Alina Herbing: Niemand ist bei den Kälbern

„Nur, wenn man zu langsam fährt, bleibt man stecken“

Eigentlich bin ich immer sehr gespannt auf die Debütromane neuer, junger Autoren und das Konzept eines Anti-Heimatromans aus Schattin in Mecklenburg klang verlockend für mich. Dass Niemand ist bei den Kälbern der 1984 geborenen Autorin Alina Herbing dann doch überhaupt nicht mein Buch war, liegt vor allem daran, dass ich keinerlei Empathie für die Protagonistin aufbringen konnte, deren enervierendes Gejammer und Selbstmitleid mich mit zunehmender Seitenzahl mehr abgestoßen hat, an der sehr flachen, oft ordinären Sprache und daran, dass ich mir trotz aller schwerwiegenden Probleme in einer strukturschwachen Region nicht vorstellen kann, dass die Menschen dort nahezu durchweg antriebsschwach, kriminell, dem Alkohol verfallen, gewalttätig  und vereinsamt sind.

Dabei ist mir durchaus bewusst, dass die Ich-Erzählerin Christin, Anfang 20, es mit der durchgebrannten Mutter, dem im Dorf als Ex-Stasi-Mann geächteten, zum verwahrlosten Säufer verkommen Vater und der wegen Insolvenz des Salons abgebrochenen Friseurlehre schwer hat. Als Kind hat sie davon geträumt, mit 18 auf High Heels über den Berliner Asphalt zu stöckeln, stattdessen ist sie auf einen überschuldeten Milchviehbetrieb zu ihrem Freund Jan gezogen, der ihre Sachen durchsucht und ihr Handy filzt. Im Gegenzug bringt sie keinerlei Interesse für seinen Kampf gegen die bedrohlich niedrigen Milchpreise und die Windräder auf, lügt, betrügt und drückt sich um die verhasste, da eklige Arbeit im Kuhstall. Anstatt ihre Zukunft beherzt in beide Hände zu nehmen, einen Ausweg aus der für sie trostlosen Dorfperspektive zu suchen, lässt sie sich auf gewalttätigen Sex mit einem verheirateten Mann ein, nur weil der ein Hamburger Autokennzeichen hat, wird zunehmend gewalttätig gegen unschuldige Tiere, trinkt mehr und mehr und spielt nicht nur im übertragenen Sinn mit dem Feuer.

„Nur, wenn man zu langsam fährt, bleibt man stecken“, heißt es am Ende des Romans. Christin, so schien es mir, fährt überhaupt nicht, sie lässt sich planlos treiben, was mir entschieden gegen den Strich geht. Ob sie es jemals aus Schattin herausschafft, bleibt am Ende offen. Leider ist es mir aber auch ziemlich egal.

Alina Herbing: Niemand ist bei den Kälbern. Arche 2017
www.arche-verlag.com

Allan Stratton: Worüber keiner spricht

Das Schweigen brechen

Vor einigen Jahren habe ich Henning Mankells hervorragendes, aber tief deprimierendes Buch Ich sterbe, aber die Erinnerung lebt gelesen, in dem es um das Thema Aids in Afrika geht. Ich war deshalb sehr gespannt und etwas skeptisch, ob dieses Thema als Stoff für ein Jugendbuch taugen kann. Nach der Lektüre des bereits 2005 erschienenen Titels Worüber keiner spricht bin ich jedoch begeistert über die Umsetzung durch den kanadischen Autor Allan Stratton, der dafür zurecht zahlreiche Preise in verschiedenen Ländern erhalten hat.

Protagonistin des Romans ist die 16-jährige Chanda Kabelo, ein Mädchen mit großen Zukunftsträumen, das irgendwo in einem südafrikanischen Elendsviertel lebt. Doch ihr Leben wird überschattet von Krankheit und Tod, und zu Beginn muss sie die Beerdigung für ihre kleine Schwester organisieren, da ihre sonst so tatkräftige Mutter selber unter mysteriösen Beschwerden leidet, offiziell eine Folge der Trauer. Da ihr Stiefvater sich völlig dem Alkohol ergeben hat, muss Chanda, die so gerne einen Schulabschluss machen würde, um Lehrerin oder Ärztin zu werden, immer mehr Verantwortung für die Familie, vor allem für die beiden kleineren Geschwister übernehmen. Und sie hat immer mehr Angst: Da ist die Mutter, die immer schwächer wird und eines Tages verschwindet, die Freundin, die sich nach dem Tod ihrer Eltern prostituiert, und die ständige Sorge um die Gesundheit der Geschwister und nicht zuletzt ihre eigene. Doch eines Tages trifft sie eine mutige Entscheidung, denn sie möchte nicht länger schweigen…

