Ein mühsamer Genesungsprozess oder „Es gibt immer Dinge, die einen retten“
Dieser Debütroman lässt mich etwas ratlos zurück, zum einen, weil ich nach dem hübsch-verspielten Cover und dem Klappentext etwas Anderes erwartet hatte, zum anderen, weil die drei Teile, in die ich ihn unterteilen würde, sehr unterschiedlich ausfallen.
Der Einstieg in die Geschichte hat mir zunächst gut gefallen. Der Prolog „Belgrad“ hat meine Neugier geweckt, dann erzählt Martha von sich und wie es dazu kam, dass sie zu der fremdbestimmten Frau ohne Courage wurde, die sie heute ist. Ihre Familie entschied stets für sie, sie trug die abgelegten Kleider ihrer Geschwister, übernahm deren Hobbies, Freunde, Sportarten und das Klavierspiel und ließ sich sogar die Modedesign-Schule zugunsten eines Marketingstudiums ausreden.
Vielleicht merkte sie deshalb nicht, dass Tom, den sie für ihre große Liebe hielt, genauso über sie bestimmt hat wie vorher ihre Familie, sei es bei den Terminen ihrer Treffen, bei den Gesprächsthemen oder beim Radioprogramm. Erst als er sich plötzlich nicht mehr meldet, wird ihr klar, dass es immer eine gewisse Distanz zwischen ihnen gegeben hat und sie sich nie auf Augenhöhe begegnet sind.
Dieser mittlere Teil des Romans, der circa vier Monate umfasst, beschreibt die tiefe Depression, in die Martha nach Toms Verschwinden fällt, ihren Grübelzwang, ihre Heulkrämpfe und die Verzweiflung. Zu Beginn kann der Babysitterjob, den sie seit einigen Monaten beim fünfjährigen, extrem altklugen Oskar und seinen beiden jüngeren Brüdern hat, noch trösten, doch schließlich ist sie auch dazu nicht mehr in der Lage. Eigentlich hätte ich in diesem Teil Mitleid mit Martha haben müssen, doch leider ist es der Autorin Gerhild Stoltenberg nicht gelungen, Empathie für ihre Protagonisten bei mir zu wecken. Sei es, weil ich nicht nachempfinden kann, warum Martha diesem Ekel von Tom derart nachtrauert, sei es, weil ihre jämmerliche Passivität mir gegen den Strich geht, war der Mittelteil des Romans sehr anstrengend für mich.
Als Martha sich mit Hilfe ihrer tatkräftigen Freundin Anna schließlich aus dem Bett erhebt und kurzentschlossen statt zum Skiurlaub mit der Familie zu fahren den Zug nach Belgrad besteigt, setzt der Genesungsprozess ein. Dieser letzte Teil des Romans hat mir wieder besser gefallen, da ich ihre heilende Wut und die Tatsache, dass nichts in Belgrad sie an Tom erinnert, gut beschrieben fand und das in Teilen offene Ende gut gelungen ist.
Im Gegensatz zu Kristof Magnusson habe ich Überall bist du nicht als poetisch empfunden, doch haben mir die Sprache von Gerhild Stoltenberg, ihr immer wieder durchscheinender feinsinniger Humor, Ihre Beobachtungsgabe und die Bilder, die sie findet, gut gefallen. Ich bin überzeugt, dass ich den Roman deutlich lieber gelesen hätte, wenn ein strengeres Lektorat beim Jammern gekürzt und die starken Figuren wie Anna und die Spielplatz-Cousinen zugunsten von Oskar und seiner Mutter Stella aufgewertet hätte.
Gerhild Stoltenberg: Überall bist du. Atlantik 2017
www.atlantikverlag.de
Zum 100. Geburtstag Astrid Lindgrens (1907 – 2002) hat der Verlag Oetinger im Jahr 2007 diesen wunderbaren, opulenten Bildband mit Texten, Fotografien vom Småland ihrer Kindheit, Familienfotos aus ihrem eigenen Fotoalbum sowie Bildern aus Pressearchiven und von Bildagenturen herausgegeben, den ich seither immer wieder sehr gerne zur Hand nehme um Neues zu entdecken, und der eines der Schmuckstücke meiner Bibliothek ist.
18 Geschichten aus der Feder von Astrid Lindgren, darunter Märchen, Erzählungen und Ausschnitte aus ihren unübertrefflichen Kinderbüchern, vereint der Band Von Bullerbü bis Lönneberga. Als „großes Astrid-Lindgren-Hausbuch“ bezeichnet der Oetinger Verlag dieses gewohnt hochwertig gestaltete Buch mit dem Leinenrücken, auf dem bereits vorn mit Pippi Langstrumpf, Michel und Ida sowie Karlsson vom Dach vier wichtige Protagonisten zu sehen sind.
Nach der Lebensgeschichte von Nelson Mandela, Die Morgenröte unserer Freiheit, war Jenseits von Bullerbü, die Biografie über Astrid Lindgren, das zweite Buch von Maren Gottschalk für mich.
Addie Moore und Louis Waters leben schon ewig nur einen Häuserblock voneinander entfernt in der Cedar Street im Städtchen Holt, Colorado, kennen sich aber kaum. Beide sind um die 70, verwitwet und allein, vor allem nachts. Da macht Addie Louis eines Tages einen ebenso ungewöhnlichen wie direkten Vorschlag: Sie möchte gerne die einsamen Nächte mit ihm teilen und lädt ihn ein, bei ihr zu übernachten, um die Schlaflosigkeit durch Gespräche zu überbrücken. Louis, weniger mutig als sie, willigt nach kurzem Zögern ein, und so erzählen sich die beiden in langen Nächten vor dem Einschlafen ihre Lebensgeschichten, finden ihre Treffen wundervoll und können es sich bald gar nicht mehr anders vorstellen.
Nach den vielen lobenden Worten, die ich über Helene Hanffs Die Herzogin der Bloomsbury Street gelesen hatte, habe ich mir das Buch angehört und war eher enttäuscht. Die Erlebnisse einer Amerikanerin in London hatten für mich nicht den Charme und Witz, den ich mir davon versprochen hatte. Die Sprecherin Marion Martienzen gibt sich zwar alle Mühe, Farbe in den Text zu bringen, ihre Stimme klingt allerdings zu jung und passt deshalb nicht zu der bei ihrer Reise nach London bereits über 50 Jahre alten Tagebuchschreiberin.
Der Tiger und die Katze ist eine traditionelle chinesische Fabel, die in diesem Bilderbuch aus dem Moritz Verlag vom japanischen Zeichner Eitaro Oshima für Kinder ab vier Jahren ins Bild gesetzt wird.
Bis zum Beginn der 1960er-Jahre gab es in Italien die „Kinderemigration“. Kinder unter zwölf Jahren wurden aus dem armen Süden nach Mailand, Turin oder Genua geschickt, alleine oder mit Bekannten, wo sie bis zum 15. Geburtstag ihr Leben mit Gelegenheitsarbeiten fristeten und dann als ungelernte Arbeiter in den Fabriken schufteten.
Eigentlich hatte ich gedacht, dass mich nach Jeannette Walls‘ Schloss aus Glas kein Bericht über eine Kindheit mehr schockieren könnte. Doch Arno Franks autofiktionaler Roman So, und jetzt kommst du, der nicht in den fernen USA, sondern hier bei uns spielt, zu einer Zeit, als ich selber Kind war, hat es doch geschafft.