J. Ryan Stradal: Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens

Von einem anderen Stern

Der Diogenes Verlag bittet uns in diesem Sommer zu Tisch, nicht nur mit Brunos Küchenkalender 2017, der uns mit allen Sinnen ins Périgord entführt, sondern auch mit dem Debütroman Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens des US-Amerikaners J. Ryan Stradal.

Schon auf dem verführerisch gestalteten Cover, an dem kaum jemand achtlos vorbeigehen kann, sind die wichtigsten Zutaten des Romans genannt: Tomaten, Chili, Wild und Fisch, also keineswegs Ingredienzien, die man üblicherweise mit dem Fastfood-Land USA in Verbindung bringt. Wenn die Starköchin Eva Thorvald mit den genannten Zutaten in ihrer Küche zaubert, bezahlen Eingeweihte dafür eine vierstellige Summe und warten jahrelang auf einen Platz bei einem ihrer extravaganten Dinner an wechselnden Orten, von der Presse als „Ganzkörpererfahrung“ tituliert.

Es ist vor allem die außergewöhnliche Erzählweise über die ersten knapp 30 Lebensjahre des Mädchens Eva mit dem unglaublichen Geschmackssinn, der Unempfindlichkeit gegen scharfe Gewürze, dessen Tisch zum begehrtesten der USA wird, die mich bei diesem Roman überzeugt hat. J. Ryal Stradal erzählt diese Lebensgeschichte in acht Kapiteln, sieben davon mit dem Namen einer Speise überschrieben, das achte, in dem noch einmal viele der Protagonisten zusammentreffen, mit dem Titel „Das Dinner“. Nur in einem Kapitel, dem zweiten, steht Eva Thorvald im Mittelpunkt, sonst sind es andere, deren Leben gerade an einem Wendepunkt steht. Nur en passant werden dabei einzelne Schlaglichter auf Evas Leben geworfen, was dazu führt, dass sie von einer geradezu mystischen Aura umgeben bleibt. Dies passt wunderbar zu Eva, die nicht für den Ruhm lebt, die Öffentlichkeit eher scheut, weder Kochbücher schreibt noch Kochshows moderiert und lediglich dem Ehrgeiz einer perfekten Küche mit den perfekten Zutaten frönt.

J. Ryal Stradal hat seinen Roman mit sehr viel Ironie gewürzt, trotzdem zieht er seine Protagonisten nie ins Lächerliche, nimmt ihnen nie die Würde. Er hat mich mit dieser leichten, aber keineswegs seichten Lektüre bestens unterhalten, weshalb ich gerne knappe fünf Sterne vergebe.

Und wer weiß, vielleicht gibt es ja 2018 auch zu diesem Roman einen passenden Küchenkalender? Stoff genug wäre mit Eva Thorvalds Menüfolgen, den Rezepten und Zutaten jedenfalls vorhanden!

Ryan Stradal: Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens. Diogenes 2016
www.diogenes.ch

M. G. Leonard: Käferkumpel

Unschlagbar mit der Käferarmee

Seit einiger Zeit bevölkern auffallend viele Insekten die Literatur, seien es im Erwachsenenbereich z. B. Laline Paulls Die Bienen oder im Jugendbuch Der Hummelreiter Friedrich Löwenmaul von Verena Reinhardt. Der Debütroman Käferkumpel der britischen Autorin M.G. Leonhard reiht sich in diesen Trend nahtlos ein und macht aus den Leserinnen und Lesern ab frühestens zehn Jahren nebenbei wahre Entomologen, also Käferexperten.

Alles beginnt damit, dass der Vater des 13-jährigen Darkus Cuttle, der Leiter der wissenschaftlichen Abteilung eines Naturhistorischen Museums, Dr. Bartholomew Cuttle, spurlos aus einem abgeschlossenen Kellerraum der Käfersammlung verschwindet. Während Darkus fest an sein Wiederauftauchen glaubt und auch sein Onkel Max, bei dem er vorläufig wohnt, mehr wütend als traurig scheint, stellt die Polizei die Nachforschungen bald ein. Zusammen mit seinen neuen Freunden, der unerschrockenen Virginia und dem Technikgenie Bertolt, macht Darkus, unterstützt von seinem Onkel Max, sich auf die Suche nach seinem Vater. Noch mehr Hilfe erhalten sie durch Baxter, den hamstergroßen Nashornkäfer, der Darkus aus dem Nachbarhaus mit den beiden skurrilen, ewig streitenden Cousins zufliegt und ihn versteht, und tausenden weiterer Käfer verschiedenster Arten, die ebenfalls dort leben. Überrascht erfährt Darkus, dass sein Vater und seine verstorbene Mutter vor seiner Geburt in der Käferforschung tätig waren und zusammen mit der jetzigen Modezarin Lucretia Cutter am geheimnisvollen Fabre-Projekt mitgearbeitet haben.

