Ernest Hemingway: In einem andern Land

Ein Antikriegsbuch

In einem andern Land, im englischen Original treffender A Farewell to Arms, erzählt die Geschichte des amerikanischen Sanitätsoffiziers Frederic Henry, der sich aus Idealismus und Abenteuerlust für den Ersten Weltkrieg gemeldet hat. Im tristen und grauen Kriegsalltag an der italienisch-österreichischen Front geht sein Idealismus schnell verloren.

Als er die englische Krankenschwester Catherine Barkley kennen- und lieben lernt, trifft er eine schwerwiegende Entscheidung…

In einem andern Land ist einerseits ein Antikriegsbuch, in dem Ernest Hemingway seine eigenen traumatischen Kriegserlebnisse im Ersten Weltkrieg verarbeitet hat, andererseits ein wunderbarer, trauriger  Liebesroman.

Für mich ist es eines der schönsten Bücher des unübertroffenen Erzählers Hemingway, nicht zuletzt deshalb, weil seine beiden Lieblingsthemen „Jagd“ und „Stierkampf“ hier nicht vorkommen.

Ernest Hemingway: In einem andern Land. Rowohlt 1999
www.rowohlt.de

Wilhelm Raabe: Die Chronik der Sperlingsgasse

Die Welt als Mikrokosmos

In der Reihe Erlesenes Lesen – Kröners Fundgrube der Weltliteratur veröffentlicht der Stuttgarter Alfred Kröner Verlag seit 2013 Klassiker in wunderbarer Aufmachung mit Leineneinband, Lesebändchen, Fadenheftung und auf hochwertigem Papier gedruckt, ein sinnliches Vergnügen bereits beim Entfernen der Folie. Die Büchlein liegen hervorragend in der Hand und die angenehme Schriftgröße sowie das wohlgestaltete Seitenlayout tragen maßgeblich zum Lesegenuss bei.

Den vorliegenden Band Die Chronik der Sperlingsgasse runden ein Anhang mit hilfreichen Anmerkungen, einem informativen Nachwort von Joachim Bark, einer Bibliografie und einer Zeittafel sowie wunderschön feine Miniaturen aus der Hand Raabes ab. Es ist der erste Roman von Wilhelm Raabe (1831 – 1910) und erschien erstmals 1856. Raabe gehört neben Theodor Fontane zu den bedeutenden Erzählern des poetischen Realismus. Obwohl dieser Erstling dem Autor einige Anerkennung einbrachte, war er finanziell kein Erfolg.

Der alte, einsame Johannes Wachholder ist der Chronist, der uns von den kleinen und großen Ereignissen in der Sperlingsgasse in Berlin Mitte des 19. Jahrhunderts erzählt. Er ist mit seinem „Leben da angelangt, wo, wie in jenem Übergang vom Wachen zum Schlaf, die Erlebnisse des Tages sich noch dumpf im Gehirn des Müden kreuzen, wo aber bereits die dunkle, traum- und geistervolle Nacht über alles, Gutes und Böses, ihren Schleier breitet…; es ist die Zeit, wo die Erinnerung an die Stelle der Hoffnung tritt.“

Vor etwa 30 Jahren ist Johannes Wachholder in diese Gasse gezogen und der Blick aus dem Fenster ersetzt ihm den Blick in die Welt, ist sein Mikrokosmos. Er berichtet von Alltäglichem, wirft Blicke zurück, erzählt aus dem Leben seiner Nachbarn, von Geburt und Tod, aber auch vom Weltgeschehen wie der Napoleonischen Zeit, der Revolution von 1848 oder der Auswanderungswelle nach Amerika, letzteres oft in kleinen Episoden und als bloße Andeutungen.

Die rote Faden im Roman aber ist das große Glück im Leben des Chronisten, sein Pflegekind Elise, noch in der Wiege verwaiste Tochter seiner Freunde, für die er bis zu ihrer Verheiratung sorgt. Ihre Abreise mit ihrem Mann nach Italien stürzt Wachholder in tiefe Traurigkeit und Wehmut, die den Ton des Romans prägen. Immer wieder eingestreute fröhliche Passagen verhindern jedoch, dass die Schwermut sich allzu sehr auf den Leser überträgt.

