bewegt und erschüttert als jede Statistik.

Für mich Mankells stärkster Afrika-Roman, der ihm selbst sehr am Herzen lag.

Henning Mankell: Der Chronist der Winde. dtv 2016
www.dtv.de

Tamara & Sven Matzke: Manchmal rufe ich in den Himmel

Ein Buch vom Abschiednehmen

Kurz nach ihrer Hochzeit erkrankt die polnische Fernsehjournalistin und Regieassistentin Tamara Matzke im Alter von 33 Jahren an Eierstockkrebs. Couragiert und voller Hoffnung nehmen sie und ihr Mann Sven, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Europäischen Parlament in Brüssel, den Kampf gegen die Krankheit auf. Tamara beginnt, Tagebuch zu schreiben, um es nach der erhofften Heilung in Polen zu veröffentlichen, wo ihrer Meinung nach noch immer eine „Mauer der Verlogenheit“ die Krebserkrankung umgibt. Doch was als Buch zum Mutmachen geplant war, endet mit dem Tod: Genau ein Jahr nach der Diagnose stirbt Tamara Matzke.

Ihr Mann hat das Tagebuch um Briefe und E-Mails von Tamara selbst sowie von Freunden und der Familie und um eigene Tagebucheintragungen ergänzt. Entstanden ist ein sehr bewegendes Buch, das trotz aller Traurigkeit auch sehr viel Positives ausstrahlt.

Tamara & Sven Matzke: Manchmal rufe ich in den Himmel. Wunderlich 2003
www.rowohlt.de

Pep Bras: Das Mädchen, das nach den Sternen greift

Von Brasilien nach Paris

Die Geschichte beginnt mit einem großen Schiffsunglück vor der Küste der kleinen brasilianischen Insel Ilhabela, bei der Joan Bras, Urgroßvater des Autors, unter unglaublich anmutenden Umständen wieder zum Leben erwacht, nachdem man ihn bereits irrtümlich bestattet hatte. Ohne Erinnerung und geplagt von ständig wiederkehrenden Alpträumen findet er sein Glück schließlich mit Catarina, seiner Retterin und großen Liebe. Mit der Geburt der Tochter Sión scheint das Glück perfekt, doch als Catarina tödlich verunglückt, verliert Joan jeden Halt und muss das Mädchen in eine Pflegefamilie geben.

Jahre später scheint sich das Schicksal zu wenden. Joan lernt bei der Arbeit auf der Baustelle eines Luxushotels den millionenschweren Bauherrn, den Franzosen Maurice Carrière, und dessen Tochter Isabelle kennen. Als er Isabelle heiratet, kann er Sión mit nach Paris nehmen. Für beide beginnt ein neuer, glücklicher Lebensabschnitt. Doch als Sión, die schon immer Puppen geliebt hat, den Bauchredner und Puppenspieler Julien kennenlernt und von ihmunterrichtet wird, nimmt das Verhängnis seinen Lauf…

Der Roman wird in zwei Zeitabschnitten zwischen 1909 und 1920 auf Ilhabela und von 1920 bis 1930 in Paris erzählt. Dabei wird immer wieder auf parallele Geschehnisse der Zeit Bezug genommen, was sich sehr spannend liest. In Paris tauchen Zeitgenossen wie Picasso und Gertrude Stein an er Peripherie kurz auf und werden mit wenigen charakterisierenden Sätzen lebendig.

Ich musste beim Lesen immer wieder an Romane von Isabel Allende denken, was vielleicht auch daran liegt, dass die Übersetzerin, Svenja Becker, auch diese Autorin übersetzt. Die Anklänge an den magischen Realismus und die Welt der Fabel erinnern mich an die Literatur Südamerikas, obwohl der Autor, Pep Bras, Spanier ist. Das farbenprächtige Bild, das Bras vom Leben seiner Protagonisten zeichnet und das im Cover gut wiedergegeben wird, macht den sehr unterhaltsamen Roman absolut lesenswert.

Pep Bras: Das Mädchen, das nach den Sternen greift. Insel 2015
www.suhrkamp.de

Marc Buhl: Dreisiebenfünf

Erinnern oder vergessen?