Mehrere Monate hat Allan Stratton vor Ort bei Projekten zur Aids-Prävention und zur Betreuung von HIV-Infizierten und -Kranken recherchiert. Herausgekommen ist ein sehr bewegendes, wichtiges Jugendbuch für Mädchen ab 14, das die Gewalt zwar nicht verschweigt, aber auch nicht effekthascherisch in den Vordergrund stellt. Mit Chanda und ihrer Umgebung bekommen die anonymen Zahlen in den Gesundheitsstatistiken ein Gesicht und werden greifbar. Zum Glück ist es Allan Stratton gelungen, trotz aller berechtigten Verzweiflung ein hoffnungsvolles Buch zu schreiben, weil er ein mutiges Mädchen in den Mittelpunkt stellt, das sich gegen das Schweigen auflehnt und erfolgreich ein großes Tabu bricht.

Allan Stratton: Worüber keiner spricht. dtv 2005
www.dtv.de

Imbolo Mbue: Das geträumte Land

Vom Traum zum Alptraum

2007 scheint Jende Jonga es nach drei harten Jahren endlich geschafft zu haben. Der 33-jährige Kameruner, der mit einem Besuchervisum in die USA eingereist ist, einen Asylantrag gestellt und eine befristete Arbeitserlaubnis bekommen hat, seine Freundin Neni und seinen kleinen Sohn Liomi nachholen und endlich heiraten konnte, erhält einen Job als gut bezahlter Chauffeur der Familie des Lehman-Investmentbankers und Managers Clark Edwards. Der „American Dream“ scheint sich für die Jongas zu erfüllen. Neni, der man in Kamerun stets eingebläut hat, nichts vom Leben zu erwarten, ist mit ihrem Studentenvisum auf dem Weg zu einem Pharmaziestudium und arbeitet nebenbei illegal bei einem Pflegedienst und im luxuriösen Sommerhaus der Edwards‘ in den Hamptons. Spätestens bei Liomi, da sind Neni und Jonga sich einig, soll sich der Aufstieg verwirklichen.

Doch wie ein Damoklesschwert hängt das schwebende Asylverfahren über ihnen und der Antrag wird schließlich abgelehnt. Als Jende nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers und aufgrund seiner unglücklichen, unverschuldeten Verwicklung in das Ehedrama der Edwards‘ auch noch seinen geliebten Job verliert, ist er den willkürlichen Gerichtsterminen, den 14-Stunden-Tagen als Tellerwäscher, den Geldsorgen und der Ungewissheit nicht mehr gewachsen. Anders als für Neni, die für ihren „American Dream“ zu nahezu jedem Opfer bereit wäre, will Jende sich nicht weiter quälen: „Mein Körper ist hier, aber mein Herz ist nach Hause zurückgereist“. Auch Barack Obamas bejubelte Wahl im November 2008 kann daran nichts mehr ändern.

Imbolo Mbue, geboren 1982 in Kamerun, vor zehn Jahren zum Studium in die USA gekommen und inzwischen US-amerikanische Staatsbürgerin, hat in ihrem Debütroman ein Einwandererschicksal beschrieben, wie es sie leider zuhauf gibt. Diskreditiert als Wirtschaftsflüchtlinge spüren die Jongas, die doch nichts als die Chance zum Aufstieg suchen, den ihr Heimatland ihnen verweigert, die ganze Härte einer Nation, die die Chauffeure, Pflegerinnen und Dienstboten einerseits braucht, die Einwanderung andererseits aber zum Lotteriespiel macht.

