Zoë Miller: Das Geheimnis jener Tage

Rettungsleinen

Es gibt Romane, die können es in puncto Spannung locker mit einem guten Krimi aufnehmen, und Zoë Millers Das Geheimnis jener Tage gehört für mich eindeutig zu dieser Kategorie der Pageturner. Doch nicht nur die Spannung, auch die ebenso plausible wie ungekünstelte Auflösung, die Stück für Stück vor dem Auge des Lesers entsteht, zeichnet diesen äußerst unterhaltsamen Familien- und Freundschaftsroman aus.

Erzählt wird hauptsächlich in zwei Zeitebenen, der Gegenwart und dem Jahr 1980. Die Kapitel in der Vergangenheit sind Puzzlestücke, die sich nach und nach zu einem Ganzen zusammenfügen, eine keineswegs neue, hier aber besonders gelungen umgesetzte Technik.

Im aktuellen Handlungsstrang steht Carrie Cassey im Mittelpunkt, eine junge Frau von 30 Jahren, die nach dem Tod ihrer Eltern bei einem Flugzeugunglück fünf Jahre zuvor den Halt und die Orientierung verloren hat. Wechselnde Jobs, die Trennung von ihrem Verlobten, den sie eigentlich liebt, und ihre Selbstvorwürfe, weil der Impuls zu der verhängnisvollen Reise der Eltern von ihr kam, zeugen von ihrer tiefen Verunsicherung, die von einer Verdrängung anstatt Bewältigung der Trauer rührt.

Eine Wende in ihrem Leben bringt der Besuch einer Fremden aus der Schweiz, die sie um den Besuch bei ihrem todkranken Mann, dem blinden Konzertpianisten Luis Meyer, bittet. Luis behauptet, im September 1980 ein knapp zweiwöchiges, intensives Liebesverhältnis mit Carries Mutter Sylvie gehabt zu haben, unvorstellbar für Carrie, denn ihre Eltern hatten im Juni 1980 geheiratet und die Ehe war zeitlebens außergewöhnlich glücklich gewesen. Neugierig beginnt Carrie mit ihren Nachforschungen, nicht ahnend, dass ein gefährlicher Unbekannter die alte Geschichte um jeden Preis unter Verschluss halten möchte. Während sie die unglaublichen Geschehnisse nach und nach aufdeckt, geht eine große Veränderung mit ihr vor, denn sie beginnt, sich mit ihrer Trauer auseinanderzusetzen, alten Ballast abzuwerfen und nach neuen Wegen für ihr Leben zu suchen.

Noch besser als die Geschichte von Carrie, die man in ähnlicher Art auch in anderen Romanen findet, hat mir der Handlungsstrang in der Vergangenheit gefallen. Was 1980 geschah, ist der weitaus interessantere, originellere und unvorhersehbarere Teil des Romans. Der Blick in das Irland vor 35 Jahren mit seinem streng-katholischen Verhaltenskodex war ebenso aufschlussreich wie schockierend für mich.

Ich möchte diesen Roman allen empfehlen, die gerne spannende Familiengeschichten, dargeboten in Form leicht zu lesender Unterhaltungsromane, lesen. Zwar konnte mich die Sprache nicht in gleicher Weise überzeugen wie der Inhalt, die Dialoge waren mir teilweise zu gestelzt und pathetisch und ich hätte mir noch mehr irisches Flair wie auf dem wunderschönen Cover gewünscht, aber ich habe mich bei der Lektüre bestens unterhalten gefühlt und hätte den Roman zu keiner Zeit aus der Hand legen können.

Zoë Miller: Das Geheimnis jener Tage. Insel 2017
www.suhrkamp.de

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