Gesine Schulz: Eine Tüte grüner Wind

Denkste!

Wie traurig, wenn ein Scheidungskind in den Ferien „untergebracht“ werden muss, weil beide Eltern andere Pläne haben. Genauso ergeht es der zehnjährigen Lucy, deren Mutter Urlaub mit dem neuen Freund und der Vater mit seiner zweiten Familie machen will. Lucy soll eine ihr unbekannte Tante in Irland besuchen, die in der Familie als verrückt und als schwarzes Schaf gilt, Widerstand zwecklos. Doch ganz überraschend wird der Urlaub dann doch klasse, denn Tante Paula zeigt viel Verständnis und Einfühlungsvermögen und Lucy findet nicht nur neue Freunde, sondern verliebt sich wider Erwarten auch in die grüne Insel.

Eine Tüte grüner Wind erschien erstmals 2002 und ist das Kinderbuchdebüt von Gesine Schulz, eine ruhige Geschichte, sehr einfühlsam geschrieben und mit schönen Beschreibungen Irlands. Lucy war mir spontan genauso sympathisch wie das sommersprossige Mädchen auf dem Cover, und bin mir sicher, dass kleine Leserinnen ab ca. neun Jahre sich gut mit ihr identifizieren können.

Gesine Schulz: Eine Tüte grüner Wind. Carlsen 2005
www.carlsen.de

Arnold Lobel: Das große Buch von Frosch und Kröte

Allerbeste Freunde

Ein Klassiker der amerikanischen Kinderliteratur gehört auch zu meinen liebsten Vorlesebüchern: Das große Buch von Frosch und Kröte von Arnold Lobel (1933 – 1987), nacherzählt von der deutschen Kinderbuchautorin Tilde Michels (1920 – 2012).

Der Sammelband enthält die vier Einzeltitel Frosch und Kröte – Dicke Freunde, Frosch und Kröte – Der Liebesbrief, Frosch und Kröte – Unzertrennlich und Frosch und Kröte – Ende gut, alles gut und begleitet die beiden ungleichen Freunde durch das Jahr.

Die kindgerechte Themenpalette umfasst Freundschaft, Mut, Geduld, gute Vorsätze, Angst, Scham, Freude und vieles mehr. Die kurzen Geschichten eignen sich zum Vorlesen ab ca. fünf Jahren und für das ganze Grundschulalter, aber aufgrund der großen Schrift, der kurzen Zeilen und des geringen Textumfangs auch für Leseanfänger. Sind sind liebevoll und warmherzig erzählt, mal witzig, mal nachdenklich, immer tiefgründig und nahzu auf jeder Seite vom Autor wunderschön illustriert.

Das große Buch von Frosch und Kröte ist für mich ein Buch, das in keinem Kinderzimmer fehlen sollte.

Arnold Lobel: Das große Buch von Frosch und Kröte. dtv junior 2015
www.dtv.de

Ian McEwan: Nussschale

Auf Leben und Tod

Nein, dieses Buch war leider überhaupt nichts für mich, obwohl ich viele Romane von Ian McEwan, Abbitte, Am Strand oder Kindeswohl, zu meinen Lieblingsbüchern zähle, der Diogenes Verlag einer meiner bevorzugten Verlage ist und Bernhard Robben zu den von mir meistgeschätzten Übersetzern gehört.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Ein Embryo wird im Mutterleib Zeuge der Planung und Durchführung des Giftmords an seinem Vater, begangen von seiner ehebrecherischen Mutter und dem Onkel. Selbstredend ist der Fötus zur Untätigkeit verdammt und kann das Verbrechen nicht verhindern.