Von ihrem Basislager im Hof des Nachbarhauses aus planen die drei Freunde ihr weiteres Vorgehen. Wo ist Darkus‘ Vater? Was hat es mit dem Fabre-Projekt auf sich und mit der offensichtlich gemeingefährlichen Lucrezia Cutter? Und nicht zuletzt: Wie können  die durch diese Frau bedrohten Käfer gerettet werden?

Der unglaublich spannende, stellenweise dramatische und gruselige Abenteuerroman hat mich an die Enid-Blyton-Bücher meiner eigenen Kindheit erinnert, angereichtert mit modernen Science-Fiction- und Fantasy-Anteilen. Besonderes Lob gebührt der Autorin für die gelungene Ausarbeitung der sehr verschiedenen Kindercharaktere, die für jede Leserin und jeden Leser genug Identifikationspotential bieten. Dass am Ende das Happy End vom Entkommen der Schurkin überschattet wird, lässt auf weitere Bände hoffen…

M. G. Leonard: Käferkumpel. Chicken House 2016
www.carlsen.de

Barbara Kunrath: Schwestern bleiben wir immer

Eine „unkaputtbare“ Schwesternbeziehung

Das erste Lob für diesen typischen Frauenroman gebührt der Herstellungsabteilung des Ullstein Verlags. Die Klappenbroschur im Taschenbuchformat mit der angenehmen Oberfläche liegt ausgesprochen gut in der Hand, zeigt auch nach dem Lesen nicht die sonst bei Taschenbüchern üblichen Gebrauchsspuren, ist farblich innen wie außen sehr ansprechend und spiegelt mit dem Cover den Roman gut wider – und das zu einem günstigen, aus Buchhändlersicht sogar zu niedrigen Preis.

Erzählt wird der Roman um die beiden Schwestern Alexa und Katja zum größten Teil aus der Ich-Perspektive der älteren Schwester Alexa, zum kleineren Teil in auktorialer Erzählweise über Katja. Die Beiden sind sich nicht nur äußerlich gänzlich unähnlich, sie haben nach einer lieblosen Kindheit bei ihrer unberechenbaren, gefühlskalten, sie vernachlässigenden und zu Depressionen neigenden Mutter völlig unterschiedliche Lebenswege eingeschlagen. Während die harmoniesüchtige, hausmütterliche, von tiefen Minderwertigkeitsgefühlen geprägte Alexa eine typische Hausfrauenehe führt und in ihrer Mutterrolle aufgeht, zieht die unabhängige, selbstbewusste und bindungsunfähige Journalistin Katja ihren Sohn alleine groß und reiht Affäre an Affäre.

Doch nun, Anfang bzw. Mitte vierzig, stehen beide vor den Scherben ihres Lebenskonzepts. Alexa gibt sich eine Mitschuld am Tod ihrer schwerbehinderten Tochter drei Jahre zuvor und ihre Ehe ist am Ende. Ihr Mann verlässt sie wegen einer jüngeren Geliebten und die beiden pubertierenden Kinder folgen ihm angesichts der Schwermütigkeit ihrer Mutter. Katja dagegen dringt nicht mehr zu ihrem 15-jährigen Sohn durch und steht dessen beginnenden Drogen- und Alkoholproblemen hilflos gegenüber.