Den Stil, in dem Raabe seine Chronik zu Papier gebracht hat, möchte ich als pathetisch und entschleunigt bezeichnen. Die Ruhe und Lebensweisheit des alten Mannes, mit der von Unglücken, Tod, Armut, aber auch von fröhlichen Festen und über die Liebe berichtet wird, überträgt sich beim Lesen und macht die Lektüre zum Genuss. Besonders gut gefallen haben mir daneben seine poetischen Beobachtungen zu den Jahreszeiten seines Schreibens von November bis Mai mit der Aussicht auf das Wiedererwachen der Natur.

Für mich war dieser mir bisher unbekannte Klassiker eine wirkliche Entdeckung und ein literarisches Erlebnis!

Wilhelm Raabe: Die Chronik der Sperlingsgasse. Kröner 2015
www.kroener-verlag.de

Andreas Steinhöfel: Es ist ein Elch entsprungen

Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte

Bereits der Einstieg in diese absurde, haarsträubende, ganz und gar unkitschige Weihnachtsgeschichte ist brachial: Ein Elch stürzt durch die Zimmerdecke, als Bertil, seine neunmalkluge Schwester Kiki und die Mutter gerade Weihnachtsmusik machen. Sören, der Couchtisch von Ikea, geht zu Bruch und Mr Moose, der höfliche Elch des Santa Claus, muss gesundgepflegt werden.

Warum Elche die Weihnachtsschlitten ziehen, wie Santa Claus in der Nervenklinik landet und wie Mr Moose und die Kinder dafür sorgen, dass Weihnachten schließlich doch nicht ausfällt, wird in dieser turbulenten, humorvollen Vorlesegeschichte ab ca. sechs Jahren sehr unterhaltsam und durchaus nicht nur für Kinder erzählt.

Andreas Steinhöfel: Es ist ein Elch entsprungen. Carlsen 2002
www.carlsen.de

Cornelia Funke: Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel

Der Sinn von Weihnachten

Zwei Wochen vor Weihnachten fällt Niklas Julebukk während eines Gewitters mit seinem Wohnwagen vom Himmel und landet direkt bei Ben und Charlotte, die die eigentlichen Helden der Geschichte sind, im Nebelweg.

Niklas erzählt: Er ist der letzte echte Weihnachtsmann. Im Weihnachtsland herrscht jetzt der böse Waldemar Wichteltod mit seinen Nussknackern, der auch ihn in einen Schokoladennikolaus verwandeln will. Niklas hat Berufsverbot, hält sich aber nicht daran.

Wie Ben, Charlotte und die Engel Matilda und Emmanuel ihn schließlich retten, ist eine typische Cornelia-Funke-Geschichte: spannend, einfallsreich, ungewöhnlich und witzig, die zum Nachdenken über Weihnachten anregt.

Eine toll illustrierte Weihnachts-Vorlesegeschichte für alle ab fünf Jahren oder zum Selberlesen ab der dritten Klasse.

Cornelia Funke: Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel. Dressler 2001
www.dressler-verlag.de

Katharina Peters: Dünenmord

Romy Beccare ermittelt wieder

Wer hätte gedacht, dass es im beschaulich wirkenden Rügen so von Verbrechern wimmelt? Gerade hatte ich mich vom ersten der bisher vier erschienenen Bände der Rügen-Reihe von Katharina Peters, Hafenmord, erholt, da ging es in Band zwei, Dünenmord, schon wieder voll zur Sache: Im vorweihnachtlichen Rügen, am Strand in Göhren, wird die Erzieherin Monika Sänger ermordet aufgefunden. Sie wurde  misshandelt und anschließend ins Wasser gezogen, wo sie schwer verwundet ertrank. Alle Spuren weisen auf einen hasserfüllten Täter hin.

Romy Beccare, die junge Münchner Ermittlerin mit neapolitanischem Vater und manchmal ebensolchem Temperament, und ihr Team ermitteln zunächst in Richtung dessen, was Monika Sänger zuletzt stark beschäftigte: Ihr Bruder Rolf, der in der DDR den Kriegsdienst verweigerte, wurde als „Spati“ (= Bausoldat) beim Bau des Mukraner Hafens unter menschenunwürdigen Bedingungen eingesetzt und verunglückte dabei 1984 – angeblich bei einem Arbeitsunfall. Während zunächst vieles darauf hindeutet, dass Monika Sänger bei ihren Recherchen alte Wunden aufgerissen hat, weist plötzlich eine wiederhergestellte SMS auf ihrem Handy in eine ganz und gar andere Richtung… Der Fall wird immer verwirrender, die Anzahl der Verdächtigen mit Tatmotiv steigt sprunghaft an: „Das aktuelle Geschehen hatte Vorrang und entwickelte sich zu einem echten Sisyphus-Fall. Immer wenn ein Täter in greifbare Nähe gerückt war, tauchten überzeugende Gegenargumente auf, die einen neuen oder doch zusätzlichen Ermittlungsansatz erforderten“. Wie auch schon in Hafenmord verschwimmen die Grenzen zwischen Täter und Opfer immer mehr…