Den Kontrast zur Familie Edwards, die zwar am anderen Ende der Gesellschaftspyramide steht, deren Problem jedoch nur andersartig, aber keinesfalls geringer sind, hat Imbolo Mbue sehr gut herausgearbeitet, ohne Schwarz-Weiß-Klischees zu bemühen. Die Gespräche zwischen Jonga und Clark Edwards auf ihren gemeinsamen Fahrten gehören deshalb für mich zu den Höhepunkten des Romans. Dass Edwards zunehmend von Zweifeln geplagt wird, sein Sohn gar das Jurastudium hinwirft, um in Indien zu meditieren, macht sie sympathisch, doch dass Edwards nach der Entlassung und der familiären Tragödie als Lobbyist für kleine Genossenschaftsbanken anheuert, war mir dann doch ein bisschen zu dick aufgetragen.

Das geträumte Land ist ein sehr empfehlenswerter Roman zum hochaktuellen Thema Wirtschaftsmigration, geschrieben mit viel Sachkenntnis und einer wohltuenden Empathie für alle Figuren, nicht anklagend sondern aufrüttelnd, ebenso unterhaltsam wie leicht zu lesen und mit einem bestechend schönen Cover.

Imbolo Mbue: Das geträumte Land. Kiepenheuer & Witsch 2017
www.kiwi-verlag.de

Rolf Lappert: Über den Winter

Rückkehr zu den Wurzeln

Ein doppelter Tod ist der Ausgangspunkt von Rolf Lapperts 2015 erschienenem Roman Über den Winter, der wie schon 2008 sein Debüt Nach Hause schwimmen auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand.

Für den Aktionskünstler Lennard Salm, der gleich nach seinem Studium durch eine Mischung aus Geniestreich und Skandal in die Kunstszene katapultiert wurde und seit mittlerweile 23 Jahren erfolgreich im Kunstmarkt mitschwimmt, werden der Fund einer Säuglingsleiche in einem Flüchtlingsboot irgendwo an einem Mittelmeerstrand und die Nachricht vom Tod seiner älteren Schwester Helene zum Wendepunkt. Zurück in Hamburg und bei der Trauerfeier konfrontiert mit seiner Familie, einem Zusammentreffen, vor dem ihm graut, kulminieren die Irritation, der Verlust klarer Ziele und die zunehmende Entfremdung vom Kunstbetrieb und der Kunst zu einer Lebenskrise: „In letzter Zeit fiel es ihm schwer, seine Lebenssituation einer genaueren Betrachtung zu unterziehen, Pläne zu machen oder auch nur einen klaren, in die Zukunft weisenden Gedanken zu fassen.“ Er verkündet seinem Mäzen und Manager Wieland, dass er kein Künstler mehr sein will, ohne auf dessen immer drängender werdende Frage, was er denn stattdessen sein wolle, eine Antwort zu haben. Nach einer Zwischenstation in einem billigen Hotel zieht er in sein altes Kinderzimmer bei seinem hinfälligen Vater und dessen polnischer Pflegerin in ein ob seiner Bewohner geisterhaft anmutendes, heruntergekommenes Haus in Wilhelmsburg. Lennard, der als einziges der vier Kinder die wahren Gründe für das Auseinanderbrechen der Familie kennt, immer zum Vater gehalten und die Mutter verachtet hat, lehnt auch jetzt ihre Versöhnungsversuche ab. Lediglich seine jüngere Schwester Bille, die nie erwachsen geworden ist, kommt ihm einigermaßen nah.

Es bleibt am Ende unklar, ob Lennard der Neubeginn bei seinen Wurzeln gelingt und wohin er ihn führt. Vielleicht ist ja sein durch die Welt irrlichternder Koffer, den Alitalia am Ende doch noch zustellt, ein gutes Omen?

Mich konnte der düstere Künstler-, Familien- und zeitweise Gesellschaftsroman, der mir beim Lesen durchgehend eine Gänsehaut beschert hat, nicht überzeugen. Sehr gut gefallen hat mir das dritte Kapitel über die Anfänge der Familie Salm und darüber, wie die jahrelang immer wieder notdürftig reparierte Familienmaschine auseinanderbrach. Hier zeigt Rolf Lappert sein wirklich großes Erzähltalent. Auch seine detaillierten Orts-, Menschen- und Wetterbeschreibungen haben mich immer wieder fasziniert. Doch konnte ich mit Lennard Salms indifferenter Seelenlage, seiner Ziellosigkeit und seinen Alkoholexzessen nichts anfangen und habe während des Lesens zu keiner Zeit verstanden, warum er seinen Neubeginn ausgerechnet aus dem Schoß der Familie heraus beginnen will, vor der er doch aus nachvollziehbaren Gründen einst geflohen war.