Prinzipiell hätte ich mir eine gelungene Umsetzung dieses Hamlet-Stoffs vorstellen können, speziell von einem Autor wie Ian McEwan, aber was ich dann gelesen habe, hat mich zu keiner Zeit überzeugt. Nicht nur, dass der unerträglich neunmalkluge Embryo, geschult durch nächtelanges Radiohören, alle den Autor beschäftigenden Themen vom Klimawandel über den Terrorismus, die Flüchtlingskrise usw. wie auf einer To-do-Liste abarbeitet, ein bisschen philosophiert und sein Expertenwissen über Weinsorten mitteilt. Beim Erzählen werden die Grenzen zwischen dem Hören, das ihm möglich ist, und dem Sehen, das ihm nicht möglich ist, immer wieder verwischt und führen so ständig zu logischen Brüchen in seinem Monolog.

In vielen Rezensionen wird der Humor dieses Romans gerühmt. Nun ist bekanntlich Humor eine Sache, über die sich trefflich streiten lässt. Ich für meinen Teil konnte der Geschichte so gar nichts Komisches abgewinnen, eher hat mich die wiederholte Beschreibung des Geschlechtsverkehrs aus der Sicht des Fötus extrem abgestoßen und der manierierte, altkluge Monolog genervt und sogar gelangweilt. Ich habe den Roman auch nicht als geistreich empfunden, eher wurde eine Vielzahl von Themen kurz angerissen und wirkte dadurch für mich platt.

Am Ende nimmt das Buch mit dem Auftauchen von Chief Inspector Allison doch noch ein wenig Fahrt auf, stellt sich etwas wie Spannung ein. Zu wenig allerdings, um mein Urteil noch zu ändern.

Ian McEwan: Nussschale. Diogenes 2016
www.diogenes.ch

Max Küng: Wenn du dein Haus verlässt, beginnt das Unglück

Ein Puppenhaus oder Am Ende ist jeder allein

Wer würde es sich nicht ab und zu wünschen, bei fremden Menschen Mäuschen zu spielen und sie in ihrem privaten Umfeld unbemerkt zu beobachten? Der Schweizer Journalist und Autor Max Küng gibt uns in seinem zweiten Roman Wenn du dein Haus verlässt, beginnt das Unglück die Möglichkeit dazu, die Bewohner der Züricher Lienhardstraße 7 hemmungslos auszuspionieren. Wie ein Riese, der das Dach und die Stockwerke eines Puppenhauses anhebt, bekommen wir Einblick in das Mietshaus mit seinen fünf so unterschiedlichen Parteien und werden während eines halben Jahres Zeugen ihres Alltags und ihrer kleinen und großen Tragödien. Am Ende dieser Zeit hat sich vieles verändert hat, ist manches besser geworden ist, ohne dass allerdings die zu Beginn an alle ausgesprochene Kündigung einen entscheidenden Einfluss darauf genommen hätte.

Eingerahmt wird die Geschichte von einem jeweils besonders gut gelungenen Prolog und Epilog, der uns gekonnt ins Thema einführt bzw. Bilanz und Ausblick liefert. Hier wird deutlich, wo für mich die größte Stärke des Romans liegt: in der Fähigkeit von Max Küng, Menschen zu beobachten und unaufgeregt über sie zu erzählen. Dabei entlarvt er die Schwächen seiner Protagonisten schonungslos und manchmal mit einem hintergründigen Humor. Ein banaler Vorgang wie das Staubsaugen wird bei ihm zu einer bildreich beschriebenen Szenerie, die ein ganz neues Licht auf diese vielleicht bisher gänzlich unterschätzte Tätigkeit wirft.

Da die Bewohner des Hauses nahezu durchweg für mich alles andere als Sympathieträger waren, ist es mir nicht gelungen, Empathie zu entwickeln. Ich habe ihr Leben interessiert beobachtet, ihr Wohlergehen hat mich aber größtenteils kaltgelassen. Ich habe mich über ihr Verhalten und ihre Wohlstandsprobleme sowie über ihre Unfähigkeit, etwas aus ihrem Leben zu machen, gewundert, wo sie doch eigentlich in jeder Hinsicht zu den Privilegierten unserer Gesellschaft gehören, und konnte so gut wie kein Mitleid für sie aufbringen.