November 2007: Paul Cremer, erfolgreicher Antiquitätenhändler aus dem Schwarzwald,40 Jahre alt, fährt mit seinem Mercedes auf den Schauinsland undschießt sich eine Kugel in den Kopf. Warum? Diese Frage kann er, als er nach langem Koma in der Universitätsklinik Freiburg allmählich erwacht und in eine neuropsychiatrische Rehaklinik in Badenweiler verlegt wird, nicht beantworten, denn es fehlen ihm in seiner Erinnerung 18 Jahre.

Paul Cremer wähnt sich Frühjahr 1989, 22-jährig, als einer der letzten politischen Gefangenen im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen. Und Hannah, von der er immer wieder spricht, kennt hier niemand. Sein Psychiater weiß nur von Christiane, der Frau, mit der Paul Cremer verheiratet ist, und dem gemeinsamen 17-jährigen Sohn Thomas. Und die wieder sind Cremer gänzlich unbekannt.

Die Erlebnisse Cremers in Hohenschönhausen als Häftling 375 sind bruchstückhaft in die Geschichte eingestreut und setzen sich für ihn wie für den Leser wie ein Puzzle zusammen. Marc Buhl hat für diesen Teil seines Romans ein Jahr lang recherchiert und zahlreiche Gespräche mit Exinsassen von Hohenschönhausen geführt.

Ein Roman, der mich tief beeindruckt hat und den ich mir als Schullektüre wünschen würde. Es ist mir unverständlich, warum der Eichborn Verlag das Buch nicht mehr auflegt und keine Taschenbuchlizenz vergeben hat.

Marc Buhl: Dreisiebenfünf. Eichborn 2008
www.luebbe.de

Charlotte Brontë: Jane Eyre

Ein bedeutender Gesellschaftsroman des 19. Jahrhunderts

Die Ich-Erzählerin Jane Eyre wächst als ungeliebte Waise im Hause einer Tante auf. Mit zehn Jahren kommt sie in die berüchtigte  protestantische Anstalt Lowood. Doch nicht der hartherzige puritanische
Geistliche, der die Anstalt leitet und für die harten äußeren Bedingungen verantwortich ist, sondern die gütige Vorsteherin Miss Temple prägt für Jane Eyre diese acht Jahre. Als Miss Temple Lowood
verlässt, sucht auch Jane sich eine Stelle als Erzieherin und kommt auf den Herrensitz Thronfield des egozentrischen und vermeintlich ledigen
Gutsherrn Mr. Rochester, in den sie sich bald verliebt. Obwohl sie äußerlich unscheinbar ist, verliebt auch Rochester sich in die intelligente, zeilstrebige junge Frau. Doch am Tag der Hochzeit wird Rochesters schreckliches Geheimnis offenbar und Jane Eyre flieht…

Wie die Romane von Jane Austen gilt auch Jane Eyre als bedeutender Gesellschaftsroman des 19. Jahrhunderts, obwohl er viele Elemente des Trivial- und Schauerromans seiner Zeit aufweist. Die Titelheldin verfolgt geradlinig ihren Weg, geleitet nicht von ihrem Gewissen, sondern von ihrem Selbstbewusstsein, ausgestattet mit einer scharfen Beobachtungsgabe.

Charlotte Brontë ist die älteste der drei Schriftsteller-Schwestern. Ihren Roman Jane Eyre, der ihr zum Durchbruch verhalf, veröffentlichte sie 1847 zunächst unter dem Pseudonym eines Mannes. Als ihre wahre Identität bekannt wurde, warf man ihr zeitlebens moralischen Umsturzwillen vor.

Charlotte Brontë: Jane Eyre. Manesse 2016
www.randomhouse.de

Lida Dijkstra & Marijke Tolman: Guck mal, wie niedlich!

Eine zauberhafte Liebesgeschichte

Nichts findet Tobi, der kleine, weiche, wuschelige Hase lästiger, als wenn ihn alle für niedlich halten. Und so tut er einiges dafür, cool zu sein: Er kauft sich eine fetzige Brille, einen Ohrring sowie ein knatterndes, qualmendes Motorrad und lässt sich ein Tattoo stechen. Doch gerade als er es geschafft hat, läuft ihm Tine über den Weg, eine süße, kleine, knuddelige Häsin, die leider überhaupt nichts für coole Hasen übrig hat…

Ein niedliches Bilderbuch mit klaren, detailreichen Illustrationen und einer zauberhaften Liebesgeschichte für Kinder ab drei Jahren und Verliebte.

