Ein unheilvolles Familiengeheimnis
J. Courtney Sullivan, US-amerikanische Autorin und Journalistin, hat in ihren Romanen eine Vorliebe für Familientreffen. In Sommer in Maine treffen verschiedene Familienmitglieder überraschend im gemeinsamen Ferienhaus zusammen, in All die Jahre ist es ein Todesfall, der alle zusammenführt. In beiden Romanen zeigt sich, dass zulange geschwiegen wurde und das Bewahren von Geheimnissen nur Unheil gebracht hat.
1957 kommen die Schwestern Nora und Theresia Flynn aus Westirland, County Clare, nach Boston, wo Noras ehemaliger Nachbar und Verlobter Charlie Rafferty sie erwartet. Nicht aus Liebe ist die 21-jährige Nora gekommen, sondern um ihrer jüngeren, begabten Schwester ein Schicksal in der Strickfabrik zu ersparen. Während Nora, die Theresa schon immer die Mutter ersetzt hat, schüchtern, still und ängstlich ist und die Eheschließung mit Charlie hinauszögert, genießt Theresa die neuen Freiheiten und hat den Kopf voller Träume. Als sie ungewollt schwanger wird, gibt es für Nora nur eine Alternative: Theresa wird das Kind heimlich bekommen und Charlie und sie werden es als ihr eigenes ausgeben.
Patrick, Theresas Sohn, wächst zusammen mit Noras und Charlies Kindern John, Bridget und Brian auf. Nie werden sie ihnen das Geheimnis enthüllen, doch spürt Patrick schon als Jugendlicher, dass etwas nicht stimmt. Obwohl er im Mittelpunkt steht, worunter vor allem John leidet, ist er doch einsam und das schwarze Schaf der Familie, wild und unbeherrscht. Nora kämpft für ihn, aus der schüchternen Frau ist eine Löwin geworden, aber sie kann nicht verhindern, dass Patrick zu viel trinkt und schließlich 2009, zu Beginn des Romans, bei einer Autofahrt unter Alkoholeinfluss ums Leben kommt. Zur Beerdigung sagt sich überraschend auch Theresa an, die seit 1960 als Schwester Cecilia in der Abtei der Unbefleckten Empfängnis in Vermont lebt, und von deren Existenz keines der Geschwister weiß.
Sehr gut gefallen haben mir die Rückblenden in die Zeit von 1957/58, als die Schwestern Irland verlassen, und in das Leben der irisch-katholischen Einwanderer in die USA. Interessant beschrieben ist auch der Weg Theresas ins Kloster, ihre anfänglichen Zweifel, ihre Wut darüber, dass man ihr – wie allen zu dieser Zeit ungewollt Schwangeren – keine Wahl gelassen hat, und ihre trotz dieses anhaltenden Schmerzes gefundene Lebenszufriedenheit. Schwieriger fand ich dagegen Nora, die so viele Opfer gebracht, und trotzdem durch ihre Strenge, ihren Ernst, ihre Sprachlosigkeit und die verzweifelte Wahrung ihres Geheimnisses bis hin zum Bruch mit ihrer Schwester, sich und ihre Kinder nicht glücklich gemacht hat.
J. Courtney Sullivan hat wieder einen interessanten, gut zu lesenden, sehr unterhaltsamen Familienroman geschrieben über eine Familie, in der „die Wahrheit… verspätet, zufällig, unter Alkoholeinfluss oder überhaupt nicht ans Tageslicht“ kommt. Am Ende bleibt manches offen, doch keimt an vielen Stellen Hoffnung auf.
J. Courtney Sullivan: All die Jahre. Deuticke 2018
www.hanser-literaturverlage.de

Kinderfragen sind berüchtigt und nicht selten blamieren wir Erwachsenen uns beim spontanen Antwortversuch. Auch bei den 22 Kinderfragen in diesem Sachbuch hätte ich teilweise keine allzu gute Figur abgegeben, und selbst wenn ich sie hätte beantworten können, dann bestimmt nicht so unterhaltsam und kindgerecht wie Petra Maria Schmitt und Christian Dreller. Die beiden Autoren kombinieren die Sachinformationen mit Rahmengeschichten, die die Fragen logisch entwickeln und in eine Alltagssituation aus der Erlebniswelt der Kinder einbetten.
Kinderfragen sind berüchtigt und nicht selten blamieren wir Erwachsenen uns beim spontanen Antwortversuch. Auch bei den 22 Kinderfragen in diesem Sachbuch hätte ich teilweise keine allzu gute Figur abgegeben, und selbst wenn ich sie hätte beantworten können, dann bestimmt nicht so unterhaltsam und kindgerecht wie Petra Maria Schmitt und Christian Dreller. Die beiden Autoren kombinieren die Sachinformationen mit Rahmengeschichten, die die Fragen logisch entwickeln und in eine Alltagssituation aus der Erlebniswelt der Kinder einbetten.

Die Detektivgeschichten von Antonia Michaelis stammen aus der Zeit, als die Erstlesereihe des Loewe Verlags noch vier Stufen umfasste. Die Lesepiraten, zu denen dieser Band gehört, waren die dritte Lesestufe und richtete sich an fortgeschrittene Leserinnen und Leser ab ca. sieben Jahren.
Lied der Weite, im Original 1999 erschienen unter dem Titel Plainsong, ist der dritte von sechs Romanen des US-Amerikaners Kent Haruf (1943 – 2014). Da ich 2017 seinen letzten, Unsere Seelen bei Nacht, gelesen und sehr geliebt habe, waren meine Erwartungen hoch – und wurden erfüllt. Noch mehr als die Handlung haben mich die Charaktere und die Atmosphäre bezaubert. Die unaufgeregte Erzählweise, das genaue Beobachten, das bedächtige Erzähltempo und die atmosphärische Schilderung des Lebens in der fiktiven Kleinstadt Holt, Colorado, in der alle Romane Harufs angesiedelt sind, machen auch dieses Buch für mich zu einem literarischen Kleinod.
Viel Stoff hat Bernhard Schlink in diesen Roman gepackt: einen Parforceritt durch die deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis 1971, Reisen in ferne Länder, eine unvollendete Liebesgeschichte und die Lebensgeschichte einer beeindruckenden Frau.
„Man muss auch das Allgemeinste persönlich darstellen“, ein Zitat des japanischen Malers Katsushika Hokusai (1760 – 1849), stellt Arno Geiger dem Buch über das Leben und die Demenzerkrankung seines Vaters voran. Die Umsetzung dieses Mottos ist dem österreichischen Autor gelungen, die Krankheit erhält durch das Schicksal des Vaters August Geiger ein Gesicht. Aber nicht nur das: Arno Geiger dokumentiert ein über 80 Jahre währendes Leben, würdigt, was er seit der Entfremdung vom Vater während der Pubertät nicht mehr wertschätzte, und beschreibt den Strukturwandel in der Vorarlberger Heimat von der bäuerlichen Dorfwelt zur Wohn- und Industriegemeinde.