Gedanken-Rodeo in einer Spirale
Bestechend an diesem Roman ist zunächst das Äußere. Der Hanser Verlag hat mit dem auffällig gestalteten Wendecover, schöner als das der Originalausgabe, dessen Motiv sich während der Lektüre erschließt, dem orange eingefärbten Schnitt, der das Buch beim ersten Lesen sanft und angenehm knistern lässt, und dem künstlerisch bedruckten Vorsetzblatt ein kleines Meisterwerk geschaffen, das man deshalb nicht als E-Book lesen sollte. Schade nur, dass die Zahl der Druckfehler verblüffend hoch ist, was vermutlich dem Zeitdruck geschuldet ist, denn die deutsche Ausgabe erschien nur einen Monat nach dem amerikanischen Original. Der Roman wird das erste Buch in einer limitierten Auflage mit Nummerierung in meinem Bücherregal sein, eine bibliophile Besonderheit.
Der US-Amerikaner John Green, der in seinen Jugendbüchern gerne schwierige Themen anpackt, hat bei seinem neuen Roman Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken aufgegriffen, was er aus eigener Erfahrung kennt: Zwangsstörungen und Panikattacken. Die 16-jährige Ich-Erzählerin Aza Holmes, ein äußerst intelligentes Mädchen, das als Kind den Vater verloren hat, leidet unter diesen psychischen Erkrankungen. Sie ist stark und mutig bei Dingen, die andere Leute nervös machen, wird aber panisch bei der Vorstellung, durch Bakterien, besonders Clostridium difficile, schwer zu erkranken. Fünf Jahre Verhaltenstherapie und drei verschiedene Medikamente haben nicht zu einer durchschlagenden Besserung geführt, es gibt lediglich bessere und schlechtere Phasen, abzulesen am Abstand zwischen ihren Therapiesitzungen. Ein Segen für sie ist ihre Freundin aus Kindertagen, die zupackende Daisy, die sich ihr Studium selbst verdienen muss und für ihre regelmäßig im Internet verfasste Fanfiction zu Star Wars lebt. Daisy kann mit Azas Symptomen umgehen, zeigt ihr aber zugleich Grenzen auf.
Nun macht die Beschreibung von Krankheitssymptomen noch keinen Roman, vor allem aber kein Jugendbuch. Deshalb hat John Green einen Vermisstenfall, zwei Liebesgeschichten, einen Fall von Kindesvernachlässigung, die Begeisterung für Star Wars, die Kritik am amerikanischen System der Studienfinanzierung sowie die Themen Trauer und Forschung an der Verlängerung des Lebens mit eingebaut. Neben all ihren psychischen Problemen ist Aza auch ein pubertierender Teenager mit den üblichen Abgrenzungsproblemen zur Mutter. Viel Stoff also für gut 280 Seiten und in meinen Augen nicht ganz so gelungen, wie der Teil über die Krankheit, aber das mag auch daran liegen, dass ich nicht zur eigentlichen Zielgruppe gehöre. Vor allem Azas Liebesgeschichte mit dem Millionärssohn Davis ist mir mit der gemeinsamen Sternenguckerei etwas zu abgedroschen ausgefallen und die Dialoge, sei es mündlich oder per Social Media, wirken aufgesetzt (oder sehr amerikanisch?), auch wenn beide durch den Verlust eines Elternteils sicher über ihr tatsächliches Alter hinaus entwickelt sind.
Ausgesprochen gut gelungen fand ich dagegen den sicher schwer zu schreibenden Schluss des Romans, der zum Glück überhaupt nicht platt ist. Ich verdanke es dem Buch, dass ich jetzt eine klarere Vorstellung davonhabe, wie und worunter Menschen mit Zwangsneurosen leiden, und was die Gedankenspiralen sind, in die sie immer wieder haltlos fallen. Dank Daisy weiß ich aber auch, dass gute Freundschaften mit Erkrankten möglich sind, wenn alle Beteiligten ehrlich miteinander umgehen und vereinbarte Haltelinien respektieren.
Die letzten Sätze der Danksagung fassen zusammen, was ich aus der Lektüre mitnehme: „Manchmal ist es ein langer und beschwerlicher Weg, aber psychische Krankheiten sind behandelbar. Es gibt immer Hoffnung, selbst wenn einem die eigenen Gedanken vormachen, es gebe keine.“
John Green: Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken. Carl Hanser 2017
www.hanser.de