Theodor Storm: Immensee

  Verpasstes Glück

Der Sommerurlaub 2021 in der Nähe von Husum, der Geburtsstadt von Theodor Storm (1817 – 1888), seiner „grauen Stadt am Meer“, brachte mich auf die Idee, wieder einmal seine frühe Novelle Immensee zu hören.

Theodor Storms Geburtsstadt Husum. © M. Busch

 

Immensee wurde erstmals 1849 im Volksbuch auf das Jahr 1850 für Schleswig, Holstein und Lauenburg veröffentlicht. 1851 erschien die Novelle überarbeitet und auf das Wesentlichste gekürzt in einem Band mit dem Titel Sommergeschichten und Lieder. Es ist die sehr lyrische, noch in der Epoche der Romantik verhaftete Geschichte einer verlorenen Liebe, erzählt aus der Sicht eines alten, alleinlebenden Mannes, der sich an einem Abend im Spätherbst mittels eines einzigen Wortes in seine Jugend zurückversetzt:

„Elisabeth!“, sagte der Alte leise; und wie er das Wort gesprochen, war die Zeit verwandelt – war er in seiner Jugend. 

Elisabeth und Reinhard verbrachten die Jahre ihrer Kindheit und Jugend zusammen und der fünf Jahre ältere Junge erzählte dem kleinen Mädchen Märchen und schrieb Gedichte. Doch als er zum Studium wegging, brach er sein Versprechen, Elisabeth Märchen zu schicken. Er fühlte sich ihrer zu sicher, genoss seine Freiheit, obwohl er ahnte, dass auch sein Freund Erich um sie warb. Als Reinhard die erlösenden Worte Elisabeth gegenüber nicht sprach, sondern sie auf die Zeit nach seiner endgültigen Rückkehr verschob, gab die junge Frau schließlich dem Drängen ihrer Mutter nach und nahm Erichs dritten Antrag an.

Bei einem Besuch Jahre später auf Gut Immensee, das Erich mit Elisabeth bewirtschaftete, erlebte Reinhard die schwesterliche Verbundenheit der geliebten Frau zu ihrem Mann und die gegenseitige Dankbarkeit des Paares. Er verließ das Haus und kehrte nie wieder.

Auf einer CD mit knapp 64 Minuten Laufzeit liest Christian Standtke die Novelle, die Theodor Storm berühmt machte, sehr gut zum Grundton des Textes passend: wehmütig, ruhig und melancholisch. Ich war überrascht, wie sehr der Text, den Theodor Storm mitten in der industriellen Revolution und fast zeitgleich zum Kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels verfasste, aus der Zeit gefallen scheint. Wer sich jedoch ganz auf den schwermütigen Ton einlässt, den nimmt die Novelle mit in eine ferne Epoche, in der Mädchen passiv zuhause warteten und sich von versorgungsfixierten Müttern in ungeliebte Ehen drängen ließen. Ein Abend im Spätherbst am prasselnden Kaminfeuer eignet sich dafür besonders gut.

Theodor Storm: Immensee. Sprecher: Christian Standtke. Argon 2003
www.argon-verlag.de

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