Was mir an dieser Krimi-Reihe besonders gefällt, ist das harmonische Team um die sympathische Chefin Romy Beccare, in dem vollkommen unterschiedliche Ermittlertypen reibungslos und effektiv zusammenarbeiten und sich die Kollegen mit all ihrer Andersartigkeit respektieren und wertschätzen. Selbst der Oberstaatsanwalt in Stralsund ist ausnahmsweise nicht das blockierende Ekel, wie sonst so häufig, sondern unterstützt das Team nach Kräften. Welch angenehme Ausnahme!

Daneben bietet der Krimi genau wie der erste Band interessante Rückblicke in die DDR-Vergangenheit, durchgängige Spannung, eine angenehme Sprache und nicht zuviel Lokalkolorit.

Katharina Peters: Dünenmord. Aufbau 2013
www.aufbau-verlag.de

Katharina Peters: Hafenmord

Wer ist Täter, wer Opfer?

Hafenmord von Katharina Peters aus dem Jahr 2012 ist der erste Band einer Reihe um die Ermittlerin Romy Beccare und ihr Team, die zusammen auf Rügen tätig sind. Inzwischen sind insgesamt vier Bände erschienen, alle mit ähnlichen Einwort-Titeln und hohem Wiedererkennungswert.

Zuerst war ich skeptisch, ob ein Krimi mit nur 230 Seiten eine komplexe Handlung und eine gute Ausarbeitung der Charaktere erlaubt, aber diese Sorge war unbegründet und ich habe es sogar genossen, einmal keinen 400- oder 500-Seiten-Wälzer vor mir zu haben.

Romy Beccare, junge Münchnerin mit italienischem Vater, ist der Liebe wegen nach Rügen gekommen, hat aber ihren Partner vor kurzem durch Herztod beim Sport verloren und kämpft mit den Schatten der Vergangenheit. Deshalb kommt ihr der neue Fall nicht ungelegen, auch wenn sie im beschaulichen Rügen kaum mit solchen Gewaltdelikten gerechnet hatte. Kurz vor Beginn der Urlaubssaison wird in einem nicht mehr genutzten Gebäude einer Fischfabrik im Sassnitzer Stadthafen der smarte, erfolgreiche Geschäftsmann Kai Richardt tot aufgefunden. Er wurde schwer misshandelt und schließlich mit einem Schlag auf den Kopf getötet.

Was zunächst wie ein normaler Mordfall aussieht, dessen Auflösung man als Leser durch den Prolog bereits zu kennen glaubt, entpuppt sich nach dem Fund eines Skeletts einer jungen Frau in unmittelbarer Nähe der Leiche als Fall mit weitaus größerer Tragweite: „Sie [Romy] hatte noch nie mit einem Fall zu tun gehabt, der gleich drei weitere, über gut anderthalb Jahrzehnte verteilte Verbrechen hinter sich herzog, geschweige denn als leitende und damit verantwortliche Ermittlerin.“

Schnell stellt sich die Frage nach der Rolle von Täter und Opfer. Denn war Kai Richardt tatsächlich der nette Familienvater und erfolgreiche Unternehmer, als der sich stets präsentierte?

Intelligent, schlüssig und schnörkellos erzählt Katharina Peters einen bis zur letzten Seite spannenden Krimi mit einer überraschenden Auflösung. Dabei nimmt sie sich nicht nur Zeit für die Krimihandlung, sondern verleiht ihren Ermittlern ein Eigenleben. Sehr gut gefallen hat  mir außerdem die Schilderung der Zusammenarbeit im Ermittlerteam, wo sich sehr unterschiedliche Typen ausgezeichnet ergänzen und respektieren. Auch der Rückblick in die Enteignungspraxis der DDR und die fragwürdige Praxis im Umgang mit ehemaligem Privateigentum in der Nach-Wendezeit fand ich ausgesprochen interessant. Und nicht zuletzt hat mir gut gefallen, dass man zwar ab und an etwas über Rügen erfährt, es aber trotzdem kein typischer Regionalkrimi ist, bei dem sich Autoren oft laut Definition des WDR mit viel Lokalkolorit und der korrekten Beschreibung jedes Baums und jeder Weggabelung über mangelndes Schreibvermögen hinwegmogeln. Das hat Katharina Peters definitiv nicht nötig!