Etwas verwundert war ich, dass die Kündigung der Mietverträge, die am Anfang des Romans steht, so wenig Einfluss auf die Handlung genommen hat. Hier hat der Autor in meinen Augen Potential verschenkt – oder wollte er uns gerade anhand dieses Beispiels zeigen, wie wenig sich die Protagonisten von äußeren Ereignissen zur Interaktion bringen lassen?

Alles in allem habe ich den Roman, der auch herstellungstechnisch vom Kein & Aber Verlag wie immer sehr schön gemacht ist, gerne gelesen, habe mich gut unterhalten gefühlt und war am Ende dankbar, nicht in einer solchen Nachbarschaft leben zu müssen.

Max Küng: Wenn du dein Haus verlässt, beginnt das Unglück. Kein & Aber 2016
keinundaber.ch

Julie Kibler: Zu zweit tut das Herz nur halb so weh

Glaube – Liebe – Hoffnung

Der Titel des Romans könnte glauben lassen, dass es sich hier um eine zweitklassige Schnulze handelt, aber das ist Zu zweit tut das Herz nur halb so weh ganz bestimmt nicht. Der 2012 erschienene Debütroman der in Kentucky geborenen US-Amerikanerin Julie Kibler ist vielmehr eine Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Rassismus in den 1930er-Jahren bis heute und eine ebenso tragische wie berührende Liebesgeschichte.

Die Handlung ist einerseits in der Gegenwart, andererseits als Rückblenden in den Jahren 1939 bis 1944 angesiedelt. Die 90-jährige weiße Isabelle und ihre afroamerikanische Friseurin Dorrie sind über die Jahre Freundinnen geworden, trotz des enormen Altersunterschieds, der gänzlich verschiedenen Lebensumstände und der unterschiedlichen Hautfarbe. So ist es fast natürlich, dass Isabelle Dorrie bittet, sie durchs halbe Land mehr als 1600 Kilometer von Texas nach Cincinnati zu chauffieren zu einer Beerdigung, bei der sie Dorrie an ihrer Seite haben möchte. Es ist eine lange Fahrt und eine lange, traurige Geschichte, die Isabelle zu erzählen hat. Sie beginnt und endet mit einem Trauerkleid und Isabelle muss dazu in ihre Jugend Ende der 1930er-Jahre zurückkehren, in eine Zeit, als in Kentucky eine Liebesbeziehung zwischen Weißen und Farbigen nicht nur undenkbar, sondern auch strafbar war. So hatte die Liebe zwischen Isabelle und dem Sohn ihrer farbigen Hausangestellten keine Chance und der Versuch, sich zu widersetzen, musste in einer Tragödie enden. Übrig blieb schließlich nur ein silberner Fingerhut mit der Gravur „Glaube – Liebe – Hoffnung“.

Bis zum Schluss haben weder Dorrie noch ich erraten, zu wessen Beerdigung die beiden ungleichen Freundinnen unterwegs waren, und ich gestehe, dass es mir die Tränen in die Augen getrieben hat, als es offensichtlich wurde.

Ich habe Zu zweit ist das Herz nur halb so schwer nicht als kitschig empfunden. Julie Kibler erzählt packend und ergreifend ein Lebensschicksal und ein Stück hochspannende Zeitgeschichte der Südstaaten, nur die Übersetzung ist zeitweise etwas holprig, so dass die Originalausgabe sicherlich zu bevorzugen ist.