Als Alexa im Nachlass der kürzlich verstorbenen Mutter einen nicht zu Ende gebrachten Brief entdeckt, wird die Neugier der Schwestern geweckt und sie machen sich gemeinsam daran, die fehlenden Puzzleteile aus ihrer Vergangenheit zu suchen. Warum hat der Vater einst die Familie überstürzt verlassen, als sie gerade sieben und vier Jahre alt waren? Warum wurde ihre Mutter so, wie sie war? Eine spannende Spurensuche beginnt…

Wer einen leichten Frauenroman, eine unterhaltsame Urlaubslektüre oder ein Buch für zwischendurch sucht, das sich auch sprachlich einfach und schnell lesen lässt und ein versöhnliches Happy End bietet, ist mit Barbara Kunaths Schwestern bleiben wir immer gut beraten und sollte sich von meinen drei Sternen nicht abhalten lassen. Mir war das Buch ein bisschen zu rührseelig, der Papiertaschentuchverbrauch von Alexa zu hoch, ihre Affäre zu schnell und nicht zu ihr passend, das Ende zu glatt und manches, wie die problemlose Auskunft beim Einwohnermeldeamt und die Tatsache, dass im Zeitalter des Internets keine der Schwestern je auf die Idee kam, den Namen des vor 38 Jahren verschwundenen Vaters zu googlen, zu unglaubhaft. Gut gefallen hat mir dagegen der lebenslange Zusammenhalt der Schwestern trotz vieler Belastungen und die Erkenntnis, dass sie trotz aller offensichtlichen Unterschiede eigentlich gar nicht so verschieden sind.

Barbara Kunrath: Schwestern bleiben wir immer. Ullstein 2016
www.ullsteinbuchverlage.de

Anne Enright: Rosaleens Fest

Jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise

„Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise“, beginnt Lew Tolstois Roman Anna Karenina.

Unglücklich sind auch die Mitglieder der irischen Familie Madison in Anne Enrights Familienroman Rosaleens Fest. Als sie sich im zweiten Teil des Romans 2005 auf Wunsch der 76-jährigen Mutter Rosaleen vor dem Verkauf des Elternhauses noch einmal zum gemeinsamen Weihnachtsfest versammeln, bringen die vier Kinder „auf der Schwelle zum mittleren Alter“ die unterschiedlichsten Lebens- und Beziehungsschicksale mit. Gemeinsam ist allen, dass sie ihr Glück nicht gefunden haben, dass sie sich nicht von ihrer fordernden, launischen Mutter abnabeln konnten, einer Frau, „die nichts tat und alles erwartete“, egal wie weit weg sie inzwischen leben. Rosaleen ihrerseits fühlt sich verlassen, nicht gewürdigt und unbedeutend. „Warum sie nicht nett zu ihnen sein konnte, sie wusste es nicht. Sie liebte sie so sehr.“ Dennoch übt sie eine Macht über ihre Kinder aus, der diese sich offensichtlich nicht entziehen können.

Über 25 Jahre verfolgt die irische Autorin Anne Enright das Leben der einzelnen Familienmitglieder distanziert, entlarvend und zuweilen, wie mir schien, unbarmherzig. Gut gefallen hat mir der Aufbau des Romans, in dem im ersten Teil die vier Kinder Hanna, Dan, Constance und Emmet, auf typisch irische Weise in alle Winde verstreut, und die Mutter Rosaleen an scheinbar zufällig ausgewählten Punkten ihres Lebens zwischen 1980 und 2005 porträtiert werden, um dann 2005 erstmals nach langer Zeit wieder aufeinanderzutreffen.

Anne Enright hat für ihren Roman Das Familientreffen 2007 den Man Booker Price erhalten und auch Rosaleens Fest stand 2015 auf der Longlist. Mich konnte diese recht düstere Familiengeschichte dagegen nicht überzeugen, denn die Grundaussage, dass das Unglück der Kinder allein durch das Wesen der Mutter hervorgerufen wurde, kann ich nicht nachvollziehen. Zwar wurde mir Rosaleen genau wie ihre Kinder nie sympathisch, doch schien mir ihr Verhalten nicht so einengend und grauenvoll, dass die Kinder fern von zuhause nicht hätten ihres Glückes Schmied werden können. Immerhin schafften sie den Absprung vom Elternhaus und hätten meinem Empfinden nach – Mutter hin, Mutter her – mit etwas mehr Zielstrebigkeit einen für sie zufriedenstellenderen Weg einschlagen können.