Katharina Peters: Hafenmord. Aufbau 2012
www.aufbau-verlag.de

Greta Hansen: Eine Liebe in der Normandie

Eine Liebe mit Hindernissen

Dieser zwar gefühlvolle, aber doch nicht kitschige Liebesroman spielt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in einem Fischerdorf in der Normandie und in Paris.

Im Sommer 1919 ist Mathilde 18 Jahre alt. Ihre Familie ist seit Generationen als Austernfischer tätig, eine für alle Familienmitglieder harte Arbeit. Bei einem Spaziergang trifft sie den Maler Roger aus Paris, der verzweifelt versucht, das sich verändernde Meer auf seine Leinwand zu bannen. Die beiden jungen Leute verlieben sich ineinander und Mathilde wird seine Muse. Er malt das Bild „Mathilde mit Rosen“ und sie verbringen einen unvergesslichen Sommer zusammen. Roger verspricht ihr zurückzukommen, wenn seine Ausstellung in Paris zu Ende ist, doch dann kommt alles anders…

Eine Liebe in der Normandie ist für mich ein gut geschriebener, unterhaltsamer und auch sprachlich ansprechender Roman für zwischendurch. Besonders gut gefallen haben mir die herrlichen Landschaftsbeschreibungen aus der rauen Normandie und die faszinierende Schilderung des Paris der 1920er-Jahre.

Greta Hansen: Eine Liebe in der Normandie. Piper 2013
www.piper.de

Micaela Jary: Sterne über der Alster

Für Freunde von Beziehungsdramen

Leider, leider hat dieses Buch überhaupt nicht meinen Erwartungen aufgrund des Ankündigungstextes entsprochen. Eigentlich hätte ich es nach dem Cover ahnen können, doch das Versprechen einer geheimnisvollen Hamburger Familiengeschichte inmitten der Revolution von 1918/19 war zu verlockend.

Ich möchte dieses Buch trotz meiner subjektiven sehr schlechten Bewertung keineswegs verdammen. Da ich es in einer Leserunde gelesen habe, weiß ich, dass es fast allen sehr gut gefallen hat. Ich möchte nur denen, die vielleicht gleiche Erwartungen wie ich haben, davon abraten und dies im Folgenden begründen.

Hätte ich das Buch nicht in einer Leserunde gelesen und mich zu einer Rezension verpflichtet, hätte ich sicher nach spätestens 50 Seiten abgebrochen. Da ist zunächst die sehr einfache Sprache, kurze Sätze, nichts was in meinen Ohren klingt, keine geschliffene Formulierung, die man gerne zweimal lesen möchte und die hängen bleibt. Die geschichtlichen Hintergründe, die in der ersten Hälfte des Buches praktisch gar keine Rolle spielen, in der zweiten dann mehr Erwähnung finden, bleiben starr wie eine Kulisse im Hintergrund und sind für die Handlung fast ohne Bedeutung.

Was den Inhalt betrifft, so stehen die drei Töchter des zu Beginn des Romans durch Selbstmord aus dem Leben scheidenden Reeders Victor von Dornhain im Mittelpunkt. Dazu kommen eine illegitime Tochter, die im Haushalt der großbürgerlichen Villa Dornhain am Harvestehuder Weg als zweites Hausmädchen beschäftigt ist und deren wahre Abstammung  erst im Abschiedsbrief des Vaters enthüllt wird, sowie die Großmutter, eine in altem Denken verharrende, vor allem auf den äußeren Schein achtende Dame. Während draußen der Krieg verloren ist, die Revolution tobt, der Kaiser abdankt, das Volk hungert und politische Umwälzungen nie gekannten Ausmaßes ablaufen, sind die Gedanken der drei Töchter fast ausschließlich auf ihre privaten Beziehungen gerichtet. Selbst die älteste Tochter Ellinor Dornhain, die von ihrem Vater auf die Übernahme des Familienbetriebs vorbereitet wurde, zeigt wenig Unternehmergeist, sodass wir leider über die Reederei so gut wie nichts erfahren. Dafür sind die Liebesverwicklungen der drei jungen Frauen mit allen kleinen und großen Beziehungsdramen detailliert und in kurzen Sequenzen ähnlich einer Fernsehsoap dargestellt. Außer der illegitimen Tochter war mir keine der Figuren sympathisch, ich konnte mich nicht in sie einfühlen und an ihrem Schicksal Anteil nehmen.

