Schnapsidee oder Husarenstück?

Angezogen vom Cover und dem verheißungsvollen Titel Letzte Fahrt nach Königsberg wollte ich diesen Debütroman des BR-Hörfunkjournalisten und Gestalttherapeuten Ulrich Trebbin unbedingt lesen und hatte das richtige Gespür. Das Buch hat mich mit den ersten Sätzen des Prologs in seinen Bann gezogen, tief berührt und aufgewühlt habe ich es nach dem Epilog zugeklappt.
Inspiriert von der Lebensgeschichte seiner Großmutter, auf deren Sekretär bis zu ihrem Tod 2009 das Sepiafoto eines jungen Mannes stand, der nicht ihr geschiedener Hinrich war, erzählt Ulrich Trebbin nicht nur ein Flüchtlingsschicksal, sondern auch ein Stück deutsche Geschichte. Er tut dies so einfühlsam, detailliert und bildmächtig, dass Königsberg und die Ostseeküste der Jahre 1932 bis 1945 sehr lebendig vor meinen Augen erstanden sind – die Architektur, die Natur und die Menschen gleichermaßen.
Mit dem frühen Tod des geliebten Vaters, eines vermögenden Weinhändlers, endet für die 13-jährige Ella Aschmoneit 1932 die unbeschwerte Königsberger Kindheit. Die in Geldangelegenheiten ahnungslose Mutter lässt sich beim Erbe über den Tisch ziehen, was für Ella den Besuch der Höheren Handelsschule anstatt des humanistischen Gymnasiums bedeutet, Sekretärin anstatt Ärztin. Als sie wieder Boden unter den Füßen hat, trotzt sie lebenslustig dem Schicksal ab, was es ihr bieten kann: Radtouren am Haff, Liebeleien, Kinobesuche und Kasinobälle. Ihre Passion ist das hingebungsvolle Präparieren von Schmetterlingen.
Nachdem ihre erste große Liebe, der gleichaltrige Victor, der „Fixstern in ihrem Universum“, zaghaft und unentschlossen bleibt, entscheidet sie sich bei Kriegsausbruch nach langem zweifelndem Abwägen für den heftig um sie werbenden, kühlen Hamburger Historiker Hinrich Jensch, eine „töricht vernünftige Heirat“. Mit zwei Kleinkindern verlässt sie Königsberg nach der Zerstörung durch britische Bomber und zieht im Herbst 1944 zu ihrer Schwester nach Potsdam. Doch die Erinnerung an die vielen Weckgläser in ihrem Keller, Schweinebraten, Blutwurst, Gänseleberpastete, eingelegtes Kraut, Gemüse, Obst, Mus und Marmelade, lässt ihr keine Ruhe, und so kehrt sie ein letztes Mal zurück in eine dem Untergang geweihte Stadt. Ihre gefährliche „Königsberger Hamsterfahrt“, angetreten ohne Erlaubnis ihres Mannes, entzündet einen nicht mehr zu kittenden Dissens in ihrer Ehe.
Letzte Fahrt nach Königsberg ist ein Roman, keine Biografie, bei dem jedes Wort Gewicht hat, und bei dem mir vor allem die tiefe Zuneigung des Autors zu seiner Protagonistin unglaublich gut gefallen hat sowie die nicht-chronologische Erzählweise in einzelnen Zeitfenstern. Das letzte, 1948 im Westen spielende Kapitel und der Epilog 2009 haben mir die Tränen in die Augen getrieben, obwohl der Roman ganz gewiss weder rührselig noch kitschig ist. Vielmehr ist es ein Buch über eine beeindruckende Frau, die unter widrigsten Bedingungen das Beste aus ihrem Schicksal macht. Meine Empfehlung: unbedingt lesen!