Auch in Bezug auf die Sprache bin ich eher gespalten. Einerseits haben mir die Präzision und der an manchen Stellen deutlich durchschimmernde Spott gut gefallen, ebenso wie die poetischen Passagen, wenn es um die Beschreibung der faszinierenden irischen Landschaft geht. Andererseits fand ich die Sprache aber stellenweise unnötig und unpassend vulgär.

Trotz meiner Kritik werde ich sicher auch noch Das Familientreffen lesen, um zu testen, ob mir dieser frühere Roman besser gefällt.

Anne Enright: Rosaleens Fest. DVA 2015
www.randomhouse.de

Boris Schumatsky: Die Trotzigen

Ein deutsch-deutsch-sowjetisch-russischer Schelmenroman

Eine Geschichte rund um den Fall des Eisernen Vorhangs, um den Gorbatschow-Besuch in Honeckers Ost-Berlin und die Barrikadenkämpfe vor dem Weißen Haus in Moskau, das klang vielversprechend für mich. Auch das ungewöhnliche, typografielastige Cover mit den poppigen Farben orange und lila sowie der erzählende Untertitel haben mich neugierig gemacht. Was ich nicht erkannt habe: Boris Schumantskys zweiter Roman Die Trotzigen gehört zum Genre „Schelmenroman“, dem ich leider nichts abgewinnen kann. Weder Die Abenteuer des Huckleberry Finn, noch Candide, Die Abenteuer des Simplicissimus oder Die Blechtrommel konnten mich ansprechen, ihr Humor blieb mir verborgen und leider erging es mit mit Die Trotzigen nicht besser.

Boris Schumatsky schickt seine beiden jungen Protagonisten, den russischen Dolmetscher Sascha aus Moskau und die deutsche Ex-Slawistik-Studentin Anna, zwischen Moskau und Berlin hin und her. Die beiden sind mal ein Paar und mal nicht, sie scheinen nicht ohne, aber auch nicht miteinander zu können. Den Moskauer Putschversuch gegen Gorbatschow im August 1991 erleben sie in vorderer Front, dann treffen sie sich wieder in Berlin, wo Sascha und sein Freund Denis mit einem Besuchervisum und den Etiketten „Jude“ und „Schwuler“ versuchen, eine Aufenthaltsgenehmigung zu erschleichen. Zwei Jahre später treffen die drei und ihre Freunde in Moskau erneut aufeinander, und wieder wird ein Putsch versucht…

Leider hat das Buch nicht meinen Erwartungen an einen politischen Roman entsprochen. Kaum politische Dispute, wenig Erklärungen und vieles, was ich trotz meines Interesses für die neuere sowjetische und russische Geschichte einfach nicht verstanden habe, haben mich etwas frustriert zurückgelassen. Zu viele Details gab es stattdessen über Drogenkonsum und Sex, wobei die Wörter „vögeln“ und „ficken“ gefühlt die am häufigsten vorkommenden Vokabeln im ganzen Buch waren. Vielleicht habe ich mich mit dem Roman aber auch deshalb so schwergetan, weil die Protagonisten mir in ihrem Handeln und Denken fremd blieben und ich keine Sympathien für sie entwickeln konnte.

Bei Lesern mit mehr Vorkenntnissen über die neuere Geschichte Russlands und einer Affinität zu Schelmenromanen könnte das Buch sicher auf größere Zustimmung stoßen. Für mich war es dagegen leider definitv die falsche Leküre.

Boris Schumatsky: Die Trotzigen. Blumenbar 2016
www.blumenbar.de

Melanie Mühl & Diana von Kopp: Die Kunst des klugen Essens

Ein Buch zum Thema Ernährung – ganz ohne erhobenen Zeigefinger

Nach den Bestsellern Die Kunst des klaren Denkens und Die Kunst des klugen Handelns von Rolf Dobelli gibt es jetzt Die Kunst des klugen Essens von Melanie Mühl und Diana von Kopp. Bereits das gelungene Äußere mit der frechen Illustration macht Lust auf dieses kleinformatige Hardcover aus dem Carl Hanser Verlag. Die Feuilleton-Redakteurin der FAZ, Melanie Mühl, und die Diplom-Psychologin und Mitarbeiterin der FAZ im Blog „Food Affair“, Diana von Kopp,  präsentieren mit einem Augenzwinkern „42 verblüffende Ernährungswahrheiten“ in ebenso vergnüglicher wie fundierter Art und Weise.

