Kate Hamer: Das Mädchen, das rückwärts ging

5 Jahre und 215 Tage

Wie kann man als Mutter weiterleben, wenn der größte Alptraum Realität geworden, das eigene Kind vor den Augen spurlos verschwunden ist? Für Beth, nach traumatischer Trennung seit kurzem Single und in ständiger Sorge um das einzige Kind, die 8-jährige Carmel, wird genau das wahr. Während sie mit Carmel ein Geschichtenfestival besucht, wird das sensible, verträumte und etwas altkluge Kind, das unter der Überfürsorge der Mutter und dem Verlust des Vaters leidet, scheinbar vom Nebel verschluckt.

Da die Geschichte abwechselnd aus der Perspektive von Beth und von Carmel erzählt wird, bleiben dem Leser Beths‘ schlimmste Befürchtungen, Carmel könnte nicht mehr am Leben sein, erspart. Trotzdem habe ich beim Lesen gelitten, vor allem mit der Mutter, die von Schuldgefühlen geplagt wird und nicht aufhören kann zu suchen. Dass sie im Laufe der Jahre trotz allem zu einem neuen Leben findet, eine Berufsausbildung macht, sich mit ihrem Ex-Mann und dessen neuer Frau versöhnt, gar deren Kinder hütet, und neue Freundschaften knüpft, ohne jemals die Hoffnung auf Carmels Rückkehr aufzugeben, hat die Autorin sehr einfühlsam und glaubhaft erzählt. Dieser Erzählstrang hat mich emotional noch mehr berührt als die Geschichte von Carmel, die aus der Sicht eines Kindes, später eines jungen Mädchens, die Jahre ihrer Entführung durch einen religiös motivierten Fanatiker erzählt, der ihr einzureden versteht, ihre Mutter wäre tödlich verunglückt und der Vater aufgrund der neuen Beziehung nicht Willens, sie zu sich zu nehmen. Stark fand ich bei diesem Erzählstrang die Schilderung, wie Carmel um ihre Erinnerung und um ihre Identität kämpft, um sich selber nicht zu verlieren.

Der Autorin ist es gelungen, einen durchweg spannenden Roman zu schreiben, emotional aber nicht kitschig, beklemmend aber durch die beiden Perspektiven gut auszuhalten.

Das Cover, das mich zunächst sehr angesprochen hat, empfand ich im Laufe der Lektüre nicht mehr als passend. Warum nicht ein Kind im roten Mantel und mit Locken, wie Carmel geschildert wird? Das abgebildete Mädchen hat für mich nichts mit Carmel gemeinsam. Es erschließt sich mir auch nicht, warum man den englischen Originaltitel The Girl in the Red Coat nicht wörtlich übersetzt hat, das hätte mir besser gefallen. Ansonsten finde ich das Buch sehr schön gemacht, die Schrift sehr gut lesbar, das Papier angenehm, keine Druckfehler – eben so, wie ich es vom Arche Verlag gewöhnt bin.

Kate Hamer: Das Mädchen, das rückwärts ging. Arche 2015
www.arche-verlag.com

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