Niemand ist mehr allein
Lou ist tot, gestorben mit 56 Jahren in einem Pflegeheim auf der bretonischen Île de Groix an einer schnell fortscheitenden Demenzerkrankung. Sie war nicht nur der Mittelpunkt ihrer Familie, sie war auch der Mörtel, der sie zusammenhielt, eine humorvolle, warmherzige und lebhafte Frau ohne jedes Talent für die Küche, aber mit viel Liebe für ihren Mann Jo, den Sohn Cyrian, die Tochter Sarah und die Enkelinnen Pomme und Charlotte.
Auf ihren Mann Jo, der an ihrem Tod zu zerbrechen droht, wartet beim Notar eine Überraschung. Lou verlangt von ihm, innerhalb von zwei Monaten dafür zu sorgen, dass seine Kinder, um die er sich nie genug gekümmert hat, endlich glücklich werden. Cyrian, der Sohn, hat eine Tochter und eine frühere Geliebte auf Groix, führt in Paris eine wenig glückliche Ehe, aus der ebenfalls eine Tochter hervorgegangen ist, und hat eine Geliebte. Sarah dagegen ist durch eine Erkrankung seit Jahren auf Krücken oder den Rollstuhl angewiesen, weshalb ihr Verlobter sie verlassen hat, und scheut seither eine feste Bindung. Jedes Familienmitglied leidet für sich allein, unfähig zur Kommunikation, um die vielen Missverständnisse aus der Welt zu schaffen. Eine Herkulesaufgabe daher für Jo, wenn er sich als Belohnung Lous Abschiedsbrief verdienen will!
Lorraine Fouchets gefühlvoller Roman Ein geschenkter Anfang erzählt die Geschichte einer sprachlosen Familie, die Dank des Vermächtnisses einer klugen Frau noch einmal von vorne beginnen kann. Alle Familienmitglieder erzählen abwechselnd aus ihrer Sicht, sogar Lou von „dort, wohin wir alle einmal gehen“. Zunächst berichten und klagen sie mit ganz und gar unterschiedlichen Stimmen, aber mit dem Fortschreiten des Romans werden die Übereinstimmungen immer größer und mit der Bereitschaft, sich einander langsam zu öffnen, steigt die Hoffnung auf ein Happy End.
Mir hat bei der Lektüre vor allem die Beschreibung der acht mal vier Kilometer großen bretonischen Île de Groix und das Einflechten vieler, vor allem französischer Chansons in den Text gefallen, aber auch, dass viele Akteure sich im Laufe der Geschichte als ganz anders entpuppt haben, als ich zu Beginn dachte. Die Lebens- und Liebesgeschichte von Lou und Jo ist wunderschön erzählt und Lorraine Fouchets französischer Charme und ihr Augenzwinkern im richtigen Moment umschiffen fast immer den drohenden Kitsch.
So kommt es, dass ein an sich sehr trauriges Buch mir immer wieder ein Lächeln entlockt und mich sehr gut unterhalten hat.
Lorraine Fouchet: Ein geschenkter Anfang. Atlantik 2017
www.atlantikverlag.de
Wie so viele Kinder wünscht Henry sich dringend einen Hund, ganz im Gegensatz zu seinen Eltern, die sich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden können, zu den sieben Millionen deutschen Hundebesitzern zu gehören. Doch dann geht Henrys Wunsch nach einem Tier zum Knuddeln und Kuscheln plötzlich ganz anders in Erfüllung, als er sich das ausgemalt hat, denn er „stolpert“ im Wald über ein Minimammut. Zum Glück sind seine Eltern gerade im einwöchigen Kurzurlaub, seine tolle Oma aus England ist zu Besuch und auf seine dicken Freunde Zoe und Finn ist jederzeit Verlass… Denn schließlich gibt es – anders als bei Hunden – keine Bücher zur richtigen Mammuthaltung. Wie also Norbert, das Minimammut, füttern, pflegen und erziehen?