Ulrich Trebbin: Letzte Fahrt nach Königsberg. btb 2018
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Kann ein Tag, der mit dem Fund eines perfekten Stöckchens für ihre Mischlingshündin Frieda beim Morgenspaziergang beginnt, zum Albtraum werden? Er kann, wenn das Stöckchen wie in diesem Fall im Auge einer männlichen Leiche steckt. Von diesem Moment an geht es im Leben der Bärbel Böttcher, 54, arbeitslose Tierpräparatorin, früh verwaist, ledig, ohne Kinder und alleinlebend, drunter und drüber. Sie, deren Hauptverbindung zur Außenwelt bisher die Verkaufsshows eines Shoppingsenders waren, muss die Polizei in Person von Kommissar Lichtblau verständigen, Stunden auf dem Kommissariat verbringen und bekommt dafür nicht einmal das ersehnte Stöckchen überlassen. Am Nachmittag steht die frischgebackene Witwe vor ihrer Tür und attackiert sie mit dem Elektroschocker und einem Ausbeinmesser. Wenige Stunden später hat Bärbel zwei Gefangene und zwei Leichen an der Backe und in den kommenden zehn Tagen passiert mehr, als in den vorhergehenden 54 Jahren. Dabei geraten nicht nur Bärbels beschauliche Gegenwart und ihre Zukunft ins Wanken, auch ihre Vergangenheit stellt sich plötzlich ganz anders dar…
Im sehr empfehlenswerten Nachwort zu „Die Nachtigall“ schreibt die 1960 geborene US-amerikanische Autorin Kristin Hannah: „Allzu oft werden die Geschichten von Frauen im Krieg übersehen oder vergessen. Frauen neigen dazu, aus dem Kampf zurückzukehren, zu schweigen und mit ihrem Leben weiterzumachen. Die Nachtigall ist ein Roman über diese Frauen und die waghalsigen, gefährlichen Entscheidungen, die sie getroffen haben, um ihre Kinder und ihre Lebensart zu retten.“ Den Frauen im besetzten Frankreich 1939 bis 1945 ein Denkmal zu setzen und die Leser zum Nachdenken darüber anzuregen, wie sie selbst in einer solchen Situation handeln würden, ist die Intention ihres Romans. Beides ist ihr gut gelungen. Allerdings hätte ich mir gewünscht, die Handlung wäre weniger gefühlvoll und melodramatisch aufbereitet gewesen und die Sprache weniger einfach. Und doch: Wer einen spannenden, emotionalen, leichten Unterhaltungsroman zu diesem Thema lesen möchte, wird ihn hier finden.


Dreh- und Angelpunkt des Debütromans Idaho der jungen US-Amerikanerin Emily Ruskovich ist eine Familientragödie. Im August 1995 unternimmt die Familie Mitchell, Vater Wade, Mutter Jenny sowie die sechs- und neunjährigen Töchter May und June, im Pick-up einen Ausflug zum Mount Loeil, um Holz für den Winter zu machen. Völlig unvermittelt erschlägt die Mutter May mit einem Axthieb, June flüchtet in den Wald und bleibt verschollen.
Aufgepasst: Falls es unter dem Hochbett niest und hustet, könnte ein Zebra ins Zimmer geklettert sein. Jedenfalls ist das bei Hanna so, die gerade mit ihren beiden Papas, Papa Paul und Papa Konrad, umgezogen ist und in ihrer neuen Schule die zweite Klasse besucht. Da sie sich dort noch ziemlich einsam fühlt, kommt Bräuninger, so der Name des sprechenden Zebras, gerade recht, denn so braucht sie ihre Papas für Schulweg nicht mehr. Doch während sich die Klassenkameraden über den Vierbeiner freuen, sind die Lehrerin und der verbiesterte Direktor trotz dessen offensichtlicher Begabung für Rechnen, Schreiben, Turnen und Fantasiereisen und seiner problemlosen Eingliederung in die Klasse gar nicht begeistert. Schließlich sieht die Schulordnung ein sprechendes Zebra nicht vor!