Jedes der 42 kurzen Kapitel beginnt mit einem passenden farbigen Cartoon und endet mit einem Fazit oder einem pointierten Schlusssatz. Dazwischen wechseln sich altbekannte und neue, erstaunliche Informationen ab, immer gut belegt durch Studien und mit einer beeindruckenden, nach Kapiteln geordneten Literaturliste im Anhang.

Was mir an diesem Buch gefallen hat, ist die unverkrampfte Art, mit der die beiden Autorinnen an das inzwischen oftmals ideologieüberfrachtete Thema Essen herangehen. Hier gibt es keinen erhobenen Zeigefinger, stattdessen wird klug und humorvoll das Rüstzeug für einen bewussteren Umgang mit unserer Ernährung und deren Erwerb vermittelt. Dass Melanie Mühl und Diana von Kopp wahre Sprachkünstlerinnen sind, hat meinen Lesespaß nochmals erhöht.

Ich bin sicher, dass in diesem kleinen Sachbuch für jeden etwas dabei ist, und somit halte ich es für ein ideales, breit einsetzbares Geschenk. In meiner Familie sind einzelne vorgelesene Passagen auf Interesse gestoßen und haben sofort zu lebhaften Diskussionen geführt, an denen die Autorinnen sicher ihre Freude gehabt hätten.

Melanie Mühl & Diana von Kopp: Die Kunst des klugen Essens. Hanser 2016
www.hanser-literaturverlage.de

Brigitte Glaser: Bühlerhöhe

Agentenkrimi, Frauenroman und politisches Zeitbild

1952 waren das Wiedergutmachungsabkommen mit Israel, die Westintegration und die Wiederbewaffnung großen Themen der deutschen Politik, von einer Aufarbeitung der Nazi-Gräueltaten konnte dagegen keine Rede sein. Nicht nur von weiten Teilen der eigenen Bevölkerung, auch von Seiten radikaler Kräfte in Israel wurden die Wiedergutmachungsleistungen der Bundesrepublik Deutschland abgelehnt. Doch der junge Staat Israel brauchte die Gelder dringend zum Aufbau seiner Infrastruktur, und so war der Mossad sehr interessiert daran, den deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer vor Anschlägen wie dem gescheiterten Paketbombenattentat vom März 1952 durch jüdische Fanatiker zu schützen.

Genau hier setzt Brigitte Glasers Roman Bühlerhöhe ein. Beim Aufenthalt von Konrad Adenauer und seiner Tochter in diesem badischen Nobelhotel im Nordschwarzwald möchte der Mossad den Schutz des Kanzlers nicht alleine dessen Bewacherstab überlassen und schickt deshalb ein eigenes Team. Getarnt als Ehepaar Goldberg sollen Rosa Silbermann und Ari Goldberg dafür sorgen, dass dem deutschen Staatsoberhaupt nichts zustößt. Rosa Silbermann, die junge Idealistin aus einem Kibbuz, die während des Holocausts fast ihre gesamte Familie verloren hat, wird ausgewählt, weil sie die Bühlerhöhe aus Kindertagen kennt, Ari dagegen ist ein Profi-Agent des Mossad. Doch von Anfang an steht der Auftrag unter keinem guten Stern, denn Ari trifft nicht pünktlich ein und die im Agentendasein völlig unerfahrene Rosa muss sich zunächst ohne den ihr unbekannten Ehemann behelfen. Nicht nur die Hausdame Sophie Reisacher, eine Frau mit einem Röntgenblick, die rücksichtslos ihre eigenen Interessen verfolgt und ihre Fehlentscheidung während des Krieges bezüglich Ehemann und politischer Seite korrigieren möchte, macht ihr das Leben schwer. Auch die bunte Mischung von Gästen auf der Bühlerhöhe und im benachbarten Gasthof Hundseck hat es in sich. Und als Ari schließlich eintrifft, bringt er Rosa nicht die Entlastung, die sie sich erhofft hatte…