Die „Jason“, ihr Segelboot, soll ihr Ticket in die Freiheit sein. Ein Sabbatjahr lang möchten Ludovic und Louise die Weltmeere erkunden, bevor sie endgültig zusammen sesshaft werden. Der Ausbruch aus dem Pariser Büroalltag war Ludovics Idee. Er, der Sonnyboy, das Einzelkind, dem es dank gutverdienender Eltern nie an etwas gefehlt hat, musste die eher vorsichtige, konventionelle und fast etwas mauerblümchenhafte passionierte Bergsteigerin Louise zu diesem Abenteuer überreden. Louise, die noch immer darüber staunt, dass der umschwärmte Ludovic sich ausgerechnet für sie entschieden hat, willigt schließlich ein und die beiden legen in Cherbourg ab. Einmal gestartet, sind beide begeistert und genießen ihre Auszeit verliebt und in vollen Zügen. So sicher fühlen sie sich, dass sie, ohne jemanden zu informieren, die Insel Stromness vor Kap Hoorn, 800 Meilen von den Falkland-Inseln entfernt, anlaufen, ein Naturschutzgebiet voller Pinguine und Robben, dessen Betreten verboten ist. Vom Sturm überrascht, büßen sie ihr Schiff ein und sie sind plötzlich mitten in einem dramatischen Abenteuer auf Leben und Tod, das sie so nicht gesucht haben. Ohne Schiff, ohne Kommunikationsmittel, ohne Nahrung werden sie zum Teil des Ökosystems der Insel, eine seit den 1950er-Jahren stillgelegte Walfangstation ihr Zuhause und Hunger ihr ständiger Begleiter.
In ihrem knapp 600 Seiten starken dritten Roman Wenn ich jetzt nicht gehe, in Spanien das meistverkaufte Buch des Jahres 2015, erzählt die 1964 geborene María Dueñas ein Jahr im Leben des Mauro Larrea.
„Mama, ich habe
Ein Glücksmädchen, wie es der Titel des Buches und ihr Name suggerieren, ist Lycke wahrlich nicht. Die Achtjährige lebt nach der Scheidung ihrer Eltern Helena und Harald vor vier Jahren wochenweise abwechselnd bei beiden Elternteilen. Helena hat keine emotionale Bindung zur Tochter und ist beruflich als Immobilienmaklerin stark eingespannt, Haralds neue Frau Chloé ist eifersüchtig auf Lycke und fürchtet deren Konkurrenz für ihren kleinen Sohn. Einziger Lichtblick für Lycke, die auch keine Freunde hat, ist die Nanny Mona, ihre einzige Vertraute, die jedoch kurz vor der Pensionierung steht.
Oetinger34 ist ein Imprint des renommierten Oetinger Verlags und eine Onlineplattform. 2014 gestartet, kommen hier Autoren, Illustratoren, Juniorlektoren und Leser zusammen und die besten Ergebnisse dieser Zusammenarbeit erscheinen anschließend in der Edition Oetinger34. für mich war Wie König Böhnchen die wahrhaft wütende Prinzessin Rikiki fand der erste Titel dieses Imprints und sofort ein Volltreffer.
Vor einigen Jahren habe ich Henning Mankells hervorragendes, aber tief deprimierendes Buch Ich sterbe, aber die Erinnerung lebt gelesen, in dem es um das Thema Aids in Afrika geht. Ich war deshalb sehr gespannt und etwas skeptisch, ob dieses Thema als Stoff für ein Jugendbuch taugen kann. Nach der Lektüre des bereits 2005 erschienenen Titels Worüber keiner spricht bin ich jedoch begeistert über die Umsetzung durch den kanadischen Autor Allan Stratton, der dafür zurecht zahlreiche Preise in verschiedenen Ländern erhalten hat.
2007 scheint Jende Jonga es nach drei harten Jahren endlich geschafft zu haben. Der 33-jährige Kameruner, der mit einem Besuchervisum in die USA eingereist ist, einen Asylantrag gestellt und eine befristete Arbeitserlaubnis bekommen hat, seine Freundin Neni und seinen kleinen Sohn Liomi nachholen und endlich heiraten konnte, erhält einen Job als gut bezahlter Chauffeur der Familie des Lehman-Investmentbankers und Managers Clark Edwards. Der „American Dream“ scheint sich für die Jongas zu erfüllen. Neni, der man in Kamerun stets eingebläut hat, nichts vom Leben zu erwarten, ist mit ihrem Studentenvisum auf dem Weg zu einem Pharmaziestudium und arbeitet nebenbei illegal bei einem Pflegedienst und im luxuriösen Sommerhaus der Edwards‘ in den Hamptons. Spätestens bei Liomi, da sind Neni und Jonga sich einig, soll sich der Aufstieg verwirklichen.