Mir hat in diesem Roman viel gefehlt, z. B. das versprochene „hanseatische Flair“, ausführliche Personenbeschreibungen und eine Beschreibung der Beziehungen zwischen den Personen, die in meinen Augen so seltsam unverbunden agieren. Ich würde außerdem jedem, der den Roman gerne lesen möchte, unbedingt empfehlen, mit dem ersten Band Das Haus am Alsterufer zu beginnen, denn vieles war für mich ohne Vorkenntnisse nur zu erahnen.

Micaela Jary: Sterne über der Alster. Piper 2015
www.piper.de

Uwe Timm: Am Beispiel meines Bruders

Ein Versuch, Geschichte zu verstehen

Uwe Timm, geboren 1940, einer der bedeutendsten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur und mehrfach ausgezeichnet, schreibt in diesem dokumentarischen Bericht über seinen 1943 am Dnjepr gefallenen Bruder und die Geschichte seiner Familie nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Bruder hatte ihn „abwesend und doch anwesend“ durch seine Kindheit begleitet, „in der Trauer der Mutter, den Zweifeln des Vaters, den Andeutungen zwischen den Eltern“.

Erst nach dem Tod der Eltern und der Schwester konnte sich Uwe Timm an dieses Thema wagen und hat dafür Fotos, Feldpostbriefe, das knappe Kriegstagebuch des Bruders, das Gehörte und die wenigen eigenen Erinnerungen verarbeitet. Zentrale Fragen waren dabei für ihn, warum der gerade 18-jährige Bruder sich freiwillig ausgerechnet zur Waffen-SS gemeldet hatte und warum er nach dem Krieg in der Familie so verehrt wurde. Man spürt den Wunsch Timms, der Bruder hätte den Gehorsam verweigert, und seine Angst, bei den Recherchen herauszufinden, dass die Division an Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung oder Juden beteiligt war.

Fair, ehrlich und in sehr klarer Sprache schreibt Uwe Timm in Anekdoten nicht nur über eine exemplarische Familie im Krieg und in der Nachkriegszeit, sondern reflektiert auch die Verdrängung der Nazizeit nach 1945 in Westdeutschland. Dennoch ist Am Beispiel meines Bruders keine Abrechnung, sondern ein Versuch, Geschichte zu verstehen.

Ich lese dieses in der wunderbaren, unverwechselbaren Uwe-Timm-Sprache verfasste Buch immer wieder mit sehr viel Gewinn und es hat einen Ehrenplatz in meinem Bücherschrank.

Uwe Timm: Am Beispiel meines Bruders. Kiepenheuer & Witsch 2003
www.dtv.de

Sabine Ludwig & Isabel Pin: Wie lange noch?

Ein Adventskalender zum Vorlesen

Wie lange noch?  – Wer kennt sie nicht, diese Frage der Kinder vor Weihnachten? Sabine Ludwig ist die Herausgeberin des gleichnamigen Buches mit dem Untertitel Die schönsten Adventsgeschichten in 24 Tagen, das aber auch Lieder, Gedichte und sogar Rezepte enthält.

Vertreten sind so unterschiedliche Autoren wie Hans Christian Andersen, Leo Tolstoi, Charles Dickens, Erich Kästner, Tilde Michels, Klaus Kordon, Paul Maar, Kirsten Boie, natürlich Sabine Ludwig und viele andere. Die Geschichten sind mal lustig, mal traurig, und nicht so kurz wie sonst oft in Adventskalendern zum Vorlesen. Man sollte also für das abendliche Vorlesen im Familienkreis etwas mehr Zeit einplanen.

Die Illustrationen der Französin Isabel Pin untermalen die sehr gut ausgewählten Geschichten.

Entgegen der Altersangabe des Verlag von 5 bis 14 Jahren würde ich es frühestens ab 7, dafür aber ohne Begrenzung nach oben empfehlen.

Sabine Ludwig & Isabel Pin: Wie lange noch? Aufbau 2011
www.aufbau-verlag.de