Bühlerhöhe ist eine Mischung aus Agentenkrimi, Frauenroman und einem spannenden Zeitbild der jungen Bundesrepublik. Gerade der politische Hintergrund hat mich besonders interessiert, sei es die Wiedergutmachungsdiskussion, die überall spürbaren Nachwirkungen des Dritten Reichs und des Krieges oder die Lage in Israel. Obwohl ich den Handlungsablauf für eher für unrealistisch halte und die Beziehungsgeschichten von Rosa und Sophie gerne kürzer hätten ausfallen dürfen, haben mich die acht CDs 581 Minuten lang gut unterhalten. Anne Moll liest den gekürzten Roman mit angenehmer Stimme und haucht jedem Akteur eigenes Leben ein.

Brigitte Glaser: Bühlerhöhe. Hörbuch Hamburg 2016
www.hoerbuch-hamburg.de

Bret Anthony Johnston: Justins Heimkehr

Eine Familie am Abgrund

Verschwindet ein Kind, liegt der Fokus der Medien zunächst auf der betroffenen Familie. Taucht das Kind jedoch wieder auf, stehen Opfer und Täter im Mittelpunkt des Interesses, das Verbrechen und der Prozess.

Ganz anders macht es der US-Amerikaner Bret Anthony Johnston in seinem Debütroman Justins Heimkehr. Auch nachdem Justin vier Jahre, zwei Wochen und vier Tage nach seiner Entführung befreit wird, bleibt der Fokus auf den Eltern Laura und Eric, dem jüngeren Bruder Griff und dem Großvater Cecil. Sie sind die Hauptfiguren in Johnstons Roman, Justin und sein Entführer Dwight Harrell bleiben dagegen im Hintergrund und nur ab und zu erfährt man mehr zufällig Bruchstücke ihrer Geschichte. Sensationslust wird hier definitiv nicht befriedigt und das Buch ist kein Thriller. Die Tat als solche ist deutlich weniger wichtig als die Folgen.

Die ersten Seiten des Romans schildern den Zustand von Justins Familie kurz vor der Rückkehr des mittlerweile 16-Jährigen, die Suche, die Hoffnung, die Selbstvorwürfe, die Grübeleien, die Verzweiflung, den Schmerz, die Fluchten, die Gewöhnung an das Unvorstellbare, die Sprachlosigkeit und die Entfremdung. Jedes Familienmitglied hat im Laufe der Jahre eigene Überlebensstrategien entwickelt.

Dann ist Justin von einer zur anderen Stunde plötzlich wieder da. „Sie können wieder eine richtige Familie sein“, sagt Staatsanwalt Garcia, aber auch: „Wir sind noch nicht aus dem Gröbsten heraus“. Erneut sind Strategien gefragt, Strategien, um aus Laura, Eric, Griff und Justin wieder das zu machen, was sie vier Jahre zuvor ganz selbstverständlich waren: eine texanische Mittelklassefamilie in einem kleinen Farmhaus in Corpus Christi, nahe der mexikanischen Grenze. Und noch etwas will gelernt sein, die Beherrschung von Rachegefühlen.

Der Spannungsbogen, den der „Fiction Writing“ an der Harvard University unterrichtende Autor aufbaut, beschränkt sich nicht nur auf die sehr intensive Beschreibung des Innenlebens der Protagonisten Laura, Eric, Griff und Cecil. Neben dem Schicksal des Täters, der sich nicht schuldig bekennt und zwischendurch sogar gegen Kaution auf freien Fuß kommt, hat eine im Prolog unterhalb der Harbor Bridge mit dem Kopf nach unten treibende Leiche meine Fantasie während der gesamten Lektüre beschäftigt. Nach und nach hätte ich jeder der Hauptfiguren einen Selbstmord zugetraut, vielleicht sogar einen Mord.

Justins Heimkehr hat mich durch seine ungewöhnliche Perspektive, durch das Einfühlungsvermögen des Autors, das texanische Lokalkolorit und die perfekte Komposition überzeugt. Dass nicht jede Frage am Ende geklärt wird, liegt in der Natur des Themas, denn einen wirklichen Abschluss wird die Geschichte niemals finden, jedoch habe ich den Schluss nicht als offen empfunden. Für mich ein Lesehighlight 2016!