Rolf Lappert: Über den Winter. Hanser 2015
www.hanser-literaturverlage.de

Katharina Bendixen: Zorro, der Mops – Abenteuer im Bammelwald

Unter der kleinsten Kiefernnadel kann das größte Abenteuer warten

Zorro, der kleine Mops, heißt zwar wie ein Superheld, hat aber zu seinem großen Bedauern noch nie ein richtiges Abenteuer erlebt. Doch als in Bummelhausen nacheinander der Spezialschraubenschlüssel seiner besten Freundin, Professorin Hamsterine, der Spiegel der piekfeinen Distelfinkdame Irmhild von Irmhausen zu Irmhildlandia, das Kissen des schwerhörigen Hundeseniors Bernhardinowitsch, die Stühle von Herrn Igel, vier Joggingschuhe von Potz Tausendfüßler, unzählige Taucherbrillen von unzähligen Kaulquappenkindern von Olof Ochsenfrosch, Zorros goldener Fressnapf und diverse andere Besitztümer der Bewohner verschwinden, sieht der Mopsjunge seine Chance gekommen. Hauptverdächtig ist in den Augen der Tiere das sagenhafte vielköpfige Ungeheuer, das in der alten Fabrik im Bammelwald hausen soll. Unter der Führerschaft von Hamsterine und Zorro hecken die Tiere einen Plan zur Wiederbeschaffung der gestohlenen Gegenstände aus, was vielleicht gar nicht nötig gewesen wäre, wenn Herr Igel den von ihm abonnierten „Bammelwalder Boten“ wirklich lesen könnte, in dem genau am Tag des großen Abenteuers ein aufschlussreicher Artikel erscheint…

Zorro, der Mops – Abenteuer im Bammelwald, das erste Kinderbuch von Katharina Bendixen, hat mir ausgesprochen gut gefallen, da es vor allem die Botschaft übermittelt, dass man gemeinsam und mit einem ausgeklügelten Plan auch gegen einen scheinbar übermächtigen Feind vorgehen kann. Dass es am Ende nicht zu einer Bestrafung der Diebe kommt, sondern zu einer Übereinkunft, einem gemeinsamen Fest und hoffentlich zu einer einverständlichen neuen Nachbarschaft, hat mich dagegen nicht gestört. Es wird klar, dass die Diebstähle nicht einfach hingenommen werden können, dass es aber jenseits von Bestrafungen auch andere Lösungen geben kann.

Die reichlichen Illustrationen von Carola Sieverding sind fast immer sehr geglückt, die Tiere in ihrem Charakter gut getroffen und die Landkarten vorn und hinten im Buch machen es einfach, die geografischen Gegebenheiten nachzuvollziehen.

Alles in allem ist Zorro, der Mops – Abenteuer im Bammelwald ein sehr schönes, äußerst fantasievolles Vorlesebuch für Jungen und Mädchen ab fünf Jahren oder für gute Leserinnen und Leser, die sich auch schon an umfangreichere Textmengen heranwagen, dank der größeren Schrift ab dem Ende der zweiten Klasse. Die genialen Erfindungen von Hamsterine, die „Verhörer“ von Bernharinowitsch, die Familiengeschichte von Zorro, der Sprachfehler von Olof Ochsenfrosch und das Miteinander der Tiere in Bammelhausen machen jedenfalls sowohl beim Vorlesen als auch beim Selberlesen richtig Spaß und lassen auf weitere Abenteuer hoffen!

Katharina Bendixen: Zorro, der Mops – Abenteuer im Bammelwald. Loewe 2017
www.loewe-verlag.de

Elke Heidenreich: Nurejews Hund

Unerschütterliche Treue

Man könnte meinen, ein schöner, graziler Mann wie der Tänzer Rudolf Nurejew hätte sich einen ebenso eleganten Vierbeiner ausgesucht. Doch der Hund, der sich ihm eines Abends bei einer Party von Truman Capote anschloss, war kurzbeinig, plump, unförmig, träge und hässlich. Nurejew taufte ihn „Oblomow“ und das Tier dankte ihm die Zuneigung, die es von Nurejew bis zu dessen frühem Tod im Alter von 54 Jahren im Jahr 1993 empfing, sowie die Tatsache, dass er ihn darüber hinaus bei einer Freundin hingebungsvoll versorgt unterbrachte, mit lebenslanger hündischer Ergebenheit und einem schier unglaublichen Beweis der Verbundenheit.