Julie Kibler: Zu zweit tut das Herz nur halb so weh. Piper 2013
www.piper.de

Ute Krause: Minus Drei und die wilde Lucy – Der große Vulkan-Wettkampf

Zu gut gemeint

Als seine Eltern beruflich verreisen müssen, um fern von Farnhausen nach Kräutern zu suchen, kommen Großtante und Großonkel Drei zum Dinositten zu Minus Drei, dem kleinen Dinosaurierjungen. Der bereitet sich gerade auf den großen Vulkan-Wettkampf vor, bei dem er zusammen mit seinem „Haustier“, dem Urmädchen Lucy, den nächsten Familienurlaub gewinnen will. Doch Lucy ist einfach zu klein und kann beim Schwimmen, Sackhüpfen und Hindernislaufen nicht mit den großen Haustieren konkurrieren.

Großtante und Großonkel Drei sehen die Verzweiflung des Neffen und wollen ihm helfen, indem sie Lucy einfach gegen einen Gigantosaurus umtauschen, aber sie haben nicht mit der Zuneigung von Minus zu seinem Urmädchen gerechnet. Denn manchmal meint man es einfach zu gut und es geht gründlich daneben! Aber zum Glück wird doch noch alles gut und Lucy zeigt beim Wettkampf, dass auch die Kleinen zu den Besten gehören können.Bisher kannte ich nur die Minus-Drei-Reihe in der Printausgabe und war beim Hörbuch etwas skeptisch, weil ich neben den Texten auch die Illustrationen von Ute Krause so ganz besonders gelungen finde. Doch die 47-Minuten-CD zum ersten Band der Nachfolgereihe Minus Drei und die wilde Lucy – Der große Vulkan-Wettkampf hat mich nun ebenfalls gänzlich überzeugt. Dank des Stimmenspektrums von Andreas Fröhlich und der inszenierten Lesung mit Musik werden die einzelnen Figuren so lebendig, dass das Zuhören nicht nur Kindern ab vier Jahren, sondern auch Erwachsenen Spaß macht, und die Bilder habe ich wider Erwarten nicht vermisst. Lediglich die Geräusche von Lucy fand ich etwas unangenehm, habe aber auch keine bessere Idee, wie man sie hörbar machen könnte.

Ute Krause: Minus Drei und die wilde Lucy – Der große Vulkan-Wettkampf. cbj audio 2016
www.randomhouse.de

Charmian Hussey: Das Tal der Geheimnisse

Ein unerwartetes Erbe

Stephen, aufgewachsen in einem Londoner Waisenhaus, erführt plötzlich, dass er einen Großonkel hatte, der ihm den Landsitz Lansbury Hall in Cornwall hinterlassen hat. Die Erbschaft ist an die seltsame Bedingung geknüpft, dass er niemanden hineinlassen darf und alles weiterführen muss wie bisher. Das Gut gleicht einer Festung, niemand im Dorf hatte Kontakt zum Großonkel, und als Stephen in das verlassene Haus zieht, hat er das Gefühl, beobachtet zu werden.

Im Haus findet Stephen die Tagebücher seines Großonkels, der als junger Mann am Amazonas war. Beim Lesen erschließt sich für Stephen nicht nur das Rätsel seiner Herkunft, sondern auch das um Lansbury Hall…

Neben den spannenden Erlebnissen von Stephen erfahren die jungen Leserinnen und Leser ab zwölf Jahre viel Wissenswertes über den Amazonas und die dortigen Ureinwohner früher und heute, garniert mit vielen interessanten Zeichnungen.

Ein empfehlenswertes Buch für ausdauernde Leseratten, die hier  ganz nebenbei für die Themen Naturschutz und Toleranz sensibilisiert werden.

Charmian Hussey: Das Tal der Geheimnisse. Rowohlt 2010
www.rowohlt.de

Carson McCullers: Das Herz ist ein einsamer Jäger

Ein hoffnungsloses Elendsbild

Schon lange wollte ich diesen Klassiker der amerikanischen Literatur lesen, den das Time Magazine zu den besten 100 englischsprachigen Romanen und Elke Heidenreich zu ihren Lieblingsbüchern zählt. Dass es nun bei mir doch nicht für fünf Sterne gereicht hat, obwohl Carson McCullers (1917 -1967) die Atmosphäre in einer namenlosen heißen, schmutzigen Kleinstadt in Georgia am Ende der 1930er-Jahre mit großem erzählerischen Talent einfängt, liegt an der fast absoluten Hoffnungslosigkeit der Geschichte und der durchweg düster-depressiven Stimmung, die mich den Roman fast nicht hätte zu Ende lesen lassen.

