Till Hein: Crazy Horse

  Seepferdchen – viel mehr als nur possierliche Tierchen

Spätestens bei der Frühschwimmerprüfung, dem begehrten Seepferdchen-Abzeichen, lernt jedes Kind in Deutschland diese niedlichen Tierchen kennen. Stolz werden die Seepferdchen-Aufnäher von kleinen Wasserratten an der Badekleidung getragen und bescheinigen erste Schwimmfähigkeiten.

© B. Busch

 

 

Kuriose Meeresbewohner
Dass es sich lohnt, sich intensiver mit diesen zwischen 1,4 und 35 cm großen Salzwasserbewohnern zu befassen, zeigt der Wissenschaftsjournalist und Freund der Fische Till Hein eindrucksvoll in seinem ebenso faktenreichen wie kurzweiligen Porträt Crazy Horse. Er gibt Antworten auf unzählige Fragen und bietet einen bunten Strauß an Wissenswertem, nicht nur im Hinblick auf die kuriose Physiognomie und Lebensweise dieser Fische(!), sondern auch auf die Bestimmung der Unterarten, ihre Auftritte in Kunst, Mythen und Geschichten, ihre Bedeutung für den Feminismus und die Bionik sowie einen Exkurs zu den Hippocampi, den nach den Seepferdchen benannten Gehirnarealen. Sobald einem nach siebzehn Kapitel die Rosse der Meere so richtig ans Herz gewachsen sind, geht es in den verbleibenden drei Abschnitten um all das, was viele der bislang 44 Unterarten in ihrer Existenz bedroht: Schleppnetze, die Zerstörung ihrer Habitate, die massenhafte Verwendung getrockneter Seepferdchen in der TCM, der Klimawandel und die Überdüngung der Meere. Vereinzelte Lichtblick gibt es durch Aktionen von Organisationen wie Project Seahorse, Greenpeace oder dem BUND mit ihren engagierten Aktivistinnen und Aktivisten.

© B. Busch

Alles Wissenswerte über die Rosse der Meere
Hätten Sie gewusst, was Seepferdchen zu Fischen macht? Wozu ihre kunstvoll choreografierten Tänze dienen? Dass die meisten Arten monogam leben, die Männchen für Schwangerschaften zuständig sind und unter Wehen die Seefohlen zur Welt bringen? Was es mit dem faszinierenden Klammerschwanz auf sich hat? Wodurch diese ultralangsamen Raubtiere ohne Kauwerkzeuge zu äußerst geschickten und effizienten Jägern werden? Welche Eigenschaften sie mit Chamäleons teilen? Dass sie keineswegs stumm sind, dafür aber schlecht hören? Oder warum der Wurzener Dichter, Kabarettist und Maler Hans Gustav Bötticher den Künstlernamen Joachim Ringelnatz wählte?

All diesen Fragen geht Till Hein auf den Grund, basierend auf neuesten Forschungen und Beobachtungen zahlreicher renommierter Seepferdchen-Expertinnen und -Experten aus aller Welt, Meeresbiologen, Evolutionsforschern, Tauchern, Unterwasserfotografen. Sogar eine Seepferdchenflüsterin und eine Fischtierärztin kommen zu Wort.

Ein Glücksfall unter den Sachbüchern
Waren Sachbücher lange Zeit für mich nur Mittel zur gezielten Information über vorher festgelegte Themen von meist schulischem oder beruflichem Interesse, hat sich das in den letzten Jahren verändert. Heute entdecke ich in Buchhandlungen oder Verlagsvorschauen Sachbücher zu Teilaspekten der Geschichte, Biologie oder Kultur, die mich aufgrund schöner Cover, geheimnisvoller Titel oder ungewöhnlicher Sujets zur Lektüre anregen. Ein solch glücklicher Zufallsfund ist Till Heins Crazy Horse, unterhaltsam, originell geschrieben, mit pfiffigen Kapitelüberschriften und einer detailreichen, jedoch nicht ausufernden Informationsfülle. Fotos und Zeichnung gibt es nicht, was mich zunächst irritierte, dann aber doch nicht störte, denn man kann sie sich im Bedarfsfall jederzeit aus dem Internet holen. Was man im Netz aber sicher nicht findet, sind so gut aufbereitete, unterhaltsam geschriebene Texte, dazu in haptisch so gelungener Form.

Till Hein: Crazy Horse. mare 2021
www.mare.de

 

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