Bret Anthony Johnston: Justins Heimkehr. C.H. Beck 2016
www.chbeck.de

Meike Haberstock: Paula und Pelle – Eiscremebunter Sommerspaß

Mit Power-Paula und Pelle im Freibad

Paula & Pelle – Eiscremebunter Sommerspaß ist ein fröhlich-bunt illustriertes Kinderbuch mit einer unternehmungslustigen, einfallsreichen Protagonistin namens Paula. So ein Mädchen möchte einen sonnigen Sommersonntag natürlich nicht zu Hause verbringen sondern ins Freibad, egal was ihre Eltern und Pelle, ihr kraul- und vanillekekssüchtiger Mischling dazu meinen. Bei einem Kind wie Power-Paula ist Widerstand zwecklos und kurze Zeit später kommen die vier Ausflügler im Freibad an. Zwar dürfen Hunde nicht ins Wasser, aber wenn Pelle sich als Gummitier ausgibt, merkt doch keiner was – oder? Fast wäre es gutgegangen, doch dann droht der fiese Finn, der Schrecken der 3B, alles an den Bademeister zu verraten…

Ich bin bei diesem Kinderbuch mit meinem Urteil etwas hin- und hergerissen. Einerseits mag ich den fröhlichen Ton, den Witz, Pelles Gedanken und die clevere Paula, die nie um eine Antwort verlegen ist. Andererseits stört es mich, dass Paula Pelle verbotenerweise mit ins Wasser nimmt und damit durchkommt, denn bei aller Sympathie für Pelle möchte doch sicher niemand einen Vierbeiner neben sich im Becken haben. Außerdem ist mir etwas unklar, welche Altersgruppe hier genau angesprochen werden soll. Laut Verlag richtet sich das Buch an Kinder ab sechs, doch ist es in meinen Augen trotz der größeren, serifenlosen Schrift kein klassisches Erstleserbuch, denn dafür sind die Zeilen zu lang. Für Drittklässler dagegen sind die Illustrationen zu kindlich. Ich halte Paula & Pelle – Eiscremebunter Sommerspaß deshalb am ehesten für ein Vorlesebuch für vier- bis sechsjährige Mädchen und Jungen.

Meike Haberstock: Paula und Pelle – Eiscremebunter Sommerspaß. Ars Edition 2016
www.arsedition.de

Christine Goppel: Die Rache des Meerschweinchenvampirs

Ein Gruselabenteuer mit Graf Dracula

Lesedetektive heißt die Erstleserreihe aus dem Duden Verlag, bei der die beiliegenden Lesezeichen als Lösungsschlüssel für die eingestreuten Quizfragen dienen. Die Bände der Reihe sind nach Klassen unterteilt. Ich selber bevorzuge eine Einteilung in verschlüsselte Lesestufen, da man schlechten Leserinnen und Lesern so auch ein Buch für eine niedrigere Stufe in die Hand geben kann, ohne sie damit zu beschämen.

Auch Die Rache des Meerschweinchenvampirs, der zweite Band zu Anna und der Meerschweinchenvampir, richtet sich wieder an Zweitklässler und ist deswegen in großer Fibelschrift und im Flattersatz gedruckt, hat kurze Zeilen, überwiegend einfache Wörter, viele Bilder zur Unterstützung des Textverständnisses und wenig Text pro Seite. Es gibt keine Unterteilung in Kapitel. Für ehrgeizige Erstklässler dürfte die Textmenge ebenfalls zu bewältigen sein.

Anna und Graf Dracula sind dieses Mal auf dem Jahrmarkt unterwegs. Als sie sich gerade eine Portion Pommes mit blutrotem Ketchup teilen, treffen sie Tobi und die miesepetrige, fiese Paula. Den ganzen Nachmittag feuert sie bösartige Bemerkungen ab, und als die vier schließlich in der gruseligen Geisterbahn sind, wird es Graf Dracula zu bunt…

Auch die zweite Geschichte um Anna und Graf Dracula, die man selbstverständlich auch unabhängig lesen kann, ist kindgerecht erzählt, wobei die Illustrationen auch dieses Mal nicht immer nach meinem Geschmack sind.

Christine Goppel: Die Rache des Meerschweinchenvampirs. Duden 2013
www.fischerverlage.de