Im Mittelpunkt dieses Debütromans, den sie im Alter von nur 23 Jahren 1940 veröffentlichte und der sofort auf der amerikanischen Bestsellerliste stand, stehen der taubstumme John Singer und seine vier Besucher Jake Blount, Biff Brannon, Mick Kelly und Doktor Benedict Copeland. Singer, der Mann mit dem friedlichen Ausdruck im Gesicht, hat das verloren, was ihm das Liebste war: seinen ebenfalls taubstummen Freund Spiros Antonapoulos, der in eine Irrenanstalt eingewiesen wurde und später stirbt. Über Singer wird gesagt, dass man seinen Gesichtsausdruck als weise oder bekümmert bezeichnen könnte, vermutlich ist es letzteres, aber seine Mitmenschen deuten ihn als Weisheit. Über Singer wird viel erzählt, jeder sieht in ihm das, was er sehen möchte, jeder schildert ihn so, wie er ihn sich wünscht, und vor allem seine vier Besucher machen ihn fast zu einer Art Gott und sind davon überzeugt, dass nur er sie versteht. Mit ihren Besuchen bei ihm überdecken sie ihre Einsamkeit.

Jake Blount, Mechaniker auf dem Rummelplatz, Alkoholiker, Choleriker, träumt von Freiheit, Gleichheit und der Ausrottung des Kapitalismus ohne Mitglied in der kommunistischen Partei zu sein. Mick Kelly, dreizehnjährige Tochter einer armen, kinderreichen Familie, könnte dem Elend vielleicht durch Bildung entrinnen, muss aber früh die Schule verlassen, um zum Familieneinkommen beizutragen. Ihre Träume gehören der Musik und einem eigenen Klavier. Biff Brannon ist der Besitzer des Café New York, das die ganze Nacht geöffnet ist, und lebt nach dem Tod seiner Frau und einer nicht glücklichen Ehe allein. Doktor Benedict Copeland, schwarzer Arzt, leidet an der Schwindsucht, opfert sich beruflich völlig auf und möchte die Farbigen aus der Unwissenheit und der Unterdrückung führen.

Der Roman, der die Spanne eines guten Jahres umfasst, ist ein Stück amerikanische Zeitgeschichte. Er erzählt von Armut, Verelendung, Rassismus, Hoffnungslosigkeit und vor allem von der Einsamkeit, der Isolation und der fehlenden Kommunikation der Menschen und hat mich damit an die Theaterstücke ihres Zeitgenossen Tennessee Williams erinnert.

Carson McCullers: Das Herz ist ein einsamer Jäger. Diogenes 2013
www.diogenes.ch

Barbara Wendelken: Ihr einziges Kind

Keine einfachen Lösungen

Auch der dritte Teil der Ostfriesland-Krimireihe von Barbara Wendelken um die sympathischen Ermittler Renke Nordmann, Hauptkommissar im Polizeirevier von Martinsfehn, und Nola van Heerden, Oberkommissarin von der Kripo Leer, ist für mich wieder ein großer Wurf im Krimisegment. Selten passen Autorin und Leserin so perfekt zueinander wie bei dieser Serie, die inzwischen für mich die beste ist, die ich derzeit auf dem deutschen Krimimarkt kenne.

