Spannende Unterhaltung vor atemberaubender Kulisse
Der 23. August spielt eine bedeutsame Rolle im Leben der Familie Idrissi: Am 23.08.1968 hat der Korse Paul Idrissi seine Frau Palma kennengelernt, die auf dem Campingplatz von La Revellata ihr Zelt aufgeschlagen hatte und ihn schließlich seinem Clan und der Insel entrissen und mit nach Nordfrankreich genommen hat. Genau 21 Jahre später, am 23.08.1989, verunglückt die inzwischen vierköpfige Familie beim Urlaub auf Korsika mit ihrem roten Fuego und nur die 15-jährige Tochter Clotilde überlebt. 27 Jahre später kehrt sie zurück, nun selber verheiratet und mit einer 15-jährigen Tochter, um ihre Großeltern wieder zu sehen, um ihrer Familie Korsika und die Unglücksstelle zu zeigen, und um Licht ins Dunkel des Unfalls zu bringen, was ihr schließlich am 23.08.2016 gelingt – bei einem furiosen Finale… Doch bis dahin wird der Aufenthalt für sie immer surrealer, denn sie erhält mit einem „P.“ unterzeichnete Briefe, die eigentlich nur ihre Mutter geschrieben haben kann, die ungewöhnlichen Zufälle häufen sich und jemand scheint ein Spiel mit ihr zu spielen. Während ihr Mann, der nur an Effizienz und Rationalität glaubt, versucht, sie von weiteren Nachforschungen abzuhalten, taucht Clotilde immer weiter in die Geheimnisse der Vergangenheit ein und ahnt nicht, dass jemand die Aufdeckung der Wahrheit unter allen Umständen verhindern will. Hätte sie nur ihr Tagebuch aus jenem Sommer 1989 noch, dem sie damals alles über die Jugendclique auf dem Campingplatz, große Emotionen, die Konflikte mit ihrer Mutter, die Entdeckungen über ihren Vater und die Streitereien der Eltern anvertraut hat, doch das war nach dem Unfall spurlos verschwunden.
Eigentlich lese ich eher selten leichte Unterhaltungsromane, aber wenn ich das Bedürfnis danach habe, hat mich der französische Bestsellerautor und Professor für Politologie und Geografie an der Universität Rouen Michel Bussi bisher noch nie enttäuscht. In diesem Fall hat mich die Geschichte über die reine Spannung der Handlung auch deshalb gefesselt, weil sie an einem Ort spielt, den ich aus mehreren Urlauben gut kenne: die Umgebung von Calvi auf Korsika. Die detaillierte Beschreibung der Region und besonders der Menschen mit ihrem Lebensmotto „Respekt, Ehre und Tradition“ hat mir sehr gut gefallen und Erinnerungen geweckt. Wie schon bei Das Mädchen mit den blauen Augen konnte ich mir bis kurz vor dem Ende absolut keine Auflösung vorstellen, so wenig haben die Umstände zusammengepasst, und doch gab es sie. Die Kombination von zwei Zeitebenen, der Zeit von 2016 in erzählter Form und der Zeit von 1989 kurz vor dem Unfall als Auszüge aus Clotildes Tagebuch, ist gut gewählt und hat die Dramatik noch verstärkt, da man nicht weiß, wer da in diesem verschwundenen Heft liest und es bisweilen kommentiert.
Mich hat der Roman über stark 500 Seiten gut unterhalten und ich habe gerne beim ein oder anderen Zufall ein Auge zugedrückt. Schließlich habe ich es immer geahnt: Korsika ist nicht nur die Île de la Beauté, dort können sich auch Dinge zutragen, die man anderswo nicht für möglich halten würde…
Michel Bussi: Fremde Tochter. Rütten & Loening 2017
www.aufbau-verlag.de