Lida Dijkstra & Marijke Tolman: Guck mal, wie niedlich! Beltz 2013
www.beltz.de

Verena Carl: Lillie nie ohne Leonie – Meerschweinchen bringen Glück

Eine Reihe für Mädchen ab acht Jahren

Lilli ist schweren Herzens mit ihrer Familie von München nach Hamburg gezogen und hat alle ihre Freunde zurückgelassen. Das Meerschweinchen, das sie sich so lange gewünscht hat, wird ihr großer Trost, denn der Start in der neuen Klasse ist mehr als schwierig. Nicht nur ihr Dialekt, auch ihre Kleidung sort dafür, dass über die gelacht wird. Besonders schwer machen es ihr zunächst die Nebensitzerin Leonie und Malte, der gerne das große Wort führt. Doch dann bringt Lillis zunächst völlig missglückte Geburtstagsfeier die Wende…

Ein einfühlsames Buch über den hindernisreichen Beginn einer großen Mädchenfreundschaft.

Verena Carl: Lillie nie ohne Leonie – Meerschweinchen bringen Glück. Planet Girl 2010
www.thienemann-esslinger.de

Adriana Stern: Hannah und die Anderen

Ein Jugendroman zum Thema „Multiple Persönlichkeiten“

Hannah ist 15 und auf der Flucht, doch warum und wovor weiß sie nicht. Für Noa vom Mächenhaus, wo sie Aufnahme findet, sind Hannahs „Filmrisse“ erklärlich. Behutsam und durch Tagebuchschreiben lässt sie Hannah die „Anderen“ entdecken und erklärt ihr das Phänomen der „Multiplen Persönlichkeit“. Nur mit Hilfe der „Anderen“, die jeder einen Namen, eine eigene Persönlichkeit und eine eigene Geschichte haben, konnte Hannah so lange Zeit die Misshandlungen und den sexuellen Missbrauch durch die eigene Familie durchstehen. Doch was Hannah geschützt hat, nützt auch ihren Peinigern, denn sobald Hannah ein „Anderer“ ist, kann sie sich später an nichts erinnern.

Adriana Stern versteht es, die Themen Misshandlung, Missbrauch und Drogen so deutlich wie nötig anzusprechen, ohne sie jedoch unnötig detailliert zu beschreiben. Der Wechsel der Perspektiven zwischen dem objektiven Fortgang der Geschichte und den subjektiven Tagebucheinträgen der verschiedenen Persönlichkeiten Hannahs macht den besonderen Reiz des Romans aus.

Für mich und meine 13-jährige Mitleserin war Hannah und die Anderen  spannend wie ein Krimi, und obwohl wir viel zum Thema „Multiple Persönlichkeiten“ erfahren haben, haben wir uns nie „belehrt“ gefühlt.

Adriana Stern: Hannah und die Anderen. Ariadne 2001
www.argument.de

Hjalmar Söderberg: Doktor Glas

  Ein amoralischer Roman?

Hjalmar Söderberg (1869 – 1941) war Schwedens meistgelesener Autor des Fin de Siècle. Dem Manesse-Verlag ist es zu verdanken, dass sein wichtigstes Werk wieder auf Deutsch erhältlich ist.

Tyko Gabriel Glas, Arzt, der „gelegentlich anderen hilft, sich selbst aber nie hat helfen können und sich mit 33 Jahren noch keiner Frau genähert hat“, ein einsamer, unglücklicher Melancholiker, träumt von einer großen Tat. Als sich ihm die Gelegenheit bietet, greift er in das Schicksal der heimlich geliebten Pastorengattin ein, eine schwerwiegende Tat, die am Ende ohne Sinn bleibt.

Der großartige, in Tagebuchform verfasste Roman mit seinem amoralischen Helden wurde von den Kritikern als Angriff auf Ehe und Religion verstanden und Söderberg als unsittlicher Dichter gebrandmarkt.

Hjalmar Söderberg: Doktor Glas. Manesse 2012

www.randomhouse.de