Grund dafür ist nicht alleine die jeweils sehr spannende, komplexe Krimihandlung mit ungezählten Wendungen, Einbahnstraßen und Spuren und absolut logischen Auflösungen, sondern die Fähigkeit von Barbara Wendelken, Charaktere und Orte mit wenigen Worten so detailliert zu beschreiben, dass ich sie wie in einem Film vor mir sehe. Außerdem mag ich die häufig wechselnden Perspektiven, die immer wieder ein anderes Licht auf die Geschehnisse werfen und jede zuvor aufgestellte Theorie ins Wanken bringen. Dabei ist es nur ihrem großen erzählerischen Talent zu verdanken, dass man nie die Orientierung verliert, denn scheinbar mühelos führt sie durch den Dschungel aus Spuren und Verdachtsmomenten und gönnt uns nur ab und zu eine kleine Verschnaufpause, wenn es um die ebenso spannende private Beziehung zwischen Nola und Renke geht. Auf über 500 Seiten, von denen keine verzichtbar ist, entsteht so ein absolut umfassendes Bild der Lage und trotzdem ist der Plot jedes Mal eine Überraschung.

Der aktuelle Fall Ihr einziges Kind beginnt mit einem meisterhaften erzähltechnischen Trick, denn bevor es überhaupt ein Verbrechen gibt, werden Renke und Nola wegen eines verschwundenen Säuglings in die Villa des Urologen Dr. Cord Cassjen und seiner deutlich jüngeren Frau Silvana gerufen. Es stellt sich schnell heraus, dass die unter einer postpartalen Psychose leidende, verwirrte Frau das Baby lediglich „verlegt“ hat, aber wir als Leser haben so den Ort, der bald darauf Schauplatz eines Mordes wird, bereits kennengelernt, ebenso wie das Ehepaar Cassjen, die Mutter von Cord, Spirituosenfabrikantin und reichste Frau von Martinsfehn, und ihren Lebensgefährten, den honorigen Landrat a. D.

Renke und Nola jagen im weiteren Verlauf des Krimis nicht nur einen Mörder oder Mörderin, sie suchen auch nach der verschwundenen Silvana, was ein und dasselbe sein könnte, und vor allem nach deren Baby, letzteres eine nur schwer zu ertragende Belastung.

Als Leserin habe ich um den Säugling gezittert, mit angehaltenem Atem die Mordermittlungen verfolgt, wegen der diversen Schweinereien der ach so vornehmen Familie Cassjen mit den Zähnen gekirscht, jede Menge Unschuldige verdächtigt und gehofft, dass es für Nola und Renke endlich ein gutes Ende nimmt. Am Schluss blieb nur eine Frage offen: wann in Martinsfehn das nächste Mal ermittelt wird, denn dann will ich unbedingt wieder dabei sein!

Barbara Wendelken: Ihr einziges Kind. Piper 2016
www.piper.de

Elisabeth Volkers: Meine Reisen mit Familie Mozart

Ein Klavier erzählt

Das Besondere an diesem Bilderbuch ist die Erzählperspektive: Über das Leben des jungen Mozarts erzählt nämlich Thekla, das alte Reiseklavier. Es steht verstaubt auf dem Dachboden und berichtet über die Zeit vor 200 Jahren, als es die Kinder Wolfgang und Nannerl auf ihren ersten großen Reisen begleiten durfte. Viel Spannendes hat es erlebt und erzählt davon: von den ersten Klavierversuchen des Wunderkinds, vom Besuch bei der Kaiserin Maria Theresia und den Reisen durch Europa, aber auch von den Schattenseiten der frühen Karriere, von Krankheit und Geldsorgen.

Zusätzlich gibt es vorn im Buch eine Reisekarte und hinten den Lebensweg Mozarts.

Die Illustrationen von Martina Gollnick sind sehr kindgerecht, der Text von Elisabeth Volkers eignet sich gut zum Einstieg in das Thema Mozart für Kinder ab ca. fünf Jahren und im Hintergrund sollte beim Vorlesen natürlich die entsprechende Musik nicht fehlen.

Elisabeth Volkers: Meine Reisen mit Familie Mozart. Schott 1999
de.schott-music.com