Elke Heidenreich liest die Geschichte Nurejews Hund, die aus ihrer und Bernd Schröders Geschichtensammlung Rudernde Hunde stammt und eigens für diese Hörversion erweitert wurde, einfühlsam, aber nicht rührselig, mit ihrer unverwechselbaren Stimme, der ich immer sehr gerne zuhöre. Zusammen mit der russischen Klaviermusik, die den Text für meinen Geschmack allerdings zu häufig unterbricht, ergeben sich knapp 60 bewegende Hörminuten, in denen ich zwischen Lachen und Weinen geschwankt habe und auf jeden Fall sehr berührt war.

Elke Heidenreich: Nurejews Hund. Random House Audio 2005
www.randomhouse.de

Jörg Maurer: Hochsaison

Ein Mordsspaß

Föhnlage, den ersten Krimi aus der Serie des bayerischen Musikkabarettisten Jörg Maurer, fand ich bereits saukomisch. Der zweite Band, Hochsaison, steht dem ersten ins nichts nach.

Wir sind wieder in jenem namenlosen Kurort des Alpenvorlands mit dem Doppelnamen, Motto: „Sterben, wo andere Urlaub machen“, in dem man unschwer Maurers Geburtsort Garmisch-Partenkirchen erkennt. Während des dortigen Neujahrsskispringens, bei dem vor dem Hintergrund der laufenden Olympiabewerbung der gesamte internationale Skisprungzirkus und die Olympiaprominenz einschließlich Jacques Rogge vertreten ist und mit den hinterwäldlerischen Eingeborenen konfrontiert wird, wird der dänische Teilnehmer im Flug abgeschossen und schwer verletzt. Parallel dazu schickt ein Unbekannter, von der Polizei „Marder“ genannt, Bekennerschreiben für harmlose Anschläge, u. a. auf Adventuretouristen, eine Gruppe von Managern, die in historischen Gewändern und mit Pierre Brice als Ludwig II an einer Winterbesteigung teilnimmt. Gibt es Verbindungen zwischen den Taten? Wer sind die drei Asiaten, die unter ominösen Bedingungen in der Pension Alpenrose hausen? Und wie passt der Scheich al-Hasid, der die Winterspiele(!) gerne nach Dubai holen will, ins Bild?

Die Gerüchtezentrale ist wie immer die Bäckerei Krusti, deren Verkaufsschlager gerade Barack-Obama-Semmeln sind, ein dunkles Snack-Stangerl mit weißem Mohn, und es ermitteln wieder Kommissar Hubertus Jennerwein und sein Team einschließlich der Dummypuppe Gisela.

Ein Mordsspaß für alle, die gerne schwarz-humorige, skurril-abgedrehte, pointensichere Texte lesen, Spaß an guten Dialogen mit viel derbem Sprachwitz haben und denen kein Klischee zu viel wird, die aber trotzdem Wert auf eine äußerst spannende und sehr gut durchdachte Krimihandlung legen.

Jörg Maurer: Hochsaison. Fischer 2010
www.fischerverlage.de

Barbara Landbeck: Robby aus der Räuberhöhle

Räubergut gemacht!

Das Paradies ist in Gefahr, denn auf dem verwilderten Grundstück mitten in Jottwede hinter der hohen, uralten Mauer, auf dem Robby und seine wilde Räuberoma Hilde in ihrer selbstgebauten, geheimen  Räuberhöhle leben und Robby seit neuestem sogar ein Baumhaus hat, will der fiese Bürgermeister Poeppler höchstpersönlich ein schickes Bürogebäude, den Poeppler-Tower, errichten lassen. Klar, dass bei Robby und seiner Freundin Thea alle Alarmglocken schrillen, und da Oma Hilde gerade mal wieder auf Tour ist, müssen die Kinder sich alleine etwas einfallen lassen. Zum Glück haben Robby und Thea gute Freunde in der Stadt, Robbys unerschöpfliche Fundkiste, in der es seit neuestem sogar ein geheimnisvolles altes Buch mit spannenden Erfindungen gibt, die Krähe Karla und den Kater Momo sowie jede Menge Fantasie. Und wer sagt eigentlich, dass so eine Rettungsaktion nicht auch lustig sein kann? Aber auf jeden Fall muss eine ganze Menge passieren, ehe am Ende die große Feier zur Rettung des Paradieses stattfinden kann, und eine Portion Glück gehört natürlich auch dazu!

Robby aus der Räuberhöhle – Wer rettet das Paradies, getextet und illustriert von Barbara Landbeck und wunderschön hergestellt vom Jumbo Verlag, ist bereits der zweite Band um den pfiffigen Jungen und seine kleine Freundin, kann aber problemlos unabhängig gelesen oder vorgelesen werden. Mir haben es besonders die sehr farbenfrohen, ein wenig naiv anmutenden, meist großflächigen Illustrationen angetan, die sehr kindgerecht sind und eine so positive Ausstrahlung haben, dass man beim Betrachten einfach gute Laune bekommen muss.

Das Buch eignet sich zum Vorlesen für Jungen und Mädchen ab fünf Jahren gleichermaßen, gute Leserinnen und Leser, die bereits umfangreichere Textmengen bewältigen, können sich dank der größeren Schrift ab dem Ende der zweiten Klasse daran wagen. Spannung, Spaß und viel Fantasie sind garantiert!

Barbara Landbeck: Robby aus der Räuberhöhle. Jumbo 2017
www.jumboverlag.de

Zoë Miller: Das Geheimnis jener Tage

Rettungsleinen

Es gibt Romane, die können es in puncto Spannung locker mit einem guten Krimi aufnehmen, und Zoë Millers Das Geheimnis jener Tage gehört für mich eindeutig zu dieser Kategorie der Pageturner. Doch nicht nur die Spannung, auch die ebenso plausible wie ungekünstelte Auflösung, die Stück für Stück vor dem Auge des Lesers entsteht, zeichnet diesen äußerst unterhaltsamen Familien- und Freundschaftsroman aus.

Erzählt wird hauptsächlich in zwei Zeitebenen, der Gegenwart und dem Jahr 1980. Die Kapitel in der Vergangenheit sind Puzzlestücke, die sich nach und nach zu einem Ganzen zusammenfügen, eine keineswegs neue, hier aber besonders gelungen umgesetzte Technik.

Im aktuellen Handlungsstrang steht Carrie Cassey im Mittelpunkt, eine junge Frau von 30 Jahren, die nach dem Tod ihrer Eltern bei einem Flugzeugunglück fünf Jahre zuvor den Halt und die Orientierung verloren hat. Wechselnde Jobs, die Trennung von ihrem Verlobten, den sie eigentlich liebt, und ihre Selbstvorwürfe, weil der Impuls zu der verhängnisvollen Reise der Eltern von ihr kam, zeugen von ihrer tiefen Verunsicherung, die von einer Verdrängung anstatt Bewältigung der Trauer rührt.

Eine Wende in ihrem Leben bringt der Besuch einer Fremden aus der Schweiz, die sie um den Besuch bei ihrem todkranken Mann, dem blinden Konzertpianisten Luis Meyer, bittet. Luis behauptet, im September 1980 ein knapp zweiwöchiges, intensives Liebesverhältnis mit Carries Mutter Sylvie gehabt zu haben, unvorstellbar für Carrie, denn ihre Eltern hatten im Juni 1980 geheiratet und die Ehe war zeitlebens außergewöhnlich glücklich gewesen. Neugierig beginnt Carrie mit ihren Nachforschungen, nicht ahnend, dass ein gefährlicher Unbekannter die alte Geschichte um jeden Preis unter Verschluss halten möchte. Während sie die unglaublichen Geschehnisse nach und nach aufdeckt, geht eine große Veränderung mit ihr vor, denn sie beginnt, sich mit ihrer Trauer auseinanderzusetzen, alten Ballast abzuwerfen und nach neuen Wegen für ihr Leben zu suchen.

Noch besser als die Geschichte von Carrie, die man in ähnlicher Art auch in anderen Romanen findet, hat mir der Handlungsstrang in der Vergangenheit gefallen. Was 1980 geschah, ist der weitaus interessantere, originellere und unvorhersehbarere Teil des Romans. Der Blick in das Irland vor 35 Jahren mit seinem streng-katholischen Verhaltenskodex war ebenso aufschlussreich wie schockierend für mich.

Ich möchte diesen Roman allen empfehlen, die gerne spannende Familiengeschichten, dargeboten in Form leicht zu lesender Unterhaltungsromane, lesen. Zwar konnte mich die Sprache nicht in gleicher Weise überzeugen wie der Inhalt, die Dialoge waren mir teilweise zu gestelzt und pathetisch und ich hätte mir noch mehr irisches Flair wie auf dem wunderschönen Cover gewünscht, aber ich habe mich bei der Lektüre bestens unterhalten gefühlt und hätte den Roman zu keiner Zeit aus der Hand legen können.

Zoë Miller: Das Geheimnis jener Tage. Insel 2017
www.suhrkamp.de

Sabine Gruber: Daldossi oder Das Leben des Augenblicks

Ohne Deckung

Wir alle konsumieren sie jeden Tag, ob wir wollen oder nicht: Bilder aus den Krisenregionen der Welt, aus Kriegsgebieten, Hungerregionen oder Flüchtlingslagern, im Fernsehen, in den Printmedien oder im Netz. Doch wer sind eigentlich die Menschen, die sie uns liefern, die nicht selten ihr Leben dabei verlieren? Wie können sie mit dem alltäglichen Grauen umgehen? Wie entscheiden sie, wann sie auf den Auslöser drücken und wann nicht?

Alle diese Fragen wirft Sabine Gruber in ihrem Roman Daldossi oder Das Leben des Augenblicks auf, doch leider kommt die Frage der Ethik der Fotografie, die für mich die spannendste gewesen wäre, deutlich zu kurz. Hauptsächlich geht es in diesem zweifellos sehr gut recherchierten Buch um den Kriegsfotografen Bruno Daldossi, Südtiroler und in Wien lebend, schwerer Alkoholiker, ein Mann um die 60, der nach Einsätzen in Tschetschenien, im Irak, in Serbien, in Afghanistan und überall, „wo es Tote gab“, von seinem Magazin im Zuge des Personalabbaus in Frührente geschickt wurde. Aber taugt ein Mensch mit seinen „Kriegserfahrungen“, dessen Tote „viele Friedhöfe füllen“, noch zum Leben im Frieden? Gerade jetzt hat ihn seine Lebenspartnerin Marlis verlassen, die 15 Jahre lang immer in Angst auf ihn gewartet hat, die es aber nicht mehr ertragen konnte, dass ein immer größerer Teil von ihm an den Schreckensorten zurückblieb. Daldossi kann sich trotz seiner unzähligen Affären, die er als Form der Selbstrettung betrachtet, ein Leben ohne Marlis nicht vorstellen, denn sie ist seine „Dauerdeckung“ und seine Orientierung. Doch Marlis lehnt seine Friedensmission, zu der er ihr eigens nach Venedig nachreist, ab, eine für mich gut nachvollziehbare Form von Selbstschutz.

Daldossi oder Das Leben des Augenblicks war für mich eine eher mühsame Lektüre, nicht so sehr wegen der sehr herben Sprache, die zum Inhalt passt, auch nicht wegen des unsympathischen Antihelden, sondern eher deshalb, weil ich das Buch als sehr „absichtsvollen“, sehr konstruierten Text und weniger als Literatur empfunden habe. Gut gefallen hat mir dagegen, wie Sabine Gruber Bildbeschreibungen zu Fotografien Daldossis in den Text einstreut und den nicht in Kapitel unterteilten Romanfluss damit immer wieder gekonnt durchbricht. Dass Daldossi sich am Ende dazu aufrafft, hinter der Linse hervorzutreten und erstmals selber in ein Geschehen einzugreifen, war für mich der einzige Hoffnungsschimmer in einem ansonsten niederdrückenden Buch.

Was bleibt für mich nach der Lektüre dieses Romans? Mit Sicherheit werde ich die Bilddokumente aus Krisenregionen zukünftig anders wahrnehmen und auch die Menschen hinter den Objektiven dabei sehen. Sie riskieren mehr als nur ihr Leben, sie laufen Gefahr, ihre Befähigung für ein Leben im Frieden zu verlieren. Uns dies eindrücklich vor Augen zu führen, ist Sabine Gruber zweifellos geglückt.

Sabine Gruber: Daldossi oder Das Leben des Augenblicks. C.H. Beck 